Angriffe in Ostukraine - Moskaus Truppen bleiben in Belarus
Kiew/Moskau/München (dpa) - Inmitten schwerer Spannungen im Ukraine-Konflikt bleiben russische Truppen nach Angaben aus Minsk vorerst doch in Belarus. Laut belarussischem Verteidigungsminister Viktor Chrenin sollen gemeinsame Militärübungen angesichts des Konflikts mit dem Westen fortgesetzt werden.
Die Entscheidung hätten Russlands Präsident Wladimir Putin und der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko beschlossen, sagte der Minister. Beide hatten sich am Freitag und Samstag in Moskau getroffen.
Die Nato reagiert besorgt auf diese Entscheidung. Der Generalsekretär der Militärallianz, Jens Stoltenberg, sagte am Sonntagabend im ARD-«Bericht aus Berlin», Russland habe versprochen, Truppen aus der Grenzregion zur Ukraine abzuziehen, stocke sie aber tatsächlich auf. Es seien mehr Soldaten nahe der Grenze.
Zudem gebe es offensichtlich Bemühungen, in der Ostukraine einen Vorwand für einen russischen Einmarsch zu inszenieren. Stoltenberg sagte weiter, es sei nicht zu spät für einen Kurswechsel Russlands. «Aber das Risiko eines Angriffs steigt.»
Manöver wird fortgesetzt
Ein Manöver der Länder Russland und Belarus, die beide an die Ukraine angrenzen, sollte am Sonntag zu Ende gehen. Schon seit Januar laufen kleinere gemeinsame Übungen, die werden nun jedoch den Angaben aus Minsk zufolge fortgesetzt. Im Westen wird befürchtet, dass Russland im Zuge des Manövers in Belarus einen Einmarsch in die Ukraine vorbereitet. Die Militärführungen beider Länder betonten dagegen immer wieder, die Truppenverlegung habe reinen Übungscharakter, sei für niemanden eine Bedrohung und stehe im Einklang mit internationalem Recht.
«In Europa riecht es sehr stark nach Pulver. Es wird gezielt in einen Krieg getrieben», sagte der belarussische Verteidigungsminister. Nach seiner Ansicht sind weitere gemeinsame Übungen mit Russland auch vor dem Hintergrund der angespannten Lage in der Ostukraine notwendig.
Zuspitzung in den Konfliktgebieten
Derweil spitzt sich die Situation in den Gebieten an der Frontlinie im Osten der Ukraine weiter zu. Die von Russland unterstützten Separatisten in den Gebieten Donezk und Luhansk teilten mit, seit Mitternacht seien mehrfach Dörfer beschossen worden. Zwei Zivilisten seien den Angaben nach getötet worden.
Die ukrainische Armee berichtete ihrerseits von Dutzenden Verstößen der Aufständischen gegen den geltenden Waffenstillstand. Am Samstag meldete die Armee den Tod zweier Soldaten der Regierungstruppen. Beide Seiten gaben einander die Schuld für die Gewalt. Angaben aus dem Konfliktgebiet lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
In den ostukrainischen Gebieten Donezk und Luhansk unweit der russischen Grenze kämpfen seit 2014 vom Westen ausgerüstete Regierungstruppen gegen von Russland unterstützte Separatisten. UN-Schätzungen zufolge sind bereits mehr als 14.000 Menschen getötet worden, zumeist im Separatistengebiet. Ein Friedensplan von 2015 unter deutsch-französischer Vermittlung wird nicht umgesetzt.
Zahl der Verstöße steigt
Nach Einschätzung internationaler Beobachter steigt die Zahl der Verletzungen des Waffenstillstands massiv. In der Region Luhansk seien 975 Verstöße festgestellt worden, darunter 860 Explosionen, hieß es in einer Mitteilung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Nacht zum Sonntag. Für die Region Donezk wurden 591 Verstöße gemeldet, darunter 535 Explosionen. Diese Zahlen bezogen sich auf die Lage am Freitag.
Das russische Ermittlungskomitee kündigte nach dem Tod zweier Bewohner des Dorfes Pionerskoje (Suchodil) im Gebiet Luhansk an, ein Strafverfahren einzuleiten. Die Separatisten veröffentlichten Bilder eines völlig zerstörten Wohnhauses. Sie warfen der Armee vor, unweit der russischen Grenze versucht zu haben, über den Fluss Siwerskyj Donez vorzudringen. Belege legten sie aber nicht vor.
Die Separatisten warnten zudem davor, dass der Mobilfunk und das Internet ausfallen könnten. Dann ließe sich für Beobachter die Situation vor Ort noch schwieriger beurteilen, hieß es. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) zeigte sich angesichts der Entwicklung «sehr besorgt» und appellierte an die Konfliktparteien, mehr Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zu nehmen.
Münchner Sicherheitskonferenz berät
Die neuen Gefechte und die schweren Spannungen zwischen Russland und dem Westen bestimmten am Wochenende auch die Gespräche bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte am Rande des Treffens am Samstagabend in den ARD-«Tagesthemen»: «Alle Zeichen deuten darauf hin, dass Russland einen vollständigen Angriff auf die Ukraine plant.» Er sprach von einem fortgesetzten militärischen Aufmarsch. «Es werden keine Truppen zurückgezogen, wie Russland das angibt, sondern es kommen neue Truppen hinzu.»
Russland hat nach westlichen Angaben weit mehr etwa 150.000 Soldaten an der Grenze zum Nachbarland Ukraine zusammengezogen. Die Führung in Moskau streitet Angriffspläne aber ab.
Deutliche Worte fand auch der britische Premierminister Boris Johnson: «Ich muss leider sagen, dass der Plan, den wir sehen, vom Ausmaß her etwas ist, das wirklich der größte Krieg in Europa seit 1945 sein könnte», sagte er der BBC. «Alles deutet darauf hin, dass der Plan in gewisser Weise schon begonnen hat.»