Schocktherapie für Autofahrer: Ärzte und Hinterbliebene berichten Schülern von Unfällen

Seit 2010 geht die Kölner Polizei mit dem Projekt „Crash-Kurs“ vorwiegend in Schulen.

Sieben Jahre „Crash-Kurs“, 170 Veranstaltungen, 34 000 Zuhörer – eine stolze Bilanz. Seit 2010 geht die Polizei mit dem Projekt vorwiegend in Schulen. Es ist Verkehrserziehung der besonderen Art: Rettungskräfte, Polizisten, Pfarrer, Ärzte, Hinterbliebene und Unfallopfer berichten den Schülern aus erster Hand, welche Folgen ein Verkehrsunfall haben kann – ausgelöst nicht selten durch einen kurzen Moment der Unaufmerksamkeit. Manchmal auch durch Alkohol, Drogen und Übermut am Steuer. Dank für engagierte Mitarbeit Polizeipräsident Jürgen Mathies dankte am Dienstag im Präsidium Teilnehmern des Projekts für ihre engagierte Mitarbeit. „Nicht nur mir geht der Crash Kurs sehr nahe“, sagte Mathies. „Wir wollen nicht mit Schockvideos für die Gefahren im Straßenverkehr sensibilisieren, sondern hier geht es ums Zuhören.“ Auch in den kommenden Wochen wird der „Crash-Kurs“ an verschiedenen Kölner Schulen fortgesetzt. Die Idee stammt aus England. Die Umsetzung in Köln wird wissenschaftlich begleitet und ausgewertet. Illegale Autorennen sind Thema Erstmals wird bald auch Marita Scheidel im „Crash Kurs“ von ihren Erfahrungen berichten. Sie ist die Mutter der 19-jährigen Miriam, die vor zwei Jahren als Folge eins illegalen Straßenrennens auf dem Auenweg gestorben ist. Sie und vier weitere Teilnehmer des bewegenden Projekts stellt der „Kölner Stadt-Anzeiger“ in Wortprotokollen vor. Catrin Bollig, Unfallopfer, ist seit ihrem Unfall behindert Meine Tochter Catrin ist 2003 bei einem schweren Unfall im Auto mit ihrer Schwester Meike verunglückt. Catrin war 14, saß angeschnallt auf der Rückbank. Meike ist gefahren, sie war 18. Plötzlich sprang von rechts ein Reh auf die Fahrbahn. Meike erschrak, sie verriss das Lenkrad, der Wagen krachte gegen eine Baumreihe. Catrin erlitt ein schweres Schädelhirntrauma. Es folgten zwölf schwere Operationen am Kopf, sie hat zwei Hirnhautentzündungen überstanden. Ein Jahr und sieben Monate lag Catrin im Wachkoma. Zwischenzeitlich wussten wir nicht, ob sie noch einmal aufwachen würde. Heute ist sie 28 Jahre alt. Ich war viermal mit ihr in den USA zur Delfintherapie. Catrin kann sich zwar noch an vieles erinnern, was vor dem Unfall war. Aber sie weiß nicht, welcher Wochentag heute ist, welches Jahr wir haben. Sie hat kein Kurzzeitgedächtnis mehr. Unser Gespräch wird sie gleich draußen am Auto schon wieder vergessen haben. Aber sie lebt, das ist das wichtigste. Sie arbeitet in einer Werkstatt in Brühl. Meike ist lange Zeit psychologisch betreut worden. Sie kämpft bis heute darum, mit dem Unfall und den Folgen fertig zu werden. Sie macht sich immense Vorwürfe. Ich tue das nicht. Meike hat keine Schuld an dem Unfall. Der bewegendste Moment bei meinem Vortrag vor den Schülern ist der, wenn ich Catrin auf die Bühne hole. Sie liest dann einen Text ab, wünscht den Schülern Glück für ihre Zukunft. Und sie sagt ihnen, dass sie immer gut auf sich aufpassen sollen. Bernd Geßmann, Feuerwehrmann, muss Personen aus den Unfallwagen bergen Ich sehe das Bild noch heute genau vor mir: Ein Ford Ka war gegen einen Baum gekracht. Unter dem Auto ragten die Beine einer jungen Frau hervor. Sie war tot. An einem Autofenster klemmte eine Deutschlandfahne, es war eine helle Sommernacht während der Fußball-WM 2010 – eine gruselige Atmosphäre. Ich war Einsatzleiter und unter dem Stichwort „Person eingeklemmt“ zu dem Unfall auf der Neusser Landstraße gerufen worden, zwischen Worringen und Fühlingen. Auf der Rückbank des Ka lag eine weitere junge Frau. Ich erinnere mich, wie der Notarzt den Kopf schüttelte. Das hieß: Auch sie hatte es nicht geschafft. Zwei Tote also. Am Steuer hatte ein junger Mann gesessen, er war 18. Ich fragte ihn, wie viele Menschen in dem Auto waren. Er antwortete: fünf, vielleicht auch sieben. Er wirkte ganz cool, stand wahrscheinlich unter Schock. Weil wir nur fünf Insassen sahen und von sieben ausgehen mussten, suchten wir die Felder ab. Auch ein Hubschrauber wurde eingesetzt, aber wir fanden niemanden mehr. Ich bin seit 36 Jahren Feuerwehrmann und habe viele Unfälle miterlebt. Alpträume hatte ich deswegen noch nicht. Ich denke, das geht so lange gut, wie man keinen der Beteiligten persönlich kennt. Vom Projekt „Crash-Kurs“ bin ich total überzeugt. Ich hatte mich damals mal erkundigt, ob es das auch an der Schule meines Sohnes gibt. Gab es nicht, aber so hat man mich direkt angesprochen, ob ich nicht mitmachen will. Wenn deshalb nur einer seinen Fuß vom Gas nimmt, hat sich das schon gelohnt. Bernd Flamming, Notfallseelsorger, überbringt Angehörigen die Todesnachricht Für das Überbringen einer Todesnachricht gibt es kein Patentrezept. Meistens bitte ich zunächst mal, hereinkommen zu dürfen. Dann frage ich, ob wir uns irgendwo hinsetzen können. Ich weiß ja, was gleich kommt. Das Überbringen der Nachricht ist eine hoheitliche Aufgabe, dafür ist die Polizei verantwortlich. Aber als evangelischer Seelsorger werde ich oft dazugerufen. Ich teile mir die Aufgabe mit Kollegen, das ist ein ökumenisches Projekt. Alarmiert werde ich von der Feuerwehr. Ich fahre dann sofort los, auch nachts, wir sind in Bereitschaftsdiensten organisiert. Die Menschen reagieren unterschiedlich auf die Nachricht, dass ein enger Angehöriger gestorben ist. Manche sind danach erstmal nur still. Diese Sekunden kommen mir furchtbar lang vor, aber das muss man aushalten. Andere sacken in sich zusammen. Wieder andere schreien und schmeißen sich auf den Boden. Ich weiß, dass ich niemanden wirklich trösten kann, der zum Beispiel gerade sein Kind verloren hat. Was ich tun kann, ist da sein. Zuhören. Auch mal schweigen. Oft kommen auch Fragen nach dem weiteren Ablauf, etwa wie das jetzt mit der Rechtsmedizin läuft. Polizisten oder Rettungskräfte haben einen kleinen Vorteil: Sie sind nach so einem Einsatz zusammen auf der Wache, können miteinander sprechen. Ich fahre alleine nach Hause. Wäre ich nicht so religiös, wäre das manchmal nur schwer auszuhalten. Es mag vielleicht naiv klingen, aber eines Tages werde ich bei Gott sein, und dann wird er mir alles erklären. Achim Strobel, Polizist Ich habe in meinem beruflichen Leben bislang ungefähr 40 Unfalltote gesehen. Bei der Arbeit versuche ich, die schlimmen Bilder auszublenden. Ich bin dann total fokussiert, konzentriert auf meine Aufgabe. Unser Verkehrsunfall-Aufnahmeteam wird nur zu schweren Unfällen gerufen. Wir müssen im Detail herausfinden, wie sich ein Unfall ereignet hat. Das ist zu vergleichen mit der akribischen Tatortarbeit der Kripo. Aber nicht immer gelingt es allen Kollegen, die Eindrücke vom Unfallort auszublenden. Ich erinnere mich an einen Unfall auf der Autobahn 1 bei Burscheid. Ein junges Paar. Er war 20, saß am Steuer. Die beiden hatten sich gerade getrennt, er wollte sie noch nach Hause bringen, nur zehn Minuten Fahrt. Er hatte Kokain genommen. Auf der Autobahn drückte er plötzlich wie verrückt aufs Gas. Seine Freundin geriet in Panik, schrie, er solle langsamer fahren. Er hielt auf dem Standstreifen, stieg aus. Ging über die Fahrbahn, stieg in der Mitte auf eine kleine Betonmauer – und sprang in den Gegenverkehr. Seine Freundin sah alles mit an. Sieben Autos haben den jungen Mann überrollt. Sie können sich vorstellen, was das mit einem Körper macht. Die Atmosphäre unter den Rettungskräften und Polizeibeamten am Unfallort war extrem angespannt. Es gab Kollegen, die fielen danach ein oder zwei Wochen aus. Meine Botschaft im „Crash-Kurs“ ist: Niemals Drogen und Alkohol am Steuer. Und wenn sich einer betrunken hinters Steuer setzt: Sprecht ihn darauf an – und steigt niemals mit ein. Marita und Thomas Scheidel verloren ihre Tochter durch Raser Unsere Tochter Miriam wurde am 14. April 2015 auf dem Auenweg durch ein auf den Fahrradweg schleuderndes Auto so schwer verletzt, dass sie drei Tage später in der Uni-Klinik starb. Mein Mann und ich hatten uns danach bei der Polizei erkundigt, wie wir uns in der Unfallprävention einbringen können. Denn ich bin überzeugt: Ohne Prävention geht es nicht. Und ich denke, man muss ganz unten anfangen, also bei den Fahranfängern, bei denjenigen, die gerade ihren Führerschein machen. Ich will sie darauf hinweisen, was alles passieren kann, und welche Folgen falsches Verhalten haben kann. Bislang habe ich bei „Crash-Kurs“ nur hospitiert, aber bald werde ich meinen ersten eigenen Vortrag halten. Ich werde den Schülern von Miriam erzählen. Von dem Unfalltag, über die Tage im Krankenhaus am Bett meiner Tochter. Ich werde erzählen, was der Unfall mit uns als Familie gemacht hat, wie wir damit leben müssen. Ich werde nicht frei sprechen, das schaffe ich glaube ich nicht. Ich habe mir etwas aufgeschrieben, das lese ich vor. Danach zeige ich eine kurze Diashow – Bilder von Miriam aus guten Zeiten, aber auch vom Unfall, aus dem Krankenhaus und von ihrer Beerdigung. Alles mit Musik unterlegt. Mir ist klar, dass ich damit nicht alle Schüler erreichen kann, aber vielleicht einen Teil von ihnen. Und wenn es nur ein ganz geringer Prozentsatz ist – das ist immer noch besser als nichts....Lesen Sie den ganzen Artikel bei ksta