Schwieriger Umgang - Nach Abschiebe-Flug: Wie die Taliban heimlich näher an Deutschland rücken

Eine Taliban-Delegation ist zu Gast in den vereinigten Arabischen Emiraten.<span class="copyright">WAM/WAM/AP/dpa</span>
Eine Taliban-Delegation ist zu Gast in den vereinigten Arabischen Emiraten.WAM/WAM/AP/dpa

Will die Ampel mehr nach Afghanistan abschieben, muss sie mit den Taliban verhandeln. Im Hintergrund wird schon über Deals mit dem Terror-Regime gesprochen. Doch dazu stehen möchte die deutsche Regierung nicht – aus Angst vor schmutzigen Händen.

Die Bundesregierung hat zwar mit dem Abschiebeflug nach Afghanistan Ende August einen politischen Erfolg erzielt, damit aber auch ein neues Thema aufgebracht. Denn ohne eine Kooperation mit den Taliban wäre die Rückführung der Straftäter nicht möglich gewesen. Politiker und Experten beobachten jetzt ganz genau, wie Deutschland mit dem Terror-Regime in Afghanistan umgeht.

Denn die Taliban sind nicht gewählt und die Menschenrechtslage in dem Land am Hindukusch ist nach wie vor kritisch. Zwar behauptete Taliban-Sprecher Suhail Shaheen im Interview mit FOCUS online, dass nun viel mehr Frauen eine Unternehmer-Lizenz hätten als unter der gestürzten Regierung. Doch erst auf seiner Reise nach Zentralasien in dieser Woche hatte Bundeskanzler Scholz (SPD) „fehlenden Schritte zu einer Pluralisierung“ beklagt und von einer „nicht erträglichen“ Lage für Frauen gesprochen.

Taliban-Kontakte bestehen, aber nur „technisch“ und über Katar

Die Bundesregierung betreibt also einen Tanz auf der diplomatischen Rasierklinge, wenn sie mit den Taliban verhandelt, wie zum Beispiel über die Abschiebungen. Das Auswärtige Amt unter Annalena Baerbock (Grüne) fährt offiziell folgende Linie: Die diplomatischen Beziehungen zu Afghanistan bestehen weiterhin, weil diese unabhängig von Machthabern sind. Gleichzeitig erkennt man das Taliban-Regime nicht als rechtmäßige Regierung an.

Dass das in der Praxis keine komplette Funkstille bedeutet, zeigt schon alleine der Abschiebe-Deal. Taliban-Sprecher Shahin behauptet: „Wir haben uns inoffiziell mit Vertretern der deutschen Regierung und den Vertretern vieler europäischer Länder getroffen. Diese Gespräche sind notwendig, und es gibt sie, auch wenn sie nicht offiziell sind.“

Die Aussage lässt einigen Spielraum, wie die Gespräche genau abgelaufen sein könnten. Bestätigt ist, dass die Bundesregierung mit den Taliban über ein Verbindungsbüro in Katar für technische Gespräche in Kontakt steht. Technisch heißt: Nicht Politiker stehen in Kontakt, sondern Regierungsbeamte unterer Ebenen. Ob es tatsächlich direkte Gespräche von ranghohen deutschen Regierungsvertretern mit den Taliban gegeben hat, wie deren Sprecher andeutet, ist fraglich.

„Nicht moralisch integrer, weil man nur über Mittelsmänner mit Taliban spricht“

Zustimmung würde das allerdings aus der CDU erhalten. Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, wirbt im Gespräch mit FOCUS online dafür, „Gesprächskanäle in Richtung der afghanischen De-Facto-Regierung aufzubauen“.

Das bisherige Vorgehen findet er seltsam: „Es mag vielleicht für die ersten Abschiebungen richtig gewesen sein, über Doha mit den Taliban zu kommunizieren. Aber diesen Umweg braucht es nicht. Man ist nicht moralisch integrer, nur weil man nicht direkt, sondern über Mittelsmänner mit den Taliban spricht.“ Normale bilaterale Beziehungen müssten zum Dauerzustand werden.

Die CDU-Position erklärt sich vor allem durch das Interesse, bei den Abschiebungen voranzukommen. „Man muss aufpassen, was man gibt und was man nimmt“, betont Hardt. Ein solches Geben und Nehmen ist abseits der offiziellen Kommunikation der Bundesregierung möglicherweise schon einige Zeit im Gange.

Afghanische Botschaft in Berlin handlungsunfähig

Um die Hintergründe zu verstehen, muss man genauer auf die diplomatische Vertretung Afghanistans in Deutschland schauen. Seit der Machtübernahme der Taliban sitzen nämlich in Deutschland Diplomaten, die von den Terror-Herrschern nicht anerkannt werden und die umgekehrt die neue Regierung ebenfalls nicht anerkennen wollen.

Das hat dazu geführt, dass zum Beispiel die afghanische Botschaft in Berlin quasi handlungsunfähig wurde. So konnte sie keine neuen Pässe für in Deutschland lebende Afghanen ausstellen. Ein gültiger Pass gehört aber zur Voraussetzung, dass afghanische Flüchtlinge in ihre Heimat abgeschoben werden können. Bemerkenswert ist deshalb, was wenige Wochen vor dem ersten Abschiebeflug von Deutschland nach Kabul geschehen ist.

Plötzlicher Andrang am afghanischen Konsulat in München

Die Taliban erkannten das afghanische Konsulat in München als Vertretung ihres Landes an, die Botschaft in Berlin allerdings nicht. Seither ist vor dem Konsulat in der bayerischen Hauptstadt ein großer Menschenauflauf zu beobachten.

Tag für Tag kommen Menschen aus ganz Deutschland und sogar Nachbarländern zu der Vertretung, berichtet ein Anwohner im Gespräch mit FOCUS online von seiner Beobachtung der Autokennzeichen.  Der Grund für den Andrang ist, dass in München wieder konsularische Leistungen wie zum Beispiel das Ausstellen eines neuen Passes angeboten werden.

Mehr Abschiebungen – und im Gegenzug mehr Einfluss der Taliban?

Die Bundesregierung, die eigentlich auf Distanz zu den Taliban bedacht ist, hat einem Bericht der „Deutschen Welle“ zufolge akzeptiert, dass diese Leistungen in München angeboten werden – obwohl es offenbar Kontakte der dortigen Diplomaten zu dem Regime in Kabul gibt. Auf Anfrage von FOCUS online erklärt das Auswärtige Amt zwar „bisher keine Veränderungen am Status der drei afghanischen Auslandsvertretungen in Deutschland oder ihren jeweiligen Amtsbezirken vollzogen“ zu haben und keine neuen Diplomaten der Taliban akkreditieren zu wollen. Dennoch liegt der Verdacht nahe, dass der neu gewonnene Einfluss der Taliban in München Teil eines Abschiebe-Deals gewesen sein könnte.

Für das Ziel, mehr Abschiebungen zu ermöglichen, könnte das von Vorteil sein. Afghanen in Deutschland, denen keine Abschiebung droht, aber einen neuen Pass benötigen, müssen sich nun aber an ein Konsulat wenden, das möglicherweise unter Taliban-Einfluss steht – also eines Regimes, vor dem sie vielleicht sogar fliehen mussten. Zu dem Sachverhalt wollten sich auf Anfrage weder die Botschaft in Berlin noch das Konsulat in München äußern.

Faeser will kein Abkommen zum Verbleib afghanischer Straftäter

Viel wird nun darauf ankommen, ob die Taliban trotz aller Gräueltaten in Afghanistan als Partner Deutschlands verlässlich und human auftreten. Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass das der Fall sein könnte: „Nach unseren Erkenntnissen gibt es in Afghanistan keine systematische Verfolgung derjenigen, die mit der Bundeswehr zusammengearbeitet haben“, erzählt Außenpolitiker Hardt.

Als Entgegenkommen können auch die Äußerungen von Taliban-Sprecher Shaheen gewertet werden. Er schlägt ein Abkommen vor, das klar regelt, wie mit abgeschobenen Straftätern umzugehen ist. Beim ersten Abschiebeflug landeten sie zunächst in einem Gefängnis, wurden dann aber freigelassen – die Taliban wüssten von Deutschland nämlich nichts über die Taten und Verfahren gegen die Abgeschobenen.

Das Innenministerium von Nancy Faeser (SPD) geht auf Nachfrage nicht auf ein mögliches Abkommen dieser Art ein, sondern erklärt allgemein, dass „die Rücknahme der eigenen, ausreisepflichtigen Staatsangehörigen eine völkerrechtliche Verpflichtung“ sei. Offenbar ist man vorsichtig, um das Regime mit offiziellen Abkommen nicht aufzuwerten.

Über die Kooperation wollen nicht alle laut sprechen

CDU-Politiker Hardt erklärt hingegen, dass eine Absprache durchaus im beidseitigen Interesse sein könnte. „Mein Eindruck ist, dass die Taliban kein Interesse daran haben, Straftäter frei herumlaufen zu lassen. Und für Deutschland wäre es auch nicht schlecht, wenn die Verurteilten ihre Strafe absitzen müssen.“ Mit anderen Ländern seien solche Abkommen üblich, die Fortsetzung der Strafverbüßung sei dann genau geregelt.

Es scheint, als hätten in den vergangenen Monaten alle Seiten realisiert, dass die Durchsetzung deutscher Interessen – nämlich Abschiebungen – ohne ein Entgegenkommen für die Taliban kaum möglich ist. Nur wollen das nicht alle laut aussprechen, aus Sorge vor dem Vorwurf, sich die Hände schmutzig zu machen.