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Schwimmen und das Geheimnis um den Schnauzbart

Mark Spitz bei den Olympischen Spielen 1972 in München (Bild: Rich Clarkson / Rich Clarkson & Associate / Getty Images)
Mark Spitz bei den Olympischen Spielen 1972 in München (Bild: Rich Clarkson / Rich Clarkson & Associate / Getty Images)

Sieben Veranstaltungen, sieben Goldmedaillen, sieben Weltrekorde. Das war die historische Errungenschaft von Mark Spitz, bei den olympischen Spielen in München 1972 (die erst 36 Jahre später bei den Spielen in Peking überboten werden konnten, von einer anderen Legende im Schwimmbecken, Michael Phelps). Durch die Kraft seiner Beine und mit Hilfe seiner außergewöhnlichen Technik wurde er zu einer olympischen Legende, aber es gab noch etwas anderes, das ihn von der Konkurrenz unterschied – sein Schnauzbart.

Ein einzigartiger Auswuchs von Haaren, inmitten glattrasierter Körper und den kurzen Hosen, die er bei allen Veranstaltungen in München trug, beginnend mit dem Schmetterling-Finale über 200 Meter. Das Ergebnis: Eine außergewöhnliche Zeit für die Ära (2’00’’70) und die erste Medaille aus Edelmetall um seinen Hals. Sechs weitere würden noch folgen, sowie ebenso viele Weltrekorde. Das reichte dafür aus, dass der Trainer des russischen Schwimmteams die Antwort, die er vom Schwimmer aus Kalifornien am Tag vor dem Wettbewerb bekam, sehr ernst nahm. Mark Spitz wurde während seines Trainings von allen Trainern kritisch beäugt und war überrascht, als einer von ihnen fragte: "Ich sehe, dass du einen Schnurrbart trägst. Wirst du ihn abrasieren? Hast du keine Angst, dass er dich verlangsamt?"

Die Spitz-Formel

Der Amerikaner gab dem Leiter der russischen Delegation eine Antwort, die es in sich hatte und erklärte Jahrzehnte später auf der Webseite des Olympischen Komitees: "Ich weiß nicht, was mich dazu antrieb das zu sagen, aber ich strich mir über den Bart und sagte: 'Der Bart leitet Wasser von meinem Mund weg und ermöglicht es mir so, während des Rennens viel tiefer und damit leichter zu bleiben. Und er verringert die Wahrscheinlichkeit, dass ich Wasser schlucke. Dadurch kann ich schneller schwimmen.'" Im darauffolgenden Jahr trugen alle Männer in der russischen Mannschaft Schnauzbärte. Eine Legende war geboren.

Fünfzig Jahre später sieht man jedoch keine Schwimmer mehr mit dem sagenumwobenen Schnäuzer in das Becken steigen. Ist die Spitz-Formel aus der Mode gekommen, wie die 70er selber, Blumenkränze und Formica-Arbeitsplatten? Könnten die hydrodynamischen Eigenschaften des Schnauzbartes aufgrund seines brillanten Erfolgs übertrieben worden sein? Um das herauszufinden, befragen wir mal die Experten. Professor Ludovic Seifert arbeitet an der Fakultät für Sportwissenschaften der Universität von Rouen und koordiniert das ehrgeizige Projekt NePTUNE, dessen Ziel es ist, die Leistung französischer Schwimmer für die Olympischen Spiele 2024 in Paris zu verbessern. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass er ein außerordentliches Wissen über Hydrodynamik hat, also vereinfacht gesagt darüber, wie das Wasser über einen Körper strömt. "Dies mildert die verschiedenen Quellen von Widerstand zur Vorwärtsbewegung im Wasser, wie Luftwiderstand, Wellen- und Strömungswiderstand", erklärt der Wissenschaftler.

Haie, Delfine und Lenny Kravitz

Es bleibt offen, wie der Schnauzbart in diesen physikalischen Kampf gegen das Wasser passt. Fungiert er als Bremse oder als Beschleuniger? Für Professor Seifert spielt er mit Sicherheit nur eine untergeordnete Rolle: "Um ehrlich zu sein, denke ich nicht, dass der Bart eine große Rolle spielt, weder positiv noch negativ", sagt er. "Außer natürlich wenn das Haar sehr ausgeprägt ist. Wenn Sie zum Beispiel Lenny Kravitz zu seinen besten Zeiten gefragt hätten, ob er schwimmen will, dann hätte sein Haar mit Sicherheit großen Widerstand im Wasser erzeugt. Es ist kein Zufall, dass die meisten Schwimmer kurzes Haar oder Kappen tragen. Im Fall des Bartes reden wir hier von sehr geringen Prozentzahlen. Ein Experte für Strömungsmechanik könnte das besser erklären als ich." Zum Glück haben wir einen solchen Experten zur Hand.

Rémi Carmignani ist auch auf dem Weg zu NePTUNE. Der Forscher der zwar ein endloser Quell des Wissens ist, wenn es um die Kraft der olympischen Schwimmer geht und wenn es um die Reynolds- (Vergleich von viskosen Effekten mit Trägheitswirkungen, wie allgemein bekannt) und die Froude-Zahl (welche die Geschwindigkeit der Wellen mit der Geschwindigkeit des Körpers vergleicht) geht, stützt sich allerdings auf Vermutungen, wenn es darum geht, den Einfluss des Schnauzbartes zu bewerten. "Ich weiß nicht, ob es jemals erforscht wurde, aber ich schätze, dass der Effekt negativ ist oder bei null liegt. Wenn er einen positiven Effekt hätte, dann würde jeder Schwimmer einen tragen", sagt er, bevor er die Bedeutung für den Fall von Mark Spitz herunterspielt. "Er war ein Sprintschwimmer, ich denke also nicht, dass er seine Wettbewerbe mit seinem Kopf gewonnen hat. Wenn man sich zum Beispiel anschaut, wie sich die Durchschnittsgeschwindigkeit der 10 besten 100-Meter-Freistilschwimmer entwickelt hat, dann sieht man, dass die Einführung von Schwimmbrillen 1976 keine großartigen Auswirkungen hatte."

Wir hören dieselbe Geschichte in einem anderen Labor, in dem Mathias Samson, ein Forschungsprofessor für Biomechanik an der Universität von Poitiers an einer größeren Studie arbeitet, die sich mit dem Schwimmen befasst. "Das Becken ist ein Medium mit ziemlich geringer Viskosität, in dem Reibungskräfte geringer sind und damit nur eine kleine Prozentzahl ausmachen. Wenn der Bart also eine Rolle spielen würde, dann wäre sie minimal", sagt der Forscher und stimmt seinen Kollegen zu. Er stimmt zwar zu, macht aber ein (kleines) Zugeständnis: "Der Schnauzbart könnte leichte Auswirkungen darauf haben, wie das Wasser von der Nase zum Mund zurückfließt. Bei der Schmetterlings-Disziplin insbesondere, könnte der Bart von Mark Spitz, wenn man aus dem Wasser kommt, eine Art Schutz über der Oberfläche bieten, bevor man einatmet. Warum nicht? Wenn er das gesagt hat, dann hat er das vielleicht geglaubt."

Sein Kopf ... und seine Beine

Es überrascht nicht, dass Matthias Samson das Gefühl hat, dass die Großtaten der amerikanischen Schwimmer im Jahr 1972, der Anfang einer neuen Ära waren. "Spitz steht für einen Wendepunkt in der Geschichte des Schwimmsports. In den 1960ern und 1970ern veränderte sich der Sport spürbar, insbesondere mit dem Aufkommen der Sportphysiologie. Spitz war ein Vorreiter in der professionellen Ära. Er trainierte hart, arbeitete jeden Tag an seiner Kraft, zu einer Zeit in der die meisten Schwimmer oft kein Krafttraining machten. Es kommt nicht überraschend, dass er der Erste war, der die 100-Meter-Freistil in unter 52 Sekunden zurücklegte. Vor der Olympiade 1968 lagen die besten Zeiten bei etwa 53 Sekunden. Spitz unterbot diese Zeit um mehr als eine Sekunde, bei nur einer Olympiade." Schnauzbart oder nicht, das sagt alles.

Rémi Carmigniani lehnt es jedoch ab, Haare generell als unwichtig zu betrachten. "Haare sind wichtig beim Schwimmen, aber es ist nicht einfach, ihren Wirkungsgrad zu bestimmen. Wir können es auf eine wichtige physikalische Frage herunterbrechen: Was ist besser, glatt oder rau? In der Natur unterscheiden sich die Strategien, aber sie erzielen manchmal das gleiche Ergebnis. Die raue Haut von Haien birgt zum Beispiel hydrodynamische Vorteile, aber die bietet auch die glatte, fettige Haut von Delfinen. Diese Dichotomie kann auch in bestimmten Sportarten gefunden werden, in der verschiedene Denkschulen existieren. Einige Wettkämpfer bevorzugen das möglichst glatteste Boot, während andere den Rumpf mit Glasfaser abdecken, um ihn aufzurauen. Wer hat also recht? Die Antwort ist nicht eindeutig." Der Forscher, der ebenfalls ein Schwimmer ist, hat sich entschieden: "Ich persönlich rasiere mich, weil ich das Gefühl habe, dass ich besser gleite. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein."

Wir können diese Vorstellung hinterfragen, wenn wir uns andere Schwimmstile anschauen. "Einige Menschen könnten sich vielleicht an zusätzliche Haare gewöhnen. Wie zum Beispiel beim Brustschwimmen, wo man die Beine ins Wasser stecken muss, um die Scherenbewegung vernünftig ausführen zu können. In diesem Fall ist es also ein Nachteil, wenn man zu glatt ist." Tief in Gedanken versunken, macht der Forscher eine weitere Überlegung: "Wir könnten auch weiter denken und uns fragen, ob es eine optimale Art gibt, sich zu rasieren." Eine heikle Frage, die im Fall des Schnurrbartes nach mehr Expertenwissen schreit. Und da kommen wir zu Kevin Vela.

Mach es wie Dalí

Dieser Name sagt Ihnen vielleicht nichts, aber wenn es um Gesichtsbehaarung geht, dann hat dieser 28-jährige Konditormeister sie nahezu perfektioniert. Er ist der französische Champion von 2019 in der Kategorie "Englischer Schnauzbart" und wurde 7. bei den letzten Bart- und Schnauzbart-Meisterschaften in Belgien. Das waren die Früchte von Jahren harter Arbeit. "Das Geheimnis ist Geduld", sagt der aus Perpignan stammende Mann. Obwohl er sich am Ende nicht sicher ist, ob ein Schnauzbart Vorzüge bietet, hat Kevin Vela jedoch eine eindeutige Meinung dazu, wie man das gute Stück am besten pflegt: "Ich bürste ihn, trimme ihn und wende 100 % natürliche Öle und Balsame an. Der Trick besteht darin, den Bart so viel wie möglich zu pflegen, niemals einen Haartrockner oder grobe Produkte zu benutzen, weil das Haar fragil ist und leicht brechen oder ausfallen kann." Das Ergebnis dieser akribischen Pflege ist ein Schnauzbart, der José Bové wie einen prä-pubertierenden Teenager aussehen lässt und der ein Vorteil in sozialen Situationen ist.

"Einen Schnauzbart zu tragen ist eine Möglichkeit, seine Persönlichkeit auszudrücken", sagt unser Englischer-Bart-Champion. Man fällt immer auf, sticht den Menschen ins Auge und es ist am Ende ein echter Vorteil in Bezug auf soziale Kontakte. In gewisser Weise ist der Schnurrbart ein Weg, sich anderen gegenüber zu öffnen." Und es ist ein schickes Mode-Accessoire: "Ihr könnt ihn an eure Stimmung oder an das Outfit anpassen. Ich kann entscheiden, ob ich ihn wie Dalí oder im imperialen Stil tragen will", sagt der Experte. Alle Schwimmer, egal ob Amateure oder Profis, sollten sich Notizen machen – wenn ihr die Konkurrenz nicht im Schmetterling schlagen könnt, dann ist ein Schnurrbart ein gutes Mittel, um aus der Menge herauszustechen. Und das ist ebenfalls Gold wert.

Olivier Saretta