Ein Irrsinnsvertrag wird zum Alptraum
Gibt es so etwas wie schlechtes Karma? Wendet man sich an einen Fan der Cleveland Browns, wird er diese Frage aktuell wohl mit einem eindeutigen Ja beantworten. Immerhin werden die Wolken immer dunkler über dem FirstEnergy Stadium.
Gerade erst musste sich der Stamm-Quarterback der Browns einer Schulter-Operation unterziehen, die dessen Saison beendete. Daher wurde Joe Flacco verpflichtet, um Rookie Dorian Thompson-Robinson zu unterstützen und notfalls zu übernehmen.
Für ein Team, das aktuell mit sieben Siegen und vier Niederlagen den ersten Playoff-Einzug seit 2020 anpeilt, eine mehr als schlechte Nachricht - zumal mit dem verletzungsbedingten Saisonende von Runningback Nick Chubb bereits ein weiterer Star ausfällt. Noch schlimmer wird es jedoch, wenn man bedenkt, dass es sich bei diesem Quarterback um niemand Geringeres als Deshaun Watson handelt.
Eben jenen Watson, für den die Franchise aus Ohio nicht weniger als die Zukunft riskiert hat. Im März 2022 schickten die Browns fünf Draftpicks zu den Houston Texans, um sich die Dienste des damals 26-Jährigen zu sichern. Darunter befanden sich gleich drei Erstrundenpicks. Aber damit nicht genug: Um Watson lange an Cleveland zu binden, hat man ihm sogar seine No-Trade-Klausel abgekauft.
Watson-Deal verblüfft selbst die Konkurrenz
Dabei haben sich die Browns-Verantwortlichen nicht nur weit aus dem Fenster gelehnt, sondern ein fast schon irrwitzig anmutendes Angebot unterbreitet: einen Fünfjahresvertrag über 230 Millionen Dollar! Die ganze Summe garantiert!
Selbst innerhalb der NFL hatte dieser Kontrakt Verwunderung ausgelöst. Nur wenig später äußerte sich Steve Bisciotti, Besitzer des Divisionsrivalen Baltimore Ravens zu dem Vorgang, den die Browns seiner Meinung nach so nie hätten vollführen dürfen.
Doch nicht nur finanziell ging der viermalige NFL-Champion - alle Titel stammen aus der Vor-Super-Bowl-Ära - all-in. Auch imagetechnisch riskierte man viel. Immerhin liefen zum Zeitpunkt der Verpflichtung nicht weniger als 22 Zivilklagen wegen des Vorwurfs sexuellen Fehlverhaltens. Später kamen noch zwei weitere Klagen hinzu. Am Ende sperrte ihn die Liga für elf Spiele und belegte ihn mit einer Geldstrafe in Höhe von fünf Millionen Dollar.
11,5 Millionen Dollar pro Sieg
Damit absolvierte er für die Browns in seiner ersten Saison lediglich sechs Spiele. Und mehr Einsätze werden es auch in seiner zweiten Browns-Spielzeit nicht werden. In Woche zehn verletzte er sich beim 33:31-Sieg bei den Ravens an der Schulter, was zu bereits erwähnter Operation führte. Teilt man die 230 Millionen Dollar auf die einzelnen Jahre auf, bekommt er 46 Millionen pro Jahr. Damit hat er die Browns bei zwölf Spielen in den bisherigen beiden Spielzeiten über 7,5 Millionen pro Einsatz gekostet.
Schaut man auf seine Zahlen, kommen die Browns in Spielen mit Watson auf acht Siege und vier Niederlagen. Damit mussten für jeden Sieg 11,5 Millionen Dollar auf den Tisch gelegt werden. Immerhin hat das Team mit Watson eine positive Bilanz. Den acht Siegen in zwölf Spielen mit dem Quarterback stehen bislang sieben Niederlagen aus elf Partien in der vergangenen Saison sowie je ein Sieg und eine Niederlage in dieser Spielzeit ohne ihn zu Buche.
Watson liefert unterdurchschnittlich ab
Wirft man jedoch einen genaueren Blick auf die Statistik, werden die Argumente, die für den Deal sprechen, immer dünner. Laut ESPN lieferte Watson unter allen Spielmachern, die mindestens fünf Spiele absolvierten, unterdurchschnittlich ab. Seinen Wert von 105 erfolgreichen Pässen unterboten nur fünf andere Spielmacher. Mit seiner Completion Rate von 61,4 Prozent lässt er ebenfalls nur fünf andere Quarterbacks hinter sich.
Mit 1.115 geworfenen Yards ist er der letzte Passer, der die 1.000-Yards-Marke knackt. Damit sind immerhin sechs Playmaker schlechter als Watson. Etwas besser wird es, wenn man auf die durchschnittliche Yard-Zahl seiner Pässe schaut. Mit einem Raumgewinn von im Schnitt 6,5 Yards liegen immerhin gleich neun Positionskollegen hinter ihm. Nimmt man jedoch seine Yard-Zahl pro Spiel (185,5) ins Auge, lässt er schon wieder bloß fünf Konkurrenten hinter sich.
Alles in allem keine Zahlen, die so einen Vertrag rechtfertigen würden. Zumal bislang nicht Watson verantwortlich war, dass sich die Browns immer noch berechtigte Hoffnungen auf die Playoffs machen dürfen. Vielmehr liegt das an der überragenden Defense, die NFL-weit aktuell die wenigsten Yards pro Begegnung erlaubt haben. In zehn absolvierten Spielen hielt sie den Gegner bereits dreimal bei nur einem Field Goal. Dazu gab es gegen die Arizona Cardinals sogar einen Zu-Null-Sieg.
Browns an Watson gekettet
Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass die Browns schon zweimal über 30 Punkte abgegeben haben, unter anderem beim 33:31-Sieg gegen die Ravens - und dass es in diesem Moment Watson war, der das Ruder herumgerissen hat. In der zweiten Hälfte brachte er jeden seiner 14 Passversuche an den Mann und führte sein Team nach einem 9:17-Rückstand zur Pause doch noch zum Sieg. Insgesamt warf er an diesem Abend für 213 Yards und steuerte höchstpersönlich noch 37 Rushing Yards bei.
Dennoch darf dieses eine Spiel nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Browns-Verantwortlichen mehr vom Watson-Deal versprochen haben. Bei einem Vertrag in dieser Größenordnung kann eigentlich nur der Super Bowl das Ziel gewesen sein - oder zumindest regelmäßig tiefe Playoff-Runs. Bleibt aus Sicht der Cleveland-Fans nur zu hoffen, dass Watson in den restlichen drei Vertragsjahren von Verletzungen verschont bleibt und zu seiner alten Stärke zurückfindet.
Denn eins dürfte ebenfalls klar sein: Mit diesem Vertrag ist es fast unmöglich, sich von Watson vor Vertragsende per Trade oder Buy-out zu trennen. Man ist also auf Gedeih und Verderb an seinen Spielmacher gekettet. Keine guten Aussichten in puncto NFL-Karma in Cleveland!