Schlechte Stimmung bei der DB - Lokführer rechnet mit Bahn-Chefs ab: „Die da oben gehören allesamt entlassen“
Tiefrote Zahlen, katastrophale Pünktlichkeitswerte und ein marodes Netz – das schlägt sich auch auf die Stimmung in der Belegschaft der Deutschen Bahn nieder. FOCUS online hat mit Mitarbeitern über ihren Arbeitsalltag gesprochen.
Nach der schlechten Halbjahresbilanz will die Deutsche Bahn bis 2024 Kosten sparen – und in den nächsten Jahren 30.000 Vollzeitstellen streichen. Auch im operativen Bereich, etwa bei den Zugbegleitern.
„Das ist ein Schlag ins Gesicht jedes Mitarbeiters“, kritisiert ein Lokführer. FOCUS online hat mit mehreren Angestellten im Nah- und Fernverkehr über das Betriebsklima und ihren Arbeitgeber gesprochen. Auch Einblicke in Chats und Unternehmensforen zeigen ein verheerendes Bild.
Die Deutsche Bahn betont auf Anfrage, dass der Schwerpunkt der Sparmaßnahmen bei der Verwaltung liege und es möglichst keine Entlassungen geben solle. Seit 2019 sei der Konzern von 211.000 auf 236.000 Mitarbeiter gewachsen, rechnet ein Sprecher vor. Die für dieses Jahr geplanten rund 25.000 Neueinstellungen erfolgten vor allem im operativen Bereich, die 6000 Nachwuchskräfte seien ein Rekordwert.
Sprecher der Deutschen Bahn: „Wir müssen mehr Bahn mit weniger Menschen schaffen“
„Wir investieren in die Zukunft“, betont der Sprecher. An anderer Stelle müsse aber gegengesteuert werden, um Kosten zu senken und produktiver zu werden. Standardisierung, Digitalisierung und Automatisierung nennt er als Schlagworte. Um es mit den Worten von Finanzvorstand Levin Holle zu sagen: „Wir müssen mehr Bahn mit weniger Menschen schaffen.“
Doch das sei kaum zu schaffen, warnen die eigenen Mitarbeiter. Die geplanten Personalschlüssel für Zugbegleiter seien bei hoher Auslastung nicht zu bewältigen. „Das ist verantwortungslos gegenüber den Kollegen“, sagt der vorhin erwähnte Lokführer.
Das Zugpersonal sei weder für das marode und überlastete Netz noch für die Baustellen und die daraus resultierenden Verspätungen verantwortlich. Jahrelang sei auf Kosten von Qualität und Zuverlässigkeit gespart und das Netz verkleinert worden – und trotzdem zahlte der Konzern den Verantwortlichen weiterhin hohe Boni.
Von der Deutschen Bahn heißt es dazu: „Ein Mix aus Grundgehalt und erfolgsabhängiger Vergütung ist in der Wirtschaft gängige Praxis.“ Sie verweist auf Tarif- und Arbeitsverträge.
Lokführer: „Das macht einen beschissenen Eindruck“
Worin dieser Erfolg bestehen soll, lässt sie allerdings offen. Die Ziele dafür seien so niedrig gesteckt, dass sie mühelos erreichbar seien, kritisiert ein Lokführer: „Das macht einen beschissenen Eindruck gegenüber allen Mitarbeitern.“
Bei den Kollegen im Zug oder in der Infrastruktur wäre das Geld seiner Meinung nach deutlich besser aufgehoben. Stattdessen würden die Lokführer immer wieder in den Arbeitskampf gedrängt, um ihre Forderungen annähernd durchzusetzen.
„Die da oben gehören allesamt entlassen. Sie kriegen das Missmanagement nicht in den Griff“, schlussfolgert der Lokführer frustriert. In einer WhatsApp-Gruppe kommentiert ein anderer Mitarbeiter ebenfalls die Bonuszahlungen scharf: „Ich kann gar nicht beschreiben, was für eine Wut ich auf den Arbeitgeber mittlerweile habe.“
Die Reaktion: In der Konzernzentrale verweist ein Sprecher lediglich auf den erfolgreichen Tarifabschluss – nach langen Streiks und hitzigen Verhandlungen.
Bahn-Sprecher: „Betriebliche Lage ist nicht so, wie wir es uns wünschen“
In Berlin sind sich die Verantwortlichen der miesen Stimmung aber offenbar bewusst. „Die betriebliche Lage bei der Deutschen Bahn ist angespannt und nicht so, wie wir es uns wünschen“, räumt ein Sprecher ein. Das bekämen auch die Mitarbeiter zu spüren, „die tagtäglich einen fantastischen Job machen und ihr Bestes geben“.
In internen Foren und Chats bekommt man ein Bild davon, wie gedrückt die Stimmung tatsächlich ist. Die Angestellten wirken zermürbt von ihrer tagtäglichen Arbeit: „Wir scheitern kläglich an unserem Tagesgeschäft“, schreibt ein Mitarbeiter.
Statt sich in Nebensächlichkeiten zu verstricken, solle sich auf das Wesentliche konzentriert werden, so der allgemeine Tenor. „Unser Betrieb ist nicht in der Lage, einfachste alltägliche Probleme zu lösen“, kommentiert ein anderer und spricht von einem „zeitweisen Kindergarten“.
„Wir stehen kurz vor dem Abgrund und eine App soll es richten“, spottet ein anderer. Auch die als chaotisch empfundene Einsatzplanung ist immer wieder Gegenstand von Kritik.
Streckennetz überlastet: Problem über Jahre entstanden
In einem Punkt nehmen die Beschäftigten ihren viel gescholtenen Arbeitgeber aber in Schutz. „Das Netz ist gerade sehr ausgelastet“, sagt eine Lokführerin im Nahverkehr. Das Problem sei über Jahre entstanden und lasse sich nicht einfach so lösen.
Oft entstünden Verspätungen, weil die Fernzüge Vorrang hätten – aber sie seien es am Ende, die den Frust der verspäteten Fahrgäste zu spüren bekommen. „Manche stehen kopfschüttelnd am Gleis und tippen auf die Uhr am Handgelenk. Das ist unangenehm“, sagt sie. Am meisten stören sie aber Schichtlängen von bis zu zwölf Stunden.
Auch externe Baufirmen sorgen immer wieder für Probleme auf den Baustellen und damit für Verspätungen, ergänzt der Lokführer im Fernverkehr. Zumal die Bahn auch von politischen Entscheidungen abhängig sei.
Unwetter wie im Mai könne die Bahn ebenfalls nicht beeinflussen, sondern müsse auf das Chaos reagieren. „Wir versuchen alles, um euch pünktlich von A nach B zu bringen“, betont er und wünscht sich mehr Verständnis. Außenstehende verstünden oft nicht, was alles zum Beruf gehöre, ergänzt ein anderer Lokführer, sie selbst seien oft nur mit wenigen Informationen ausgestattet.
„Das ist für mich ein absolutes No-Go, das demotiviert“
Die zahlreichen Großprojekte, die in den kommenden Jahren zur Modernisierung des Netzes anstehen, sieht der Fernverkehrsfahrer als Schritt in die richtige Richtung. Auch der jüngste Tarifabschluss macht den Beruf in seinen Augen attraktiver. Deshalb störe er sich auch daran, wenn im Konzern alles schlecht geredet wird.
Er selbst habe schon Ausbilder erlebt, die die Deutsche Bahn vor dem Nachwuchs als „Drecksladen“ verunglimpft hätten:„Das ist für mich ein absolutes No-Go, das demotiviert.“
Trotz aller Kritik am Arbeitgeber und den schwierigen Rahmenbedingungen wird in den Gesprächen immer wieder deutlich, dass die Beschäftigten ihre Aufgaben weiterhin erfüllen wollen und auf eine langfristige Besserung hoffen - und dass sie sich dafür auch Anerkennung wünschen.