Selbst Behörden überrascht - Wind und Sonne verdrängen die deutsche Kohle schneller als die Ampel gucken kann

Das Kohlekraftwerk Bärenbrück in Brandenburg, davor ein Windrad (Archivbild)<span class="copyright">Krisztian Bocsi/Getty Images/Bloomberg Creative</span>
Das Kohlekraftwerk Bärenbrück in Brandenburg, davor ein Windrad (Archivbild)Krisztian Bocsi/Getty Images/Bloomberg Creative

Bitte ziehen Sie den Stecker: Seit Jahren ordnen die deutschen Behörden sogenannte „Verfeuerungsverbote“ für bestimmte Kohlekraftwerke an, um die Klimaziele nicht zu gefährden. In diesem Jahr wird erstmals auf das Verbot verzichtet - denn die Kohlekraftwerke verschwinden bereits von selbst vom Markt. Der Trend lässt sich auch in anderen europäischen Ländern beobachten.

„Kohleverfeuerungsverbot“ ist vermutlich eines der dramatischer klingenden Wörter, die sich die deutsche Bürokratie jemals ausgedacht hat. Der Gedanke dahinter ist jedoch simpel: Bis spätestens 2038 will die Bundesrepublik vollständig aus der Stromerzeugung mit Kohle ausgestiegen sein, bis dahin muss die Stromproduktion durch Kohleverfeuerung jährlich sinken.

Bewerbungen fürs Nichtstun

Damit der Zielwert für ein Jahr nicht gerissen wird, hat die damals amtierende Große Koalition aus Union und SPD im Jahr 2020 der zuständigen Bundesnetzagentur ein mächtiges Werkzeug an die Hand gegeben: Das „Kohleverfeuerungsverbot“. Wobei es bislang weniger um ein Verbot handelte, sondern um ein durchaus einträgliches Geschäft. Betreiber von Kohlekraftwerken konnten an Ausschreibungen teilnehmen, in denen sie Stilllegungen gegen eine finanzielle Beteiligung anboten.

Erst ab diesem Jahr wäre ein richtiges Verbot vorgesehen gewesen. Gemäß dem Kohleausstiegsgesetz wären ab 2024 sowohl Ausschreibungen als auch Entschädigungen verfallen, stattdessen hätte die Bundesnetzagentur einfach festgelegt, welche Kraftwerke abgeschaltet werden müssen - die ältesten zuerst.

Rasante Verdrängung

Überraschenderweise wird das jedoch nicht nötig sein: In diesem Jahr sind in Deutschland bereits genügend Kohlekraftwerke aus dem Markt ausgeschieden, und das von ganz alleine. „Das gesetzlich geforderte Zielniveau für das Zieljahr 2027“ sei bereits unterschritten, teilte die Bundesnetzagentur in dieser Woche mit. Das Gesetz schreibt vor, dass bis dahin nur noch Steinkohlekraftwerke mit einer Leistung von 8,7 Gigawatt am Netz sein dürfen - bereits jetzt ist jedoch absehbar, dass die Kraftwerke im Jahr 2027 nur noch eine Gesamtkapazität von 8,4 Gigawatt aufweisen werden.

Die Gründe liegen in den Kräften des Marktes. Die Erneuerbaren Energien verdrängen die Kohle immer rasanter aus dem Strommix. Während vor allem bei Solar und Wind die Erzeugungskosten immer günstiger werden, steigen sie bei der Kohle durch den CO2-Preis stetig an. Auf dem Markt hat es der Kohlestrom dadurch immer schwerer, die Kraftwerke produzieren weniger.

Nur noch 20,9 Prozent des deutschen Stroms kamen in der ersten Jahreshälfte 2024 aus der Kohle, ein historischer Tiefstwert. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entspricht das nochmal einem Rückgang um sechs Prozentpunkte. Zum Vergleich: Noch 2014 stammte knapp die Hälfte des deutschen Stroms aus der Kohle. Die Bruttostromerzeugung aus der Kohle ist so niedrig wie seit den 1960ern nicht mehr.

Briten schreiben Geschichte

Die Kosten-Diskrepanz zwischen Kohle und anderen Energieträgern ist mittlerweile so groß, dass Deutschland lieber Strom aus dem Ausland importiert als die heimischen Kraftwerke anzuschmeißen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts aus dieser Woche hat die Bundesrepublik im ersten Halbjahr 2024 insgesamt 23 Prozent mehr Strom importiert und 15 Prozent weniger exportiert. Daraus ergibt sich ein Importüberschuss von 9,8 Milliarden Kilowattstunden, während in der ersten Jahreshälfte 2023 noch ein kleiner Exportüberschuss von 2 Milliarden Kilowattstunden stand. Allerdings: Kohle bleibt noch immer der zweitwichtigste Energieträger im deutschen Strommix.

Bis zum endgültigen Ausstieg bleibt also noch einiges zu tun. Wie die Zukunft aussehen kann, zeigt das Ausland: Großbritannien wird Ende des Monats sein letztes verbliebenes Kohlekraftwerk in Ratcliffe-on-Soar nahe Nottingham schließen. Die Briten nahmen 1882 das weltweit erste Kohlekraftwerk in Betrieb - mittlerweile bezieht das Königreich seinen Strom aber vollständig aus Erneuerbaren Energien, Gas, Atomkraft und Biomasse.

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