Ruhestand an Lebenserwartung koppeln - Rente mit 70? Fünf Gründe erklären, warum das erst der Anfang ist

Teile der CDU wollen bei einem Sieg bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung koppeln. Einige sprechen von der Rente mit 70 Jahren. Diese Berechnung zeigt, warum diese Entwicklung wohl noch lange nicht das Ende wäre.

Die Mittelstandsvereinigung der CDU will bei einem Sieg bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung koppeln. Der FAZ sagte die Vorsitzende der CDU-Mittelstandsvereinigung MIT, Gitta Connemann: „Es wird auch im Regierungsprogramm - wie im Grundsatzprogramm - stehen müssen, dass wir die Regelaltersgrenze an die Lebenserwartung anpassen.“ CDU-Chef Friedrich Merz schloss eine Erhöhung des Renteneintrittsalters zwar kurz darauf aus. Damit verzichtet er allerdings auf eine valide Option, wenn er die Rente nach einem Wahlsieg stabilisieren wollte.

Ökonomen fordern bereits seit Längerem eine Rente ab 70 Jahren . Der CDU-Entwurf geht über kurz oder lang deutlich darüber hinaus. Fünf Punkte erklären, warum derzeitige Berufseinsteiger womöglich noch deutlich später als mit 70 Jahren in Rente gehen.

1. Menschen gehen seit Jahrzehnten in etwa im gleichen Alter in Rente, leben aber deutlich länger

Viele Rentenreformen hat Deutschland erlebt, am tatsächlichen Renteneintrittsalter haben sie wenig geändert. Seit den 1960er-Jahren gehen die Menschen durchschnittlich im Alter zwischen 62 und 65 Jahren in Rente. Derzeit liegt der Wert bei 63 Jahren.

Während der Renteneintritt stagniert, steigt die Lebenserwartung.

  • Im Jahr 1960 Geborene blickten einer Lebenserwartung von knapp 70 Jahren entgegen.

  • Im Jahr 2020 Geborenen bescheinigt die Statistik eine Lebenserwartung von knapp 81 Jahren. Elf Jahre mehr.

  • Bis 2070 steigt die Lebenserwartung nach Schätzung des Statistischen Bundesamts auf fast 87 Jahre.

In viereinhalb Jahrzehnten Geborene leben im Mittel 17 Jahre länger als 1960 Geborene. Gehen sie dann immer noch mit 63 in Rente, erhalten sie deutlich länger Bezüge - für das System wird das teuer.

2. Die Belastung pro Beitragszahler steigt – und sie steigt weiter

Weil die Menschen immer älter werden, aber im gleichen Alter in Rente gehen, steigt die Zahl der Rentenempfänger in Deutschland seit Jahrzehnten deutlich schneller als die Zahl der Beitragszahler.

Heute finanzieren zwei Beitragszahler einen Rentner. In den 1960er-Jahren waren es fünf. Und das, obwohl damalige Beitragszahler häufiger Vollzeit arbeiteten als heutige: Die Last pro Beitragszahler ist also enorm gestiegen.

Nach derzeitigen Prognosen steigt die Lebenserwartung weiter. Weil die Bundesregierung das Rentenniveau konstant halten will, heißt das: Ändert sich an der Rente nichts, steigt auch die Belastung pro Beitragszahler weiter.

Verhindern, ohne das Rentenniveau zu senken, kann die Bundesregierung das nur, wenn die Menschen länger arbeiten. Das ist das Ziel aller Vorschläge, das Renteneintrittsalter zu erhöhen.

Doch diese Vorschläge stehen vor einigen Problemen.

3. Bislang steigt die Rentenzeit trotz späterem Eintritt

Problem eins: Offen bleibt, wie viel später die Deutschen bei einem höheren Rentenalter tatsächlich in Rente gehen. Steigt durch einen Renteneintritt mit 70 das tatsächliche durchschnittliche Eintrittsalter um drei Jahre? Bislang verlangsamte ein höheres Eintrittsalter zwar den Anstieg der Bezugszeiten. Es kehrte ihn aber nicht um. Wie sich künftige Anstiege auswirken werden, ist offen.

4. Die Auswirkungen schlagen erst nach Jahren voll durch

Problem zwei: Nehmen wir der Einfachheit halber an, der Vorschlag der Union verschiebt den durchschnittlichen Renteneintritt wirklich um drei Jahre. Im Jahr 2030 erhalten Neurentner ihre Bezüge dann nur noch für 18 statt 21 Jahre. Ein Minus von 14 Prozent.

Das gilt aber nur, wenn die Bundesregierung das Beitrittsalter über Nacht um drei Jahre hochschraubt. Unwahrscheinlich. Hebt sie das Beitrittsalter nur ein oder zwei Monate pro Jahr an, wie seit 2012, bekommen Menschen im Jahr 2030 in etwa so lange Rente wie derzeit.

Zwar arbeiten Angestellte etwas länger, was das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentenempfängern verbessert. Der Effekt dürfte aber eher im niedrigen einstelligen Prozentbereich liegen. Weil die Rentenversicherung gleichzeitig plant, allein bis 2028 mindestens 20 Prozent mehr Beiträge einnehmen zu müssen, bremst der Vorschlag eher die Zusatzbelastung als Angestellte zu entlasten.

Heißt: Über die kommenden sechs Jahre entlastet die Rente mit 70 Beitragszahler etwas. Sie löst das Finanzierungsproblem aber nicht. Selbst den Kollaps verschiebt sie nur, wenn das Regelbeitrittsalter danach weiter steigt.

5. Problem drei: Das Renteneintrittsalter hinkt der Lebenserwartung weit hinterher

Solange die Lebenserwartung weiter steigt, verschlimmert sie die Lage des Rentensystems. Irgendwann werden die Deutschen deutlich länger arbeiten müssen, als sie es die vergangenen 60 Jahre getan haben, um diese Entwicklung aufzufangen. So wenig Lust die meisten Menschen haben, bis 70 zu arbeiten: Die Rente mit 70 droht erst der Anfang zu sein.

  • Derzeit steigt die Lebenserwartung pro Jahrzehnt um rund ein Jahr. Soll das Rentensystem weiterhin zumindest so gut funktionieren, wie derzeit, muss das Rentenalter in ähnlichem Maße steigen. In drei Jahrzehnte erreicht die Bundesregierung dann ein Beitrittsalter von 70 Jahren. Wer jetzt in den Beruf wechselt, muss wohl sogar länger arbeiten.

  • Weil das Rentenalter seit Jahrzehnten stagniert, hinkt das Eintrittsalter der Lebenserwartung Jahrzehnte hinterher: Soll das Rentensystem funktionieren wie im Jahr 2000, müssten alle Menschen in Deutschland auf einen Schlag rund drei Jahre länger arbeiten.

  • Soll das Rentensystem funktionieren wie im Jahr 1980, müssten alle Menschen in Deutschland auf einen Schlag rund zehn Jahre länger arbeiten.

Vieles deutet also darauf hin, dass jede Bundesregierung über das Rentenalter nachdenken muss.

Vermeiden kann sie dies nur, wenn die Menschen mehr privat vorsorgen . Weil sie derzeit aber immer höhere Renten- und Pflegeversicherungsbeiträge zahlen, bleiben ihnen weniger Sparmöglichkeiten. Der Bundesrepublik droht ein Teufelskreis.