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Russlands Opposition muss sich neu sortieren

Trauermarsch für den ermordeten Oppositionspolitiker Nemzow am Sonntag in Moskau. Foto: Sergei Ilnitsky

Russland ist nach der Ermordung von Kremlkritiker Boris Nemzow immer noch im Schock. Zehntausende Menschen hatten sich am Sonntag in der russischen Hauptstadt zu einem Trauermarsch für den früheren Vizeregierungschef vereint, der am späten Freitagabend in Sichtweite des Kremls hinterrücks erschossen worden war.

Trauerkundgebungen gab es auch in vielen anderen russischen Städten, darunter St. Petersburg oder Nischni Nowgorod. Der Sarg Nemzows wird im Sacharow-Menschenrechtszentrum aufgebahrt, wo die Menschen nach orthodoxem Brauch Abschied nehmen können. Morgen ist die Beisetzung auf dem Prominentenfriedhof Trojekurowo geplant.

Die schwerste Bluttat seit Jahren löste in Russland, aber auch international Entsetzen aus. Am Tatort auf der Großen Moskwa-Brücke legten Menschen am Wochenende unzählige Blumensträuße nieder. Sie stellten Kerzen auf, brachten Ikonen. Auf Plakaten waren Aufschriften zu sehen wie «Ich fürchte mich nicht», aber auch «Ich fürchte mich - wer ist der Nächste?». Unabhängige Beobachter sprachen von etwa 55 000 Teilnehmern an dem Trauermarsch, die Polizei gab die Zahl dagegen nur mit 21 000 an.

Die Fahndung nach dem Schützen, für dessen Ergreifung die Behörden eine Belohnung von drei Millionen Rubel (rund 45 000 Euro) aussetzten, verlief bisher ergebnislos. Der Kreml geht von einem Auftragsmord aus. Die Hintergründe der Tat waren auch am Sonntag unklar. Nach Angaben der Ermittler feuerte der Täter aus einer Makarow-Pistole mehrere Schüsse ab. Die vier Schüsse, die Nemzow gegen 23.30 Uhr (21.30 Uhr MEZ) trafen, seien alle tödlich gewesen, hieß es.

Russlands Präsident Wladimir Putin würdigte in einem Beileidstelegramm an die Mutter von Nemzow die Verdienste des früheren Regierungsmitgliedes. «Es wird alles getan, damit die Organisatoren und Täter dieses hässlichen und zynischen Mordes ihrer verdienten Strafe zugeführt werden», schrieb Putin. Er lobte seinen Gegner als aufrichtigen Menschen. «Boris Nemzow hat seine Spur in der Geschichte Russlands hinterlassen, in der Politik und im gesellschaftlichen Leben.»

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hoffte auf eine rasche Aufklärung der Tat, auch wenn frühere Fälle Zweifel erlaubten, ob das «mit der erforderlichen Transparenz geschehen ist». Eine offene Aufklärung sei «die einzige Möglichkeit für Russland, auch jeden Verdacht auf die russische Führung abzulenken», sagte Steinmeier am Sonntag im «Bericht aus Berlin» der ARD.

Die CSU rief Russland dazu auf, jetzt im Umgang mit Kritikern ein klares Zeichen zu setzen. «Erforderlich ist eine klare Distanzierung von der gefährlichen Überzeugung, politisch Andersdenkende wären vogelfrei», sagte CSU-Vize und Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt der «Rheinischen Post».

Nemzow gehörte zu den bedeutendsten Gegnern von Präsident Putin. Nur wenige Stunden vor seiner Ermordung hatte er seine scharfe Kritik an dem Kremlchef bekräftigt. «Der gewichtigste Grund der Krise ist, dass Putin eine sinnlos aggressive, für unser Land und für viele Bürger tödliche Politik des Krieges gegen die Ukraine begonnen hat», sagte er dem regierungskritischen Sender Echo Moskwy.

Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko schlug unterdessen vor, die Straße an der russischen Botschaft in Kiew nach Nemzov umzubenennen. «Ich bin dafür, dieses Zeichen zu setzen», schrieb Klitschko in einem Gastbeitrag für die «Bild»-Zeitung. «Als Geste für Boris, dass wir ihn nie vergessen werden. Und in der Hoffnung, dass sich mehr Menschen in Russland für Frieden in der Ukraine einsetzen.»

Video-Aufnahme im Fernsehen

Ermittlungsbehörde

Putins Beileidschreiben