FDP-Chef fordert „Wirtschaftswende“ - „Neoliberale Phrasendrescherei“: Ampel-Partner kritisieren Lindners Wirtschaftspapier
Ein neues 18-seitiges Grundsatzpapier von Finanzminister Christian Lindner könnte die Krise der Koalition weiter verschärfen. Darin fordert Lindner eine „Wirtschaftswende mit einer teilweise grundlegenden Revision politischer Leitentscheidungen“. Nun reagieren die Koalitionspartner auf das Papier.
Der Finanzminister drängt auf mehrere Sofortmaßnahmen und lehnt Änderungen an der Schuldenbremse sowie neue Sondervermögen strikt ab. „Deutschland braucht eine Neuausrichtung seiner Wirtschaftspolitik, die quantitativ bedeutsam und grundsätzlicher Art ist“, heißt es darin. Das Konzept liegt dem „Stern“ vor. Der FDP-Chef geht mit dem Papier auf Konfrontation zu den anderen Koalitionspartnern, denn das Schreiben enthält Forderungen, die in der Koalition bislang als unverhandelbar galten.
Aus der SPD kommt Kritik: „Nur neoliberale Phrasendrescherei“
Grünen-Chef Omid Nouripour hat skeptisch auf das neue Grundsatzpapier von Lindner zur Ampelpolitik reagiert. „Wir Grüne sind jederzeit bereit, ernst gemeinte Vorschläge der Koalitionspartner zum Wohle unseres Landes zu diskutieren“, sagte Nouripour dem Nachrichtenportal „t-online“. „Zum Ergebnis kommt man am Ende dann, wenn die Vorschläge der Ernsthaftigkeit der Lage gerecht werden.“
Aus der SPD-Bundestagsfraktion kommt deutlich schärfere Kritik. Der SPD-Abgeordnete Nils Schmid bezeichnete Lindners Papier als „inhaltlich sehr allgemein; wenn es konkret wird, nicht vereinbar mit dem Koalitionsvertrag. Nur neoliberale Phrasendrescherei“. Der SPD-Haushaltspolitiker Andreas Schwarz riet Lindner, „nicht einen öffentlichen, unabgestimmten Überbietungswettbewerb an großteils nicht finanzierten Wohltaten“ zu beginnen.
Der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Rosemann, sagt gegenüber dem „Tagesspiegel“: „Wir brauchen jetzt keine Papiere, sondern gemeinsames Handeln, um der Industrie schnell zu helfen und Sicherheit zu geben. Vor allem brauchen wir keine Opposition in der Regierung“.
"Das Papier ist eine Nebelkerze”, sagte der Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch gegenüber „t-online“. „Wichtiger wäre es, dass sich der Finanzminister um den Haushalt kümmert. Die Lindner-Lücke liegt schon jetzt im zweistelligen Milliardenbereich. Nun schlägt der Finanzminister vor, die Lindner-Lücke um einen weiteren hohen Milliarden-Betrag zu vergrößern.“
Lindner schlägt Sofortmaßnahme beim Solidaritätszuschlag vor
So fordert Lindner in seinem Papier den sofortigen Einstieg in die Abschaffung des Solidaritätszuschlags und substantielle Änderungen an laufenden Gesetzesvorhaben, um Industrie und Mittelstand zu entlasten. „Die deutsche Wirtschaft benötigt umgehend neuen finanziellen und regulatorischen Spielraum, um auf ihre veränderten Rahmenbedingungen eigenverantwortlich reagieren zu können“, schreibt Lindner.
„Als Sofortmaßnahme sollte der Solidaritätszuschlag, der überwiegend von Unternehmen, Selbständigen, Freiberuflern sowie Hochqualifizierten gezahlt wird, entfallen“, heißt es. „Verfassungsrechtliche Bedenken sowie die alleinige Entscheidungsfreiheit des Bundes ohne Beteiligung des Bundesrates legen dies nahe. Er sollte in einem ersten Schritt im Jahr 2025 um 2,5 Prozentpunkte auf 3 Prozent abgesenkt werden. In einem zweiten Schritt könnte er im Jahr 2027 dann vollständig entfallen.“
Lindner: „Sofortiges Moratorium zum Stopp aller Regularien“
Begleitend bringt Lindner eine Senkung der Körperschaftssteuer ins Spiel. „Um die Glaubwürdigkeit dieser Politik zu stärken, sollte zudem die Körperschaftsteuer in einem ersten Schritt unmittelbar im Jahr 2025 signifikant um zwei Prozentpunkte reduziert werden. Die weiteren Schritte sollten spätestens in 2027 und 2029 folgen.“ Für einen beschleunigten Bürokratieabbau drängt Lindner auf ein „sofortiges Moratorium zum Stopp aller Regulierungen“ für die nächsten drei Jahre. Betroffen wären demnach auch Gesetze, die die Koalition noch plant und vor allem von der SPD vorangetrieben werden.
„Neue Gesetzesvorhaben sollten entweder ganz entfallen oder, wo dies nicht möglich ist, so ausgestaltet sein, dass Bürokratie und Regulierung durch das Vorhaben sinken und keinesfalls steigen. Das gilt insbesondere für die vom Bundesminister für Arbeit und Soziales vorgelegte Fassung des Tariftreuegesetzes, für das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das Entgelttransparenzgesetz, das Beschäftigtendatengesetz und die arbeitgeberfinanzierte Familienstartzeit.“ Lindner betont: „Sie alle passen in der aktuell diskutierten Form nicht zu den Herausforderungen des aktuellen wirtschaftlichen Umfelds.“
Papier kommt zu einem äußerst sensiblen Zeitpunkt
Das Papier kommt zu einem äußerst sensiblen Zeitpunkt, weil sich die Koalitionspartner in der Wirtschaftspolitik völlig verhakt haben und in der Ampel der Glauben daran schwindet, dass sie bis zum Ende der Legislaturperiode hält. Das Schreiben Lindners liest sich auch als Zumutung für die Grünen. Ohne Wirtschaftsminister Robert Habeck namentlich zu nennen, knöpft sich Lindner dessen wirtschaftspolitische Vorstellungen vor. Lindner stellt zudem die nationalen Klimaziele in Frage.
„Es hilft dem Klimaschutz nicht, wenn Deutschland als vermeintlicher globaler Vorreiter möglichst schnell und folglich mit vermeidbaren wirtschaftlichen Schäden und politischen Verwerfungen versucht, seine Volkswirtschaft klimaneutral aufzustellen“, schreibt der Minister.