Schwarz-rote Tauschfantasie: Mindestlohn und keine Steuererhöhung

Die Union setzt in einer großen Koalition ihr Tabu zu Steuererhöhungen durch und die SPD bekommt den Mindestlohn. Wenn es so einfach wäre.

CDU-Vize Volker Bouffier nennt es einen Gedanken mit Charme: Die Union setzt in einer großen Koalition ihr Tabu zu Steuererhöhungen durch und die SPD bekommt den Mindestlohn. Wenn es so einfach wäre. 

Wenn das Wetter je ein Omen war, kann man sagen: Schwarz-Grün stand im Regen, für Schwarz-Rot scheint noch die Sonne. Jedenfalls gingen die 21 Sondierer von Union und SPD am Donnerstag zum dritten Mal in Folge bei Sonnenschein in die Parlamentarische Gesellschaft in Berlin. Bei den beiden Treffen mit den Grünen hatte es geschüttet. 

Politisch hellte die Stimmung bei der SPD ausgerechnet der sonst gern querschießende CSU-Chef Horst Seehofer auf. Er signalisierte via "Süddeutscher Zeitung" schon vor dem Gespräch über eine große Koalition Entgegenkommen bei ihrem Leuchtturmprojekt Mindestlohn. Zwar stellte er dafür Bedingungen und pochte auf die schon immer von der Union geforderten Ausnahmen, er nahm aber die magischen 8,50 Euro pro Stunde in den Mund. CDU-Vize Volker Bouffier nannte einen Deal Mindestlohn gegen Verzicht auf Steuererhöhungen beim Reingehen in die Parlamentarische Gesellschaft einen "Gedanken mit Charme". 

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Das Angebot muss nach Seehofer-Lesart keineswegs bedeuten, dass es überall in Deutschland einen Mindestlohn von 8,50 geben würde. "Wünschenswert wäre immer, differenzieren zu können, entweder nach Regionen oder Branchen", sagt Seehofer und damit nichts anderes, als CDU und CSU bisher immer gefordert haben. Außerdem dürften keine Arbeitsplätze gefährdet werden. Das predigt Bundeskanzlerin Angela Merkel seit Wochen - erst am Mittwoch wieder: "Wir müssen aufpassen, dass wir darüber nicht Arbeitsplätze vernichten." 

Und dann ist da noch die Tarifautonomie, die Merkel in den Tagen vor dem neuerlichen Treffen mit der SPD auffallend oft und deutlich hervorgehoben hat: "Ich habe als Ansinnen ganz klar eine Stärkung der Tarifautonomie." Kann es somit keinen Kompromiss mit der SPD geben, die auf der gesetzlichen Einführung eines Mindestlohns besteht? Doch, denn Kompromisse sind der Kitt für Koalitionen. 

Entweder könnte es eine gesetzliche Festlegung auf 8,50 Euro mit Ausnahmen vermutlich vor allem in Ostdeutschland geben, die dann von einer Kommission aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern ausgehandelt werden würden. Oder aber eine Tarifkommission macht Vorschläge, die der Bundestag in Gesetzesform gießt. Eins dürfte aber klar sein: Irgendwo müssen 8,50 Euro stehen. 

Für SPD-Chef Sigmar Gabriel ist Seehofers Vorstoß ein Geschenk, das es dem SPD-Konvent am Sonntag einfacher machen dürfte. Er entscheidet schließlich über grünes Licht für Koalitionsverhandlungen mit der Union. 

Viele Unionspolitiker sind von dem Ringen über die bloße Aufnahme von Verhandlungen genervt. Details kläre man nicht schon in den Sondierungen, sondern in Verhandlungen, meinen sie. Außerdem glauben sie, dass die zähe Debatte bei der SPD nicht im Sinne der Wähler sei. Eine große Koalition werde dadurch extrem negativ dargestellt, was ihren Chancen und Möglichkeiten nicht gerecht werde. 

In der SPD setzt sich immerhin zunehmend die Erkenntnis durch, ihr Absturz auf 23 Prozent nach der großen Koalition 2009 in hohem Maße selbst verschuldet zu haben - Stichwort: Verschleiß von drei Vorsitzenden, schlechte Kommunikation der Rente mit 67. Um es dieses Mal besser zu machen, will die SPD klare Erfolge. 

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Zum 150-jährigen Bestehen würde man gerne den Ruf als Partei der sozialen Gerechtigkeit stärken. Eben durch einen Mindestlohn und gleiches Geld für Leiharbeiter wie für die Stammbelegschaft. Damit würden auch eigene Fehler bei der Agenda 2010 korrigiert, die nicht mit Mindestlöhnen abgefedert worden war und Niedriglöhne begünstigt. Damals seien auch die Gewerkschaften, die um ihre Tarifautonomie fürchteten, dagegen gewesen, erinnert SPD-Mann Peer Steinbrück. 

Es könnte womöglich auch noch zum Problem werden, wenn schon in der Sondierung konkrete Einigungsmodelle herauskämen. Bis Sonntag ist es eine lange Zeit, in der die Flügel der SPD heftig schlagen und Stimmung machen können, wenn sich a) abzeichnen sollte: keine sofortige Einführung von 8,50 Euro in Ost und West. Und b): Verzicht auf Steuererhöhungen für Reiche als Entgegenkommen an die Union. 

Aus dem SPD-Vorstand verlautete, eine denkbare Variante sei, dem Konvent am Sonntag konkrete Bedingungen vorzuschlagen, die in jedem Fall in Koalitionsverhandlungen durchgesetzt werden sollen. So könnte den 200 Delegierten leichter ein Ja abgerungen werden. Am Ende will die SPD ohnehin noch ihre rund 470 000 Mitglieder über einen Koalitionsvertrag abstimmen lassen. Merkel und Seehofer müssten sich auf ein neues Ringen in den Verhandlungen einstellen - und das obwohl der Union nur fünf Sitze zur absoluten Mehrheit fehlen. (dpa)