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Til Schweiger im Interview: Über Lebensentscheidungen, Gott und das Älterwerden

Im neuen Kinofilm "Gott, du kannst ein Arsch sein" spielt Til Schweiger einen Familienvater, dessen Tochter todkrank ist. Ein Gespräch über tief greifende Lebensentscheidungen, Schweigers Verhältnis zu Gott und das Älterwerden.

Nach Monaten des Stillstands nimmt das Kino wieder an Fahrt auf. Zurück auf der Leinwand ist ab 1. Oktober auch Til Schweiger - mit der Hauptrolle in dem Drama "Gott, du kannst ein Arsch sein". Der 56-Jährige spielt im Film von André Erkau den Familienvater Frank, dessen Leben nach der Krebsdiagnose seiner Tochter aus den Angeln gehoben wird. "Wenn ich spielen muss, dass gerade mein Kind stirbt, dann ist das schon heftig", sagt der Schauspieler und Filmemacher im Interview. Außerdem spricht Schweiger über Gott und das Schicksal und erinnert sich an ein prägendes Ereignis an einem Strand in Griechenland.

teleschau: Herr Schweiger, der Filmtitel "Gott, du kannst ein Arsch sein" ist durchaus provokant. Hatten Sie schon einmal einen ähnlichen Gedanken?

Til Schweiger: Nicht wörtlich, aber solche Gedanken habe ich auch schon gehabt. Immer, wenn Sachen passiert sind, die meines Erachtens ungerecht waren, dann denkt man sich: "Wo bist du denn da oben, wenn es dich wirklich gibt?"

teleschau: Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Gott beschreiben?

Schweiger: Ich spiele im Film den Pfarrer Frank, und der hat natürlich ein sehr gutes Verhältnis zu Gott - auch wenn sein Glaube durch seine persönliche Situation sehr auf die Probe gestellt wird. Ich persönlich habe überhaupt kein Gefühl für Gott, weil ich nicht wirklich an Gott glaube.

teleschau: Glauben Sie stattdessen an andere übergeordnete Kräfte oder an das Schicksal?

Schweiger: Man spricht oft von Karma. Dann aber passieren Dinge auf der Welt, wo ich mich frage: "Ja, wo ist denn jetzt das Karma?" Zum Beispiel, wenn junge Menschen sterben, oder wenn andere Menschen, die nur negative Energie in die Welt bringen, so alt werden. Dann sagen die Leute, die an Karma glauben, immer: "Die kriegen dann ihre Strafe in der nächsten Ebene oder im nächsten Leben." Es wäre schön, wenn das so ist, aber ich weiß nicht, ob ich daran glauben kann. An was ich glaube, ist, dass Menschen, die uns verlassen, trotzdem ihre Energien hinterlassen - manche mehr, manche weniger.

"Wenn ich spielen muss, dass gerade mein Kind stirbt, dann ist das schon heftig"

teleschau: "Gott, du kannst ein Arsch sein" erzählt die Geschichte eines 16-jährigen Mädchens, dessen Leben durch eine Krebsdiagnose vollkommen auf den Kopf gestellt wird. Wie ist es Ihnen angesichts des schweren Themas gelungen, sich in die Rolle hineinzufinden?

Schweiger: Als ich die Rolle gespielt habe, habe ich mir natürlich überlegt, wie ich empfinden und handeln würde, wenn ich Frank wäre. Dann mache ich das über meine Fantasie und nehme mich der Rolle an. Wenn ich spielen muss, dass gerade mein Kind stirbt, dann ist das schon heftig. Wenn die Kamera aus ist, braucht man immer etwas Zeit, um wieder ins normale Leben zurückzukommen.

teleschau: In Ihrem nächsten Film "Die Rettung der uns bekannten Welt" steht ein Jugendlicher im Mittelpunkt, der bipolar ist und Probleme hat, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Was finden Sie an solchen Stoffen so interessant?

Schweiger: Aus ähnlichen Motiven wie damals, als ich gesagt habe, ich will einen Film über Demenz machen ("Honig im Kopf", d. Red.). In Deutschland sind über 1,5 Millionen Menschen bipolar diagnostiziert, und das ist eine beschissene Krankheit. Der Film will im Idealfall zeigen, dass man trotzdem ein relativ gutes Leben führen kann, wenn man sich Hilfe holt und wenn man die Situation annimmt.

teleschau: Was neben der Tragik rund um die unheilbare Krankheit in "Gott, du kannst ein Arsch sein" auch elementar ist, ist die Frage nach den wirklich wichtigen Dingen im Leben. Was zählt für Sie dazu?

Schweiger: Die Liebe ist das Wichtigste, sowohl zu seiner Familie als auch zu seinen Freunden. Dann die Freude, der Spaß, das Leben zu genießen und anderen Menschen zu helfen. Auch an seinen Fehlern zu arbeiten und zu versuchen, ein besserer Mensch zu werden.

teleschau: Gemeinsam mit der Hauptfigur Steffi ist im Film der Zirkusartist Steve unterwegs, der gerade eine Identitätskrise durchmacht. Mussten Sie in Ihrem Leben schon einmal ähnliche schwierige Phasen durchleben?

Schweiger: Ja, als ich 18 oder 19 Jahre alt war. Eigentlich wollte ich immer Lehrer werden. Das ging zu der Zeit aber nicht, weil es zu viele Lehrer gab. Da wusste man, wenn man das studiert, wird man arbeitslos. Da habe ich schon ein bisschen gebraucht und erst einmal Medizin studiert, aber gemerkt, das ist nichts für mich.

teleschau: Was geschah dann?

Schweiger: Ich bin vier Monate mit dem Rucksack durch Griechenland, um herauszufinden, was ich in meinem Leben erreichen will. In einer Nacht unter sternenklarem Himmel habe ich in einem Schlafsack am Strand den Entschluss gefasst, zu versuchen, als Schauspieler zu arbeiten.

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"Ich spüre das Alter vor allem körperlich"

teleschau: Was würde Ihr 18-jähriges Ich sagen, wenn es Sie heute sehen würde?

Schweiger: Das würde wahrscheinlich sagen: "What the fuck!" (lacht) Das würde es nicht für möglich halten.

teleschau: Welche Ziele hatten Sie sich damals nach diesem Selbstfindungstrip gesetzt?

Schweiger: Ich habe gesagt, ich probiere jetzt, Schauspieler zu werden. Als ich von der Schauspielschule abgegangen bin - damals war ich als Späteinsteiger schon 26 oder 27 Jahre alt -, habe ich mir drei Jahre gegeben, bis ich 30 bin. Der Plan war: Wenn ich merke, ich bekomme einen Fuß in die Tür, mache ich weiter, wenn nicht, studiere ich doch Lehramt. Wäre ich die ganze Zeit arbeitslos gewesen, wäre ich noch einmal auf die Uni gegangen.

teleschau: Im Film gibt es eine witzige Szene, bei der Sie auf der Abschlussfeier Ihrer Tochter mit Hinweis auf Ihr Alter von der Tanzfläche geschickt werden. Wie gehen Sie mit Ihrem Alter um?

Schweiger: Daran zu knabbern habe ich nicht. Ich spüre das Alter vor allem körperlich. Seelisch und geistig fühle ich mich genauso wie mit 18. Aber ich spüre es, wenn ich morgens aus dem Bett steige und alles wehtut. Das ist aber normal.

teleschau: Bald erwartet Sie eine neue Rolle - Sie werden Großvater. Wie blicken Sie dem entgegen?

Schweiger: Voller Freude! Mein Vater hat sich früher immer Sorgen gemacht und gesagt: "Jetzt kriegst du Rollen, bist noch jung und siehst gut aus. Aber du wirst älter, und dann bekommst du keine Arbeit mehr." Dann habe ich immer entgegnet: "Papa, das musst du mir schon zutrauen, dass ich irgendwann auch mal Väter spiele." Irgendwann werde ich auch Großväter spielen, das ist der Lauf der Dinge.

teleschau: Stichwort Familienleben: Wie ist es Ihnen damit während der schwierigen Zeit des Corona-Lockdowns ergangen?

Schweiger: Ich persönlich kann nichts Positives an dieser Zeit finden. Einzige Ausnahme ist vielleicht, dass aufgrund der Situation zwei meiner Töchter bei mir zu Hause waren und wir viel Zeit mit meiner Freundin verbracht haben. Wir haben viel gespielt, waren spazieren und haben zusammen gekocht. Ansonsten war da nichts Gutes. Kein Kontakt zu Freunden, nicht arbeiten können - für mich war das schon eine ziemlich beschissene Zeit.

"Ich kenne Schauspieler, die nichts mehr zu essen haben"

teleschau: Wie nehmen Sie aktuell die Stimmung in der Branche wahr?

Schweiger: Jetzt ist die Stimmung definitiv besser als vor vier Monaten, auch wenn es noch eine gewisse Skepsis gibt. In den Kinos herrschen sehr große Restriktionen. Was wir alle nicht verstehen, ist, dass man ein Flugzeug voll besetzen darf, aber ins Kino, wo gar nicht gesprochen wird, sondern die Leute ruhig auf eine Leinwand schauen, nur so wenige Leute rein dürfen. Das kann man keinem rational erklären. Da gibt es so viele Regularien, die kein Mensch auf der Welt verstehen kann und die meiner Meinung nach auch überhaupt keinen Sinn machen.

teleschau: Wie steht es um die Zukunft des Kinos?

Schweiger: Ich habe keine Kristallkugel und weiß nicht, was in einem Jahr ist und wie sich diese sogenannte Pandemie entwickeln wird - diese Pandemie, die man irgendwie gar nicht richtig spürt. Ich hoffe, dass es bald vorbei ist und wir zu dem Leben zurückkehren können, das wir alle kennen und vermissen.

teleschau: Kürzlich fand in Berlin eine Großdemonstration der Kulturbranche statt, um auf ihre missliche Lage aufmerksam zu machen. Was denken Sie darüber?

Schweiger: Ich glaube, es ist auf jeden Fall besser, auf eine Demonstration zu gehen als zu Hause zu sitzen. Ich weiß nicht, ob es viel bringt. Die Filmbranche ist neben der Gastronomie und dem Tourismus sicherlich eine der Branchen, die am härtesten betroffen sind. Ich bin privilegiert, aber ich kenne Schauspieler, die echt nichts mehr zu essen haben.

teleschau: Wie haben sich die besonderen Rahmenbedingungen auf den Dreh Ihres neuen Films "Die Rettung der uns bekannten Welt" ausgewirkt?

Schweiger: Wir haben erst vor kurzem angefangen. Die ersten Drehtage hatten wir in Polen, und da war es sehr entspannt. Wir haben am Meer gedreht bei sehr viel Wind. Da hat kein Virus eine Chance. Wenn wir jetzt in Bayern drehen, halten wir uns natürlich an die Auflagen, die jeder erfüllen muss.

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