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"Schulz kann beim Thema Sicherheit nur verlieren"

Herr Krieger, was bedeutet der Terroranschlag in London für den Wahlkampf in Deutschland?
Er wird vor allem den Konservativen und Rechtspopulisten nutzen. Zuletzt ging es in der öffentlichen Debatte vor allem um Trump und Erdogan. Die Themen Terrorismus, Flüchtlinge und Sicherheit waren nicht so präsent. Nach den Attacken in Berlin hatte man das noch ganz anders erwartet. Jetzt wird sich die öffentliche Meinung wieder drehen, jetzt wird wieder viel über Sicherheit und Terror gestritten werden.

Die Stunde der Scharfmacher?
Ja, das ist nach jedem Terroranschlag so. Die Bürger verlangen dann nach Sicherheit – und bei dem Thema ist die Union traditionell besser aufgestellt. Aber auch den Rechtspopulisten wird das Auftrieb geben. Sie können jetzt wieder mit den Ängsten der Menschen spielen.

Und Martin Schulz?
Er kann beim Thema Sicherheit eigentlich nur verlieren. Schulz hat bislang vor allem über soziale Gerechtigkeit geredet. Wofür er in der Sicherheitspolitik steht, weiß keiner. Wenn er jetzt schärfere Gesetzte oder mehr Polizei fordert, passt das nicht zu seinem Image und wirkt unglaubwürdig. Gar nichts sagen geht aber auch nicht. Im Zweifel wenden sich die Wähler in solchen Situationen wieder den klassischen Sicherheitsparteien zu.

Kann er gar nichts tun?
Schulz könnte vielleicht das Thema Prävention und Integration besetzen und argumentieren, dass sich Terroranschläge dadurch viel nachhaltiger verhindern lassen. Das wäre sinnvoll und glaubwürdig. Ob die Wähler das goutieren würden, ist eine andere Frage.

Es ist noch ein halbes Jahr bis zur Bundestagswahl. Was würde passieren, wenn es bis dahin einen Terroranschlag in Deutschland gäbe?
Wir würden einen massiven und scharfen Wahlkampf über Sicherheitsthemen erleben – und zwar über alle Parteien hinweg. Nach den Anschlägen in Berlin gab es dafür schon einen Vorgeschmack. Da standen bei der Urwahl der Grünen Politiker auf der Bühne und haben über verschärfte Sicherheitspolitik geredet. Das waren Leute, die wahrscheinlich in ihrem ganzen Leben noch nie so geredet hatten. Aber in der Situation spürten sie den Druck, es so machen zu müssen. Wenn es bis zur Wahl im September einen Anschlag in Deutschland gibt, werden sich die Parteien mit schärferen Sicherheitspolitiken überbieten – bis hin zur Linkspartei.

Bringen die Forderungen nach härterer Sicherheitspolitik etwas?

Es spricht auf jeden Fall den Wähler an – und das ist im Wahlkampf das Entscheidende. Die Frage ist aber: Werden all die Forderungen denn auch umgesetzt? Ich glaube: Bis zur Wahl wird da in Deutschland wenig passieren.

In ihrem Blog schreiben sie, das parteipolitische Wettrüsten um die schärfste Sicherheitspolitik beschädige die Demokratie? Warum soll ein Wettbewerb um die beste Politik gefährlich sein?
Es wird immer dann gefährlich, wenn sich die Parteien gegenseitig hochschaukeln. Wer hat die schärfste Sicherheitspolitik im Angebot? Wer macht die krasseste Anti-Terror-Politik? Das Problem dabei ist, dass man für so eine Politik meistens einen Buhmann braucht, einen, auf den man die Schuld abwälzen kann. Das sind oft die Moslems, der Islam. Genau das wollen die Terroristen erreichen. Sie brauchen diese Konfrontationslinie, um neue Attentäter anzuwerben. Denen können sie dann erzählen: Die ganze Gesellschaft hasst euch – deswegen müssen wir gegen sie kämpfen.

Wie sähe eine verantwortungsvolle Reaktion der Politik aus?
Der Staat muss der Bevölkerung klar machen, dass er terroristische Anschläge mit der vollen Härte des Gesetzes verfolgt und bestraft. Er muss seinen Bürgern zeigen, dass er alles tut, um Anschläge zu verhindern. Und er muss bei all dem kompetent wirken. Die Leute können damit leben, wenn ein Anschlag passiert, obwohl alle ihr Bestes gegeben haben, um ihn zu verhindern. Wenn aber wie im Fall Amri verheerende Fehler gemacht werden, dann beschädigt das die Glaubwürdigkeit der wehrhaften Demokratie enorm. So etwas darf nicht passieren.

KONTEXT

Pressestimmen zu den Anschlägen von London

The Independent

„In den vergangenen Monaten ist die Rhetorik der religiösen und ethnischen Spaltung weltweit lauter geworden - angesichts der jüngsten Verluste der IS-Terrormiliz auf dem Schlachtfeld ist das vielleicht paradox. Die Bemerkungen von US-Präsident Trump über Muslime und sein Versuch, einen Einreisestopp gegen sie zu verhängen, haben die Spannungen verschärft. Der diplomatische Streit der Türkei mit Deutschland und den Niederlanden führte dahin, dass der türkische Präsident Erdogan von einem „heiligen Krieg“ in Europa redet. Hass facht Terrorismus an, doch er wird auch in wachsendem Maße zu einer politischen Währung. Diese jüngste Gräueltat darf nicht zur Rechtfertigung weiterer rhetorischer Exzesse dienen.

Wie immer besteht die richtige Reaktion auf Terroranschläge darin, zuerst an die Opfer zu denken, die dabei getötet oder verletzt wurden, zu trauern und all jene zu unterstützen, die von dieser sinnlosen Gewalt getroffen wurden. Doch mehr noch als das müssen wir als Gesellschaft mit dem normalen Leben weitermachen, einander Stärke geben und vereint gegen Extremismus in allen seinen Formen vorgehen.“

NZZ

„Was wird Großbritannien aus diesem traumatischen Ereignis machen? Die Betroffenheit und die Solidarität sind groß, doch ebenso groß ist die Entschlossenheit, das Leben im gewohnten Rahmen fortzusetzen. Die britische Gesellschaft wird sich durch solche Gewaltakte nicht verunsichern lassen. Dafür ist das Selbstverständnis als traditionelles Bollwerk für Freiheit, Demokratie und Wehrhaftigkeit in der Bevölkerung viel zu stark verankert.

Ein weiterer Gedanke ist tröstlich: Anschläge wie dieser könnten jeden Tag an zahllosen Orten des Landes durchgeführt werden. Dass es nicht viel häufiger passiert, belegt, dass die Sicherheitskräfte und Nachrichtendienste bei der Terrorbekämpfung gut arbeiten. Denn dass Großbritannien mit seinem Selbstverständnis als westliche Großmacht und nach den jüngsten Kriegseinsätzen im Nahen Osten eine prominente Zielscheibe für islamistische Anschläge ist, ist unbestritten.“

De Standaard

„Die Gesellschaft kann nicht jedes Risiko ausschließen. Es gibt kein Sicherheitssystem, das nicht - und sei es auch nur für einen Augenblick - von einem Terroristen überwunden werden kann, der bereit ist, bei seinem Anschlag zu sterben. Damit zu leben müssen wir nicht mehr lernen, das haben wir inzwischen akzeptieren und einkalkulieren müssen. (...)

Auf den ersten Blick scheinen die Terroristen im Vorteil zu sein. Nichts ist leichter, als den gewohnten Gang der Dinge mit blinder Gewalt zu stören. Aber es hat sich mittlerweile auch gezeigt, dass sich nichts schneller verschleißt, als so ein Anschlag auf den Alltag. Das soll nicht das Leid der Überlebenden und ihres Umfelds relativieren. Ihr Leben ist für alle Zeit erschüttert, oft gar zerstört. Das Mitgefühl mit ihnen wird nicht geschmälert durch den festen Willen der Gesellschaft, weiterzumachen und sich nicht aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen.“

Guardian

„Das direkte Ziel dieses Angriffs vor dem Parlament war das Herz der britischen Demokratie. Vielleicht war sogar beabsichtigt, die Premierministerin persönlich zu treffen. Der Tag mit der Fragestunde der Premierministerin im Unterhaus ist der einzige, an dem ihr öffentliches Auftreten allen lange bekannt ist. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass dieser Angriff - ähnlich wie jener in Berlin kurz vor Weihnachten - einfach ein Versuch war, ein europäisches Machtzentrum zu treffen. (...) Dieser neue Angriff war lange erwartet worden. Er ist kein Akt des Krieges. Wir dürfen nicht zulassen, dass er uns auseinandertreibt. Das Ziel des Terrors ist es, Hass und Spaltung zu verbreiten. Der erste Schutz davor muss unsere Solidarität sein.“

The Times

„Westminister Palace, das Herz der britischen Demokratie, ist angegriffen worden. Nicht mit einer ausgeklügelten Cyberoperation, sondern mit den plumpesten Waffen: einem rasenden Auto, das von einem Mann mit einem Messer gesteuert wurde. Die Spur der Toten und Verletzten reichte von der Westminster Bridge bis zu den Toren des Parlaments - als ein Zeichen, wie sehr die Kriege der Welt heutzutage unsere Art zu leben beeinträchtigen. (...) Obwohl man erst wenig über den Hintergrund des Angriffs in Westminister weiß, ist klar, dass er Merkmale der Aktion eines „einsamen Wolfs“ aufweist, wozu die zahlreichen Propagandakanäle der Terrororganisation IS ständig auffordern. Am Tag der Bastille im vergangen Jahr hat ein Lastwagenfahrer in Nizza 86 Menschen getötet. Einige Monate später wurde in Berlin ein gestohlener Lkw in einen Weihnachtsmarkt gesteuert, wobei 12 Menschen getötet und 56 weitere verletzt wurden. Das Niederwalzen von Unschuldigen hatte gestern zwar ein geringeres Ausmaß, aber die Absicht war klar: Ein nationales Symbol sollte getroffen werden, um Verachtung für demokratische Traditionen zu zeigen.“

Lidove noviny

Zum Terroranschlag in London schreibt die konservative Zeitung „Lidove noviny“ aus Tschechien:

„Wir wissen noch nicht, was den Täter von London bewegt hat. Möglicherweise war er Mitglied einer Terrororganisation. Oder es war jemand, der sich radikalisiert hat. Oder ein Mensch, der durchgedreht ist. In jedem Fall war es ein Terrorakt - im ursprünglichen Wortsinn, Angst zu verbreiten. (...) Es gibt kein schnelles und wirksames Rezept dagegen. Vielleicht würde es für den Anfang genügen, wenn man aufhören würde, den Populismus als Symbol für alles Böse zu brandmarken. Sicherlich ist Hysterie eine irrationale, unheilvolle und gefährliche Sache. Doch sie wird weniger von den Populisten, als vielmehr von Gefahren wie dieser ausgelöst, die immer bedrohlicher werden.“

Républicain Lorrain

Zum Terroranschlag in London schreibt die französische Regionalzeitung „Le Républicain Lorrain“ (Metz):

„Der Krieg der Symbole fordert wirkliche Opfer. Gestern hat ein Terrorist in London vorsätzlich Leben ausgelöscht. (Sein) einziges Ziel war, eine Botschaft zu senden: Auch wenn wir geschwächt sind, können wir immer noch das Herz eurer westlichen Hauptstädte angreifen.

Es ist kein Zufall, dass diese schaurige Zeichen genau ein Jahr nach der Tragödie von Brüssel kommt. Es ist ebenfalls kein Zufall, dass der Tag mit dem Treffen der internationalen Koalition gegen den Islamischen Staat zusammenfällt. (...)

Auch wenn die Koalition Daech (anderer Name für Islamischer Staat) zurückweichen lässt, wird sie rissig. Weder Mossul noch Rakka sind bisher gefallen. In Gedanken sind die regionalen Mächte bereits mit der Aufteilung der Ruinen beschäftigt.“

Corriere della Sera

Die italienische Tageszeitung „Corriere della Sera“ beschäftigt sich mit dem mutmaßlichen Terroranschlag:

„Das Herz von London ist verwundet. In den vergangenen zwei Jahren haben sich die Kriegsakte nach dem Muster des fundamentalistischen Islams vermehrt, die wir nicht sehen wollten. (...) Wir haben versucht, nicht darüber nachzudenken, die Besorgtheit davonzujagen, wir wollten nicht Gefangene der Angst werden. Aber das Attentat von London erinnert uns daran, dass unsere Hoffnungen hohl sind. Dass die Attacken weitergehen, dass der Fluss des Blutes nicht auszudörren ist. (...) Wir laufen Gefahr, uns an den Terror zu gewöhnen und ihn als Teil unseres Lebens zu begreifen, der dazu gehört und nicht ausgemerzt werden kann. (...) Mit London aber, das am Parlament getroffen wurde, ist es noch schwieriger, so zu tun, als wäre nichts gewesen, und als würde man nicht merken, dass dieser einseitige Krieg, ausgelöst durch den religiösen Fanatismus, niemals enden wird. Es ist ein unterschwelliger Krieg, der nicht aufhören wird, Trauer und Schrecken zu sähen.“

El País

Zum Terroranschlag in London schreibt die linksliberale Madrider Zeitung „El País“:

„Der Anschlag auf das Westminster-Parlament ist eine klare Mahnung, dass niemand vor Terroranschlägen gefeit ist (...) Wir stehen vor einem eindeutigen Beweis, dass in dieser globalisierten Welt weder eine Insellage noch die Isolation zusätzlichen Schutz vor Terror bieten. Großbritannien macht zur Zeit einen komplexen und in verschiedener Hinsicht auch traumatischen Prozess der Neubestimmung durch, der sowohl die nationale Identität als auch die internationalen Allianzen betrifft. Der Schock des Terrorismus sollte uns nun alle daran erinnern, dass ungeachtet aller Differenzen in Bezug auf den Brexit, die sehr tiefgreifend und nicht leicht zu überwinden sind, wir einen einzigen Raum der Freiheit, des Wohlstands und der Sicherheit teilen und wir alle die Pflicht haben, diesen zu bewahren.“