Rund 12.000 Anhänger der Grauen Wölfe - Debatte um „Wolfsgruß“: Türkische Extremisten unterwandern unseren Staat
Der Wolfsgruß des türkischen Nationalspielers Merih Demiral bei der Europameisterschaft gegen Österreich sorgt für heftige Debatten. Was steckt hinter dem rechtsextremen Symbol und der Ülkücü-Bewegung? Der Verfassungsschutzchef von Nordrhein-Westfalen warnte bereits vor Unterwanderung.
Ihr Erkennungszeichen ist der „Wolfsgruß“: Den rechten Arm ausgestreckt, formen türkische Faschisten ihre Finger zu einem Wolfskopf. Deshalb werden die Anhänger der Ülkücü-Bewegung hierzulande auch Graue Wölfe (Bozkurt) genannt. Durch den türkischen Nationalspieler Merih Demiral, der beim Achtelfinalsieg der Fußball-Europameisterschaft gegen Österreich mit dem „Wolfsgruß“ jubelte, wurde die rechtsextreme Geste wieder zum Thema.
Zahlreiche türkische Fans solidarisieren sich, zeigen den Gruß im Stadion, bei Fanmärschen und Autokorsos. Deutsche Politiker kritisieren das scharf, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan nennt die UEFA-Sperre gegen Demiral „politisch“. Die Türkei bestellt den deutschen Botschafter ein, Deutschland den türkischen.
Doch was steckt hinter der Bewegung? Die Rechtsradikalen der Ülkücü-Bewegung hetzen gegen Christen, Kurden und Juden. Der Völkermord an den Armeniern durch das Osmanische Reich im Ersten Weltkrieg wird geleugnet.
Bis heute träumen die Grauen Wölfe von einem türkischen Großreich. Allein in Nordrhein-Westfalen sympathisieren 3700 Menschen mit der Ülkücü-Bewegung. 2000 Mitglieder sind laut Verfassungsschutz in 70 Vereinen organisiert. Bundesweit verbreiten Funktionäre unter drei Dachverbänden mit 300 Vereinen ihre extremistische Ideologie. Die Sicherheitsbehörden rechnen den Grauen Wölfen hierzulande rund 12.000 Anhänger zu.
Verfassungsschutz warnt: Türkische Rechtsextremisten drängen in Parlamente
Der Chef des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, Jürgen Kayser, hat in einem Interview mit FOCUS online bereits im Februar dieses Jahres vor einer Unterwanderung demokratischer Institutionen durch die Grauen Wölfe gewarnt. Ähnlich wie die Muslimbruderschaft versuchten diese extremistischen Kreise, an Parteien anzudocken oder eigene Protagonisten in Kommunalparlamente oder etwa in den Landtag zu bringen, erklärte Kayser.
Dabei verfolgten die Grauen Wölfe eine Strategie der Entgrenzung. „Das heißt, man versucht die eigenen Themen in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Das gelingt natürlich am besten, indem man Politiker aber auch Integrationsräte oder andere staatliche Stellen beeinflusst. Deshalb versuchen die Grauen Wölfe auch entsprechende Kontakte zu knüpfen“,, erklärt der Landesverfassungsschützer.
„Der Verfassungsschutz nimmt immer wieder Kontakt zu deutschen Entscheidungsträgern auf, um sie für das Problem zu sensibilisieren“, sagt er. Auch Funktionäre des vom Erdogan-Regime gelenkten Moscheeverbandes Ditib sowie zahlreiche Deutschtürken sympathisieren mit den türkischen Faschisten. So zeigte sich der deutsche Fußballweltmeister Mesut Özil in den sozialen Medien mit einem Tattoo der Grauen Wölfe auf der Brust.
Während Reul für klare Kante plädiert, tappen Kollegen immer wieder in Extremismus-Fallen
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) plädiert für klare Kante: „Hass und Hetze, Ausgrenzung und Feindbilder sind Gift für unsere Demokratie. Diese gilt es gerade in diesen Tagen vor extremistischen, antidemokratischen Kräften zu schützen. Der Verfassungsschutz hat dabei auch die Grauen Wölfe weiterhin fest im Blick, damit deren Streifzüge durch Nordrhein-Westfalen erfolglos bleiben.“
Dennoch scheinen Politiker unterschiedlicher Couleur den türkischen Faschisten häufiger auf den Leim zu gehen. Meist wissen die Mandatsträger nicht, mit wem sie es zu tun haben. Im Sommer 2023 geriet der ehemalige Landtagsabgeordnete und heutige Oberbürgermeister von Hamm, Marc Herter, in die Schlagzeilen. Zunächst nahm der SPD-Politiker an einer Geburtstagsfeier teil, deren Gastgeber über gute Beziehungen zu den Grauen Wölfen verfügte. Dann wurde bekannt, dass die Bewerbung eines türkischen Faschisten um eine Stelle in der Stadtverwaltung mit einem wohlwollenden Kommentar aus dem Büro des Oberbürgermeisters an das Personalamt weitergeleitet wurde.
Der Landtagsabgeordnete Sven Wolf besuchte 2019 eine Moschee in Remscheid, die den Grauen Wölfen zugerechnet wird. Der Neusser Abgeordnete Jörg Geerlings (CDU) musste sich kritische Fragen gefallen lassen, weil er sich 2022 beim Fastenbrechen vor einer Wand mit Bildern der Grauen Wölfe und deren türkischen Mutterpartei MHP fotografieren ließ.
Schon wurde ihm vorgeworfen, im Landtagswahlkampf auf Stimmen am rechten Rand zu schielen. Doch Geerlings stellte klar, dass er die Symbole hinter seinem Rücken nicht wahrgenommen habe. „Und ich hätte sie wahrscheinlich auch nicht erkannt“, betonte der CDU-Politiker. „Aber selbst wenn, ich wäre nicht weggerannt. Ich diskutiere mit jedem. Und ich würde in jeder Debatte leidenschaftlich für unsere freiheitliche Grundordnung streiten. Mir eine Nähe zum Rechtsextremismus zu unterstellen, ist völlig absurd.“
CDU: Zerstritten im Umgang mit türkischen Rechtsextremisten
Seit gut einem Jahrzehnt streiten sich CDU-Granden wie Ex-Ministerpräsident Armin Laschet über den Umgang mit türkischen Nationalisten. Unvergessen sind seine Auseinandersetzungen mit seiner Parteifreundin Sylvia Pantel in den Jahren 2014 und 2016. Die damalige Bundestagsabgeordnete hatte von ihrer Partei einen Unvereinbarkeitsbeschluss gefordert, der die Mitgliedschaft türkischer Ultranationalisten in der CDU verhindern sollte. Beide Anträge wurden auf Drängen Laschets abgelehnt. So konnten bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen 2020 vor allem im Ruhrgebiet öffentlich bekannte Graue Wölfe auf CDU-Listen kandidieren, etwa in Duisburg.
Auch Laschets Protegé, die frühere NRW-Integrationsstaatssekretärin und heutige Bundestagsabgeordnete Serap Güler, geriet wegen ihrer Auftritte bei Treffen türkischer Rechtsextremisten vor zehn Jahren in die Kritik. Die Kölner CDU-Politikerin rechtfertigte ihre Teilnahme damals damit, „dass auch andere Politiker eingeladen waren“. Keinem der Anwesenden sei aufgefallen, dass die Grauen Wölfe dort für sich geworben hätten.
Im Jahr 2016 kam es erneut zu parteiinternen Diskussionen, als bekannt wurde, dass die Plattform „Union der Vielfalt - Landesnetzwerk Integration der CDU NRW“ (UDV) unter dem Dach der Union auch Protagonisten der Ülkücü-Bewegung sowie der islamistischen Organisation Milli Görüs vereint. Als stellvertretendes Vorstandsmitglied fungierte Serap Güler. Die Unionspolitikerin fordert inzwischen ein Verbot der Grauen Wölfe nach französischem Vorbild.
Eklat in Köln: Geld für angebliche Rechtsextremistin
In die Extremistenfalle tappte auch die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker . Im Juni 2022 verlieh die Rathauschefin den „Miteinander-Preis für Demokratie und Vielfalt“ an die Ehrenamtlerin Canan Durna. Stolz nahm die Mülheimerin den mit 1000 Euro dotierten Scheck entgegen. Eine Auszeichnung für ihr soziales Engagement in der Obdachlosenhilfe, unter anderem beim Verein „Merhaba und Mahlzeit“. Tatsächlich scheint die Stadtspitze den Wolf im Schafspelz geehrt zu haben. Ein Reporter der „Welt“ deckte die dunkle Seite der angeblich „bekennenden türkischen Rechtsextremistin“ auf.
Auf ihrem Facebook-Account fanden sich demnach Bilder einer durchgestrichenen israelischen Flagge. Dazu der Slogan: „Nieder mit Israel“. Außerdem soll sie dem Gründer der rechtsextremen türkischen MHP, Alparslan Türkes, gehuldigt haben. Eine Partei, die heute als Steigbügelhalter des türkischen Präsidenten Recep Tayyib Erdogan gilt. Türkes ging auch als Gründer der Grauen Wölfe in die Geschichte ein.
Auf einem Kongress des Türkischen Bundes 1996 in der Essener Grugahalle rief der rechtsextreme Parteiführer zum Marsch durch die Institutionen auf. Türkes empfahl, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen und in die Parteien einzutreten. Am besten in die CDU, denn die rechtsextremen Parteien seien zu unbedeutend - und den Türken nicht wohlgesonnen. Der Verein Merhaba wies diese Darstellung vehement zurück. Durna sei alles andere als „rechtsextrem oder antidemokratisch“. Diese Aussage widerspricht nach Informationen von FOCUS online allerdings Erkenntnissen des Staatsschutzes.
Die Stadt Köln teilte auf Anfrage mit, extremistische Aktivitäten der Preisträgerin seien nicht bekannt. Alle Kandidaten seien vor Beratung in der Jury anhand öffentlich zugänglicher Quellen auf Echtheit, Plausibilität und Passung zu den Ausschreibungsrichtlinien überprüft worden. „Eine Abfrage beim Verfassungsschutz zählte nicht dazu“, so eine Pressesprecherin. „Eine Aberkennung des Preises sahen die Statuten bislang nicht vor. In Folge unter anderem der benannten Ergebnisprüfung und in Abwägung juristischer Risiken wurde Frau Durna der Preis nicht aberkannt.“