Selenskyj droht Russland zum Unabhängigkeitstag der Ukraine mit Vergeltung
Zum Unabhängigkeitstag der Ukraine hat Präsident Wolodymyr Selenskyj Russland mit Vergeltung gedroht. Der Krieg sei bereits zum Aggressor "zurückgekehrt", sagte der Staatschef am Samstag mit Blick auf den jüngsten Vorstoß ukrainischer Truppen nach Russland. Das gesamte Wochenende hielten die Kämpfe zwischen beiden Seiten an, Deutschland und USA sicherten der Ukraine erneut ihre Unterstützung zu.
Russland habe die Ukraine "zerstören" wollen, aber "was der Feind in unser Land gebracht hat, ist nun an seinen Ursprung zurückgekehrt", sagte Selenskyj in einer Videobotschaft, die seinen Angaben zufolge in der ukrainischen Grenzregion aufgenommen wurde, von der aus Kiew seine Überraschungsoffensive auf Russland gestartet hatte. Ukrainische Truppen waren am 6. August in die russische Grenzregion Kursk eingedrungen und meldeten seither beträchtliche Geländegewinne.
"Jeder, der auf unserem Boden Böses säen will, wird die Früchte auf seinem eigenen Territorium ernten", sagte Selenskyj mit Blick auf Russland. "Dies ist keine Vorhersage, keine Prahlerei, keine blinde Rache. Es ist einfach nur Gerechtigkeit."
Auch unterschrieb Selenskyj am Samstag ein Gesetz zum Verbot der Russland nahestehenden Ukrainisch-Orthodoxen Kirche. Diese hatte sich nach Kriegsbeginn offiziell von Moskau losgesagt, doch die ukrainischen Behörden sehen sie noch immer unter russischem Einfluss. Der Patriarch der Russisch-Orthodoxen Kirche, Kyrill, warf Kiew vor, die Gläubigen zu "verfolgen" und bat andere christliche Kirchen und die internationale Gemeinschaft um Hilfe.
Russland hatte seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 gestartet. Moskaus Luftwaffe fliegt fast täglich tödliche Angriffe auf das Nachbarland. Die Kämpfe hielten am Wochenende an. Seit Samstag wurden bei russischem Beschuss in drei Städten der stark umkämpften Region Donezk in der Ostukraine nach Angaben des örtlichen Gouverneurs sieben Menschen getötet und fünfzehn weitere Menschen verletzt. Aus der nördlichen Region Sumy meldete die ukrainische Polizei vier Tote und 13 Verletzte bei russischen Bombardements.
Im ostukrainischen Kramatorsk kam es nach Behördenangaben in der Nacht zum Sonntag zu einem russischen Angriff auf ein Hotel, bei dem zwei Journalisten verletzt wurden. Nach einem weiteren wurde am Sonntag noch gesucht: "Einer unserer Kollegen wird vermisst, zwei weitere wurden zur Behandlung ins Krankenhaus gebracht", erklärte die Nachrichtenagentur Reuters. Sie bemühe sich "dringend" um weitere Informationen.
Auch in der russischen Grenzregion Belgorod kam es erneut zu Beschuss: Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow meldete, dass bei ukrainischem Bombardement fünf Zivilisten getötet worden seien. Demnach wurden zwölf weitere Menschen verletzt, sechs davon schwer. Auch eine 16-Jährige sei darunter, sie befinde sich auf der Intensivstation, gab Gladkow an.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sicherte Selenskyj unterdessen am Samstag in einem Telefonat "die anhaltende und unverbrüchliche Solidarität" Deutschlands mit der Ukraine zu. Selenskyj habe der Bundesregierung für die kontinuierliche militärische Unterstützung gedankt, insbesondere bei der Luftverteidigung, teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit mit.
Bereits am Freitag hatte US-Präsident Joe Biden der Ukraine neue Militärhilfe zugesichert, insbesondere zur Luftabwehr. Das US-Verteidigungsministerium bezifferte den Umfang der neuen Hilfen auf 125 Millionen Dollar (112 Millionen Euro), die Lieferungen stammen demnach aus US-Beständen. Anlässlich des ukrainischen Unabhängigkeitstages erklärte Biden zudem, dass der Krieg damit enden werde, "dass die Ukraine ein freies, souveränes und unabhängiges Land bleibt".
Selenskyj nahm am Samstag an den offiziellen Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag auf dem Sophienplatz in Kiew teil. Der polnische Präsident Andrzej Duda und die litauische Regierungschefin Ingrida Simonyte waren dabei an seiner Seite - ihre beiden Länder sind zwei wesentliche Unterstützer der Ukraine.
Trotz gegenseitiger Drohungen tauschten die Ukraine und Russland unter Vermittlung der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) jeweils 115 Gefangene aus. Selenskyj hatte zuvor erklärt, durch die Offensive in Kursk sei der ukrainische "Austauschfonds" aus russischen Kriegsgefangenen aufgefüllt worden.
oer/jes