Schlafen im Elternbett - Was mit Kindern passiert, die nicht alleine schlafen lernen

<span class="copyright">Getty Images/iStockphoto</span>
Getty Images/iStockphoto

Werden Kinder verwöhnt, wenn sie dauernd im Elternbett schlafen? Welche Auswirkungen hat es, wenn Kinder immer in der Nähe der Eltern einschlafen? Experten erklären, warum man sich hierüber keine Sorgen machen sollte.

Mitten in der Nacht hörst du die kleinen, tappenden Füße. Gleich wird die Schlafzimmertür aufgehen. Ein kleiner Körper wird über deinen Rücken krabbeln und dir dabei einen unsanften Tritt verpassen.

Du rutschst bis ans äußere Ende der Matratze, die Bettdecke gerät außer Reichweite. Aber das macht nichts. Denn kurz darauf hörst du die tiefen Atemzüge deines Kindes, das längst wieder eingeschlafen ist. Friedlich und sicher zwischen seinen Eltern.

Manchmal machst du dir Sorgen über diese nächtlichen Besuche. Fragst dich, ob du dein Kind verwöhnst und fürchtest, dass es vielleicht noch Jahre dauern wird, bis es alleine durchschläft. Lass dich beruhigen: Deinem Kind wird es gut gehen.

Es ist völlig normal, dass Eltern zusammen mit ihren Kindern in einem Bett schlafen - die Natur hat es so vorgesehen. Trotzdem ist das Familienbett ein Thema, das immer wieder Diskussionen auslöst.

Ab wann Kinder nicht mehr im Elternbett schlafen sollten, erfahren Sie oben im Video.

Besonders verbreitet ist der Irrglaube, dass Kinder, die im selben Zimmer oder gar in einem Bett mit den Eltern schlafen, später zu verwöhnten Daumenlutschern ohne Rückgrat heranwachsen.

Einige Eltern fürchten Spätfolgen, wenn ihr Kind nicht von klein auf lernt, allein zu schlafen.

Und schließlich ist da die Angst vor dem plötzlichen Kindstod, den viele immer noch mit dem sogenannten Co-Bedding in Verbindung bringen. Obwohl es keine eindeutigen Belege dafür gibt, ist der Zusammenhang doch fest in den Köpfen verankert.

Stattdessen deuten neue wissenschaftliche Untersuchungen darauf hin, dass Kinder im Bett der Eltern sogar sicherer schlafen als im eigenen Zimmer.

Das Problem sind eher die Erwachsenen

„Die Debatte um die Gefährlichkeit des Elternbetts in Deutschland ist von Zutaten geprägt, die eine echte Debatte erschweren: Ängste, Emotionen, kaum nachprüfbare Informationen“, sagte Kinderarzt Herbert Renz-Polster aus Baden-Württemberg. „Mit der schlimmsten Sorge, die Eltern haben können, nämlich dass sie ihr Kind schädigen könnten, wenn sie ihrem eigenen Herzen folgen, stehen viele Eltern in Deutschland heute alleine da“.

Diskussionen kommen möglicherweise gar nicht erst zustande, weil Eltern fürchten, für ihre Entscheidung verurteilt zu werden.

Eine Umfrage aus Großbritannien zeigte beispielsweise, dass ungefähr jede zweite Mutter ein Geheimnis daraus macht, dass sie ihr Baby mit ins Bett nimmt - aus Angst vor dem Urteil anderer Mütter.

Es ist also ganz offensichtlich an der Zeit, mit ein paar Vorurteilen über Familienbettkinder aufzuräumen.

1. Im Familienbett schlafen Kinder so, wie es die Natur für sie vorgesehen hat

In der Nähe ihrer Eltern schlafen Babys und Kleinkinder am besten. Die Natur hat es so vorgesehenen, dass das Bindungssystem aktiviert wird, wenn ein Baby müde ist. Es braucht Nähe und sucht den Kontakt zu seinen Eltern.

Ein Blick in die Menschheitsgeschichte erklärt, warum das so ist: Ohne Schutz eines Erwachsenen hätten Babys damals nicht lange überlebt - schon gar nicht, während sie schlafen.

Unsere Kultur und unsere Lebensumstände hätten sich in den vergangenen 10.000 Jahren zwar dramatisch verändert, „aber dass Babys Schutz, Muttermilch und Körperwärme brauchen, ist gleich geblieben“, sagte Nicola Schmidt, Autorin des Buchs „artgerecht - Das andere Babybuch“.

Hinzukommt, dass menschliche Babys physiologische Frühgeburten sind. Sie müssten eigentlich drei bis sechs Monate länger im Mutterleib bleiben, das geht aber nicht, weil ihr Kopf dafür zu groß ist.

„Sie sind noch nicht fertig, sie müssen nachreifen“, sagte Schmidt FOCUS Online. „Mindestens in dieser Zeit müssen wir den Kindern also alles geben, was sie brauchen und eigentlich noch viel länger, damit sie zu ihrem eigentlichen Reifestadium kommen können.“

Und dazu gehört besonders viel Nähe - gerade dann, wenn das Kind im Schlaf die Kontrolle über Körper und Sinne abgibt.

Lesen Sie auch:

2. Familienbettkinder haben die entspannteren Eltern

„Auch Menschenmütter tragen das Erbe in sich, dann am besten zur Ruhe zu kommen, wenn ihr Kleines sicher und geborgen neben ihnen liegt“, schreiben Herbert Renz-Polster und Nora Imlau in ihrem Buch „Schlaf gut, Baby!“.

„Heute wissen wir, dass nicht nur kleine Kinder nachts aufwachen und sich versichern, nicht allein zu sein. Auch Mütter, die neben ihren Babys schlafen, wachen nachts regelmäßig kurz auf und überprüfen unbewusst, ob es ihrem Kind gut geht.“

Aber auch Väter profitieren vom Familienbett, denn ihr Schlaf wird nicht dadurch gestört, dass die stillende Mutter nachts aufsteht. Babys, die schnell versorgt werden, beruhigen sich auch viel schneller wieder, sodass weder Mutter noch Vater richtig wach werden und dann möglicherweise Schwierigkeiten haben, wieder einzuschlafen.

„Die ganze Familie bekommt mehr Schlaf“, bestätigt Sarah Ockwell-Smith, Kinderschlafexpertin und Autorin gegenüber FOCUS Online. „Und es ist eine wundervolle Möglichkeit, eine Bindung zueinander aufzubauen.“

3. Familienbettkinder sind meist intelligenter

Co-Sleeping-Kinder werden Untersuchungen zufolge in der Nacht häufiger gestillt. Und das tut ihrer Gesundheit extrem gut.

„Babys sind von der Natur aus für Nachtstillen ‘gedacht’; denn nur nachts hatte die ‘Ur’- Mutter viel Zeit zum Stillen. Nachts ist auch das Prolaktin viel höher als am Tag, und das Oxytocin fließt besser“, erklärt Still-Beraterin Elisabeth Kurth auf ihrer Website.

Das Hormon Oxytocin beeinflusst unter anderem das Verhältnis zwischen Mutter und Kind. Prolaktin ist das Hormon, das für die Milchproduktion in der Brust verantwortlich ist.

Das nächtliche Stillen wirkt sich zudem positiv auf die Intelligenz des Kindes aus:

„Ich sag immer, nehmt die Kinder mit ins Bett, ihr spart euch hinterher den Nachhilfeunterricht. Denn Kinder, die häufig und lange gestillt werden, haben nach aktueller Studienlage einen bis zu zehn Punkte höheren IQ. Wir wissen nicht genau warum, aber es ist so“, sagte Schmidt FOCUS Online.

Lesen Sie auch:

4. Familienbettkinder schlafen sicherer

Viele Eltern haben Angst, dass der plötzliche Kindstod droht, wenn sie ihre Babys mit ins Bett nehmen.

Eine Studie des britischen Kindstod-Forschers Peter Blair zeigt jedoch, dass diese Angst unbegründet ist.

Die Studie beruht auf sehr guten und aktuellen Daten, und Blair kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Sofern alle bekannten Risikofaktoren vermieden werden, stellt das Schlafen mit Baby keine Gefahr dar.

Als Risikofaktoren gelten laut Schmidt dicke Kissen, zu weiche Matratzen oder Wasserbetten, aber auch Depressionen der Eltern, Drogen, Medikamente, postpartale Depression der Mutter, sowie extremes Übergewicht.

„Das Baby sollte an der äußeren Seite des Bettes neben der Mutter und auf Höhe ihrer Brust schlafen“, sagte Ockwell-Smith der Huffington Post. „Lange Haare sollten beim Co- Bedding zusammengebunden werden und Nachthemden sollten keine losen Bänder haben.“

Werden diese Faktoren beachtet, schlafen Babys im Bett der Eltern aber sogar sicherer als in ihrem eigenen Zimmer: „Wir wissen, dass in Co-Sleeping-Familien, wenn die Mutter stillt, das Risiko des plötzlichen Kindstods geringer ist als in anderen Familien“, sagte Schmidt.

Wem das Risiko des Co-Beddings, also des gemeinsamen Schlafens im Familienbett, zu hoch ist, sollte zumindest das Co-Sleeping in Erwägung ziehen.

Co-Sleeping bedeutet, dass das Baby im selben Zimmer wie die Eltern, aber im eigenen Bettchen schläft.

„Jeder sollte sein Kind im gleichen Zimmer schlafen lassen, es sei denn, er ist starker Raucher und raucht auch im Schlafzimmer. Denn Rauchen erhöht nachweislich das Risiko für plötzlichen Kindstod“, sagte Schmidt.

Babys nehmen auch im Schlaf die Gerüche, Geräusche und die Bewegungen wahr, die aus dem Elternbett kommen.

Das ist wichtig, weil es die Kleinen davon abhält, in einen zu tiefen Schlaf zu fallen. Forscher gehen davon aus, dass ein zu tiefer Schlaf gefährlich sein kann. Das Nervensystem der Kleinen ist noch nicht vollständig ausgereift, was es ihnen erschwert, auf Atemaussetzer oder andere gefährliche Situationen angemessen zu reagieren.

„Es ist besser, wenn die Babys - so wie es in den letzten 120.000 Jahren der Menschheitsgeschichte auch war - mit anderen zusammen schlafen, damit ihr Nervensystem in der Nacht nachreifen kann und es durch die Pheromone, die Gerüche, den Atem und die Bewegungen der Eltern geschützt wird“, sagt Schmidt.

Lesen Sie auch:

5. Familienbettkinder empfinden Schlaf als angenehm

Kinder, die im Bett der Eltern einschlafen dürfen, sind darüber hinaus auch entspannter. Denn Sie empfinden Schlaf als angenehme, kuschelige Erfahrung.

Babys, die zum Beispiel durch Schreienlassen „trainiert“ werden, damit sie alleine im eigenen Bett einschlafen, stehen dagegen die ganze Nacht unter Stress.

„Es ist anzunehmen, dass diese Anspannung die Kinder auch mit in den Schlaf begleitet, schließlich nehmen sie ja gerade auf der ersten Strecke des Schlafes die Welt noch mit einem halben Auge wahr“, schreiben Renz-Polster und Imlau.

„Messungen des Stresshormons Cortisol deuten tatsächlich darauf hin, dass Babys, die sich in den Schlaf schreien müssen, auch während der weiteren Nacht ‘unter Strom’ stehen.“

Babys, deren Ur-Bedürfnisse - und dazu gehört nun einmal die Nähe der Eltern - befriedigt werden, sind generell entspannter und entwickeln auch im Kleinkindalter eine positivere Haltung zum Schlafengehen.

6. Sie gewöhnen sich das Elternbett selbst ab

Wer offen zugibt, dass er seinen Kindern erlaubt, im Elternbett zu schlafen, sieht sich schnell mit Kritik konfrontiert. „Den kriegst du nie wieder aus dem Bett“, heißt es dann oft. Aber stimmt das wirklich?

„Es gibt zwei Effekte, die wir bei Co-Sleepern haben und die manche Leute vielleicht nicht so positiv finden: Sie schlafen häufig später als andere, trainierte Kinder alleine ein und sie schlafen später alleine durch“, sagte Schmidt FOCUS Online.

„Aber wenn Co-Sleeping-Kinder erst einmal aus dem Elternbett ausgezogen sind, dann kommen sie in der Regel auch nicht wieder.“

Auch Renz-Polster und Imlau empfehlen, es entspannt anzugehen. Irgendwann wolle jedes Kind im eigenen Bett schlafen. Mit etwa drei Jahren befänden Kinder sich in der sogenannten Autonomie-Phase und verspürten dann ganz automatisch den Drang, im eigenen Bett zu schlafen.

„Wollen Eltern mit ihrem Baby nur in den ersten Lebensmonaten die Matratze teilen, können sie ihr Kind am besten um den siebten Lebensmonat herum ans eigene Bett gewöhnen.

In diesem Alter haben Babys schon viel Urvertrauen entwickelt, fremdeln aber noch nicht: Ein guter Zeitpunkt, um sanft eine neue Abendroutine zu entwickeln.“

Lesen Sie auch:

7. Familienbettkinder sind keinesfalls verwöhnt

Ein weiterer Irrglaube, der sich beim Thema Kinderschlaf in die Köpfe geschlichen hat, betrifft die Angst vor dem Verwöhnen.

Erziehungsexpertin Schmidt hat darauf eine eindeutige Antwort: „Kinder unter zwei Jahren kann man nicht verwöhnen, denn zu viel Liebe gibt es nicht“, sagte sie FOCUS Online.

„Verwöhnen bedeutet ja, dass ich etwas tue, was das Kind auch selber könnte. Sicher schlafen kann das Kind nicht selbst und das heißt, wenn ich dafür sorge, dass das Kind sicher schläft, verwöhne ich das Kind nicht.“

Kinderarzt Renz-Polster ist offenbar derselben Auffassung. Er entkräftet das Gerücht durch einen sehr anschaulichen Vergleich:

„In [Afrika und Asien] werden die kleinen Menschlein gestillt, sobald sie einen Mucks machen. Wenn sie weinen, ist immer gleich jemand zur Stelle. Sie schlafen nachts an der Seite ihrer Mutter. Und getragen werden sie so ziemlich die ganze Zeit. Das volle Verwöhn-Programm! Und doch fehlt von verwöhnten Kindern jede Spur, im Gegenteil: die Kinder sind relativ früh selbstständig, übernehmen als Jugendliche Aufgaben für die Familie und kommen mit dem Leben gut klar.“