Pager-Attacke gegen Hisbollah - „Jetzt-oder-nie“-Moment für Israel: Insider verrät, warum Israel jetzt zuschlug

Libanon, Beirut: Soldaten der libanesischen Armee sichern die Zufahrt eines Krankenwagens zum Gelände des Krankenhauses der American University.<span class="copyright">dpa</span>
Libanon, Beirut: Soldaten der libanesischen Armee sichern die Zufahrt eines Krankenwagens zum Gelände des Krankenhauses der American University.dpa

Mit der zeitgleichen Explosion hunderter Pager ist der pro-iranischen Hisbollah-Miliz im Libanon am Dienstag ein schwerer Schlag zugefügt worden. Verantwortlich für die Attacke war Israel, das aus einem speziellen Grund jetzt zuschlug. Alles Wichtige im Newsticker.

Pager-Explosionen im Libanon: Zahl der Toten auf 12 gestiegen

12.43 Uhr: Bei der gleichzeitigen Explosionen Hunderter Pager im Libanon sind mindestens 12 Menschen getötet und etwa 2.800 weitere verletzt worden. Rund 300 der Verletzten schwebten am Mittwoch in Lebensgefahr, sagte der geschäftsführende libanesische Gesundheitsminister Firas Abiad in Beirut. Unter den Todesopfern seien ein acht Jahre altes Mädchen und ein elf Jahre alter Junge.

„Dies ist ein großer Vorfall, aber die Krankenhäuser sind in der Lage, damit umzugehen“, sagte Abiad. Glücklicherweise habe es nicht allzu viele Tote gegeben. Unter den Verletzten seien auch mehrere Mitarbeiter des Gesundheitssektors.

Mutmaßlicher ungarischer Pager-Hersteller schweigt

11.38 Uhr: Die ungarische Firma BAC Consulting Kft. hat sich zu Informationen, wonach sie die im Libanon explodierten Pager für eine taiwanesische Firma hergestellt haben soll, zunächst nicht geäußert. Ihre Budapester Zentrale war für eine Anfrage der Deutschen Presse-Agentur nicht erreichbar. Zudem konnte die noch bis zum Vormittag funktionierende Homepage dieser Firma nicht mehr geöffnet werden.

Wie die ungarische Internet-Zeitung „24.hu“ berichtete, existiert diese Firma laut ungarischem Firmenregister seit dem Jahr 2022. Sie befasst sich demnach offiziell mit Beratung.

Nach Angaben der Firma Gold Apollo in Taipeh hat die ungarische Firma BAC die Funkgeräte entworfen und gefertigt. „Gemäß einer Vereinbarung ermächtigen wir BAC unser Markenzeichen für den Verkauf von Produkten in bestimmten Regionen zu nutzen, aber Design und Herstellung werden vollständig von BAC übernommen“, teilte Gold Apollo auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit. Auch das in Medienberichten genannte Modell AR-924 werde von BAC produziert und verkauft.

Insider: Pager-Explosionen war ein „Jetzt-oder-nie“-Moment für Israel

Mittwoch, 18. September, 10.19 Uhr: Die Frage, warum Israel die Attacke auf die Pager der Hisbollah jetzt startete, ist derzeit noch offen. Nun gibt eine ehemaliger israelischer Beamter gegenüber dem US-Nachrichtenportal „Axios“Auskunft.

Demnach soll in der israelische Führung in den vergangenen Tagen die Sorge gewachsen sein, dass die Hisbollah die sabotierten Pager entdeckt und die geplante Operation scheitert. Demnach sollen zwei Hisbollah-Agenten in den letzten Tagen Verdacht über die Pager geäußert haben.

Einem anonymen US-Beamten zufolge war es „ein 'Jetzt oder nie'-Moment“ für Israel. Deshalb sei dort entschieden worden, die Waffe lieber jetzt zu nutzen als das Risiko einzugehen, sie zu verlieren.

Wenige Minuten vor der Operation soll Israels Verteidigungsminister Joaw Galant bei seinem US-Amtskollegen Lloyd Austin angerufen und ihn über diese informiert haben. Details dazu wurden nicht genannt.

Sprengstoff in Batterie platziert - so plante Israel die Pager-Attacke

Nach Angaben der libanesischen Regierung wurden mindestens neun Menschen getötet und etwa 2800 weitere verletzt , darunter auch der iranische Botschafter in Beirut.

Die Hisbollah bevorzugt aus Sicherheitsgründen die Nutzung von Pagern , die eine eigene Funkfrequenz nutzen, statt mit Handys Gefahr zu laufen, dass ihre Kommunikation zurückverfolgt, abgehört oder blockiert wird. Experten vermuten, dass Israel die nun explodierten Funkmeldeempfänger der Hisbollah bereits vor ihrer Lieferung an deren Mitglieder manipulierte, um sie alle am gleichen Tag zu einer bestimmten Uhrzeit zur Explosion zu bringen.

Hisbollah soll Pager erst kürzlich erhalten haben

Aus dem Umfeld der Hisbollah heißt es, dass die explodierten Pager erst kürzlich importiert wurden. Die Hisbollah hatte demnach tausend dieser Geräte erhalten, die „an der Quelle sabotiert“ worden seien.

Nach der zeitgleichen Explosion Hunderter Funkempfänger im Libanon hat die in Taiwan ansässige Marke jener sogenannten Pager eine Verbindung zu dem Vorfall von sich gewiesen. Wie der Vorstand von Gold Apollo, Hsu Ching-Kuang, in Neu-Taipeh sagte, trugen die Geräte lediglich das Logo der Firma und wurden nicht seinem Unternehmen in Taiwan gefertigt.

Auf telefonische Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur erklärte Gold Apollo, dass eine in Ungarn ansässige Firma die Funkgeräte entworfen und gefertigt habe. „Gemäß einer Vereinbarung ermächtigen wir BAC unser Markenzeichen für den Verkauf von Produkten in bestimmten Regionen zu nutzen, aber Design und Herstellung werden vollständig von BAC übernommen“, teilte Gold Apollo außerdem mit. Auch das in Medienberichten genannte Modell AR-924 werde von BAC produziert und verkauft.

Um neue Pager mit Sprengsätzen zu versehen, „hätte Israel Zugang zur Lieferkette dieser Geräte gebraucht“, sagt der in Brüssel ansässige Militär- und Sicherheitsexperte Elijah Magnier. Der israelische Geheimdienst habe also offenbar „den Produktionsprozess infiltriert, eine explosive Komponente und Fernzündemechanismen in die Pager eingebaut, ohne Verdacht zu erregen“.

Laut Magnier könnte es sich bei dem Anbieter der Pager sogar um ein Unternehmen gehandelt haben, das der israelische Geheimdienst eigens dafür aufgebaut hat.

Experte: Kleine Menge Plastiksprengstoff in Pager-Batterie eingebaut

Charles Lister von der US-Denkfabrik Middle East Institute sagt: „Das war mehr als Lithium-Batterien, die außer Kraft gesetzt wurden.“ Vielmehr sei höchstwahrscheinlich an der Batterie eine kleine Menge Plastiksprengstoff eingebaut worden, das durch einen Telefonanruf oder ein Funksignal zur Explosion gebracht werden konnte.

„Der Mossad hat die Lieferkette infiltriert“, schlussfolgert Lister mit Blick auf den israelischen Geheimdienst. Für den in Dubai ansässigen Analysten Riad Kahwaji steht fest, dass eine Fabrik in Israels Besitz „diese Sprengsätze hergestellt und geliefert hat, die heute explodiert sind“.

Ehemaliger CIA-Analyst: „Das war ein klassischer Sabotage-Einsatz“

Der ehemalige CIA-Analyst Mike DiMino von der US-Denkfabrik Defense Priorities kommentierte im Onlinedienst X unter Berufung auf Bilder von den Verletzungen im Libanon, ein „sehr kleiner Sprengsatz“ in den Pagern und nicht das Überhitzen der Batterie sei die wahrscheinlichste Explosionsursache. „Das war ein klassischer Sabotage-Einsatz“, schreibt DiMino - und dessen Vorbereitung habe wahrscheinlich „Monate, wenn nicht Jahre“ gedauert.

Das „Wall Street Journal“ berichtete unter Berufung auf mit der Angelegenheit vertraute Kreise, die manipulierten Pager seien Teil einer neuen Lieferung gewesen, die die Hisbollah erst vor ein paar Tagen erhalten habe. Die libanesische Miliz hat Israel bereits „für diese sündhafte Aggression“ verantwortlich gemacht. Israel, das sich generell nicht zu Aktionen der Sicherheitsbehörden außerhalb des Landes äußert, hat dies bislang weder bestätigt noch dementiert.

Pager-Explosionen stellen schweren Schlag für Hisbollah dar

Unklar ist auch, ob die koordinierten Explosionen einen tatsächlichen Krieg zwischen Israel und der Hisbollah auslösen - zusätzlich zum Gaza-Krieg, der nach dem beispiellosen Angriff ausgebrochen war, den die mit der Hisbollah verbündete radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas am 7. Oktober 2023 verübt hatte.

In jedem Fall stellen die Pager-Explosionen einen schweren Schlag für die Hisbollah dar. Sollte Israel dahinter stecken, hat es damit gezeigt, dass seine Macht bis in die Hosentaschen der Hisbollah-Mitglieder reicht.

Mit der Tötung des Hisbollah-Militärchefs Fuad Schukr bei einem Luftangriff am 30. Juli hatte Israel bereits bewiesen, dass es sich genaue Informationen über den Aufenthaltsort eines mächtigen Hisbollah-Anführers verschaffen kann. Nur einen Tag später wurde der Hamas-Chef Ismail Hanija bei einem Besuch in Teheran durch einen Sprengsatz getötet, den Israel dort schon Wochen zuvor platziert haben soll.

Der Verteidigungsexperte Pierre Servent ist der Ansicht, dass der israelische Geheimdienst mit den Pager-Explosionen im Libanon seinen Ruf wiederhergestellt hat, der unter dem Versagen der israelischen Sicherheitsbehörden bei dem Angriff vom 7. Oktober sehr gelitten hatte. „Die Reihe von Einsätzen in den vergangenen Monaten markiert ihr großes Comeback, mit dem Bedürfnis nach Abschreckung und einer Botschaft: 'Wir haben versagt, aber wir sind nicht tot'.“