Scholz wirbt für Europa "auf Augenhöhe" mit anderen Weltregionen
In einer Grundsatzrede zum Europatag hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für ein Europa "auf Augenhöhe" mit anderen Weltregionen geworben. Das Friedensprojekt der Europäischen Union stehe im Kontrast zu dem "Machtgehabe" des russischen Präsidenten Wladimir Putin, sagte Scholz am Dienstag im Straßburger Europaparlament. Bei der anschließenden Debatte schlug dem Kanzler teils scharfe Kritik auch aus den "Ampel"-Reihen entgegen.
In seiner Ansprache warb Scholz für eine "geopolitische Europäische Union", die es mit Russland, aber auch China aufnehmen könne. Die USA blieben dabei "Europas wichtigster Verbündeter", betonte der Bundeskanzler. Er spielte damit auf Äußerungen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron an, Europa dürfe kein "Mitläufer" werden.
In Bezug auf Peking erklärte Scholz, "Rivalität und Wettbewerb" hätten "seitens Chinas ohne jeden Zweifel zugenommen". In Berlin war währenddessen der chinesische Außenminister Qin Gang zu Gast bei Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne).
Dem "Traum europäischer Weltmacht" erteilte Scholz eine Absage. Wer "nationale Großmachtfantasien bedient, der steckt in der Vergangenheit", unterstrich der Kanzler.
Das europäische Friedensprojekt stehe "im klaren Kontrast zu dem Säbelrasseln in Moskau", hatte Scholz zuvor bei einer Pressekonferenz mit EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola betont. Bei der Moskauer Militärparade zum Gedenken an den Sieg über Nazi-Deutschland 1945 hatte Putin dem Westen vorgeworfen, "Krieg" gegen Russland zu führen.
Scholz bekräftigte in Straßburg zudem Forderungen seiner ersten europapolitischen Rede an der Prager Karls-Universität im vergangenen August. So benötige die EU "mehr Ratsentscheidungen mit qualifizierter Mehrheit in der Außenpolitik und bei Steuern", um Blockaden unter den Mitgliedsländern durch das Prinzip der Einstimmigkeit zu verhindern. Solche Reformen seien unabdingbar für ein "großes Europa" mit möglichen Neumitgliedern wie der Ukraine oder den Westbalkanländern, sagte Scholz.
Zugleich äußerte der Kanzler die Hoffnung, die Reform des europäischen Asylsystems nach langen und schwierigen Verhandlungen noch vor der Europawahl im Juni des kommenden Jahres "unter Dach und Fach zu bringen".
In der anschließenden Parlamentsdebatte wurde teils scharfe Kritik am Bundeskanzler laut: "Wir brauchen keine weiteren Grundsatzreden mehr", sagte der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), der CSU-Politiker Manfred Weber. "Europa braucht Führung." Diese sei weder bei Scholz noch bei Macron sichtbar.
Auch die Grünen als "Ampel"-Koalitionspartner stellten Scholz ein schlechtes Zeugnis aus: "Der Bundeskanzler hat eine Chance vertan", kritisierte der Sprecher der Grünen-Europagruppe, Rasmus Andresen. "Wir brauchen einen Bundeskanzler, der leidenschaftlich für unsere europäische Demokratie kämpft und bereit ist, über seinen Schatten zu springen", sagte er.
Der deutsche Linken-Parteichef Martin Schirdewan, der Ko-Vorsitzender der Linksfraktion im Europaparlament ist, warf Scholz einen "Irrweg" hin zu "Aufrüstung und Militarisierung" vor. "Wir brauchen eine Zeitenwende für soziale Gerechtigkeit", forderte er in Straßburg.
Der Europatag am 9. Mai erinnert an eine Rede des früheren französischen Außenministers Robert Schuman im Jahr 1950. Darin schlug er als Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg eine Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) vor. Diese gilt als die erste Vorläufer-Institution der heutigen EU.
lob/ju