Nach Selenskyjs Nato-Vorschlag - „Eskalieren, um zu deeskalieren“: Experte erklärt die Trump-Strategien für die Ukraine
Gebietsverluste gegen Nato-Beitritt – mit diesem Vorschlag sorgt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in den letzten Tagen für Aufsehen. Militärexperte Carlo Masala sieht darin eine Reaktion auf wachsenden internationalen Druck – aus USA, aber auch aus Deutschland.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat am Freitag öffentlich angedeutet, dass er sich im Rahmen eines Waffenstillstands vorübergehende Gebietsverluste an Russland vorstellen könnte – unter klaren Bedingungen. In einem Interview mit dem britischen Sender „Sky News“ erklärte er, dass ein solcher Schritt nur denkbar sei, wenn die Ukraine gleichzeitig der Nato beitrete und damit die von Kiew kontrollierten Gebiete unter den Schutz des Bündnisses gestellt würden.
Selenskyj: „Wir müssen es schnell machen“
„Wenn wir die heiße Phase des Krieges beenden wollen, müssen wir die ukrainischen Gebiete, die wir kontrollieren, unter den Schutz der Nato stellen“, so Selenskyj. „Wir müssen es schnell machen. Und dann können wir die besetzten Gebiete auf diplomatischem Wege zurückerlangen.“ Allerdings betonte er, dass eine Einladung zur Nato-Mitgliedschaft die gesamte Ukraine umfassen müsse. „Man kann nicht nur einem Teil eines Landes eine Einladung aussprechen“, so Selenskyj weiter.
Der Nato-Beitritt ist ein zentraler Bestandteil von Selenskyjs „Siegesplan“, den er bereits im Herbst vorstellte. Russland kontrolliert aktuell etwa 20 Prozent des ukrainischen Territoriums, darunter große Teile im Osten und Süden sowie die Krim, die bereits 2014 annektiert wurde. Ein Waffenstillstand, so Selenskyj, sei notwendig, um zu verhindern, dass Russland weiteres Gebiet besetze. Er forderte die Nato auf, „sofort“ die unter ukrainischer Kontrolle stehenden Gebiete zu schützen, da sonst „Putin zurückkommen wird“.
Experte: Deutschland ist der gleichen Meinung wie Trump – hinter vorgehaltener Hand
Doch welche Auswirkungen könnte dieser Vorschlag auf den Konflikt haben?
„Nun, er ist auf jeden Fall nicht neu“, betont der Politikwissenschaftler und Militärexperte Carlo Masala im Gespräch mit FOCUS online. „Die Frage, ob die Ukraine Teil der Nato werden kann, ist bereits seit letztem Jahr in der Diskussion.“ Neu sei allerdings, dass Selenskyj sich erstmals positiv dazu positioniert habe.
Doch warum ausgerechnet jetzt? „Selenskyj muss davon ausgehen, dass Donald Trump als künftiger US-Präsident die Ukraine dazu drängen wird, territoriale Abtretungen vorzunehmen“, erklärt der Experte. „Und er sieht, dass diese Forderung auch in der europäischen Politik die vorherrschende Meinung ist – insbesondere in der Bundesrepublik, wenn auch hinter vorgehaltener Hand. Sein Vorschlag, der Nato beizutreten und damit die von Kiew kontrollierten Gebiete unter den Schutz des Bündnisses zu stellen, ist seine Reaktion auf diese Entwicklungen.“
Außerdem, so der Experte, könne die Ukraine mit der Unterstützung, die sie gerade erhalte, nicht mit einer Zurückeroberung von Territorium rechnen: „Das ist nahezu ausgeschlossen in der derzeitigen Lage.“
„Von einem Waffenstillstand sind wir noch weit entfernt“
Putin, so Masala, dürfte von Selenskyjs Vorschlag derweil wenig begeistert sein: „Eine der zentralen Forderungen des Kremls ist, dass die Ukraine neutral bleibt. Daher wird er diesen Vorschlag ablehnen.“ Zudem glaube Russland momentan berechtigterweise, dass es in der Ukraine noch mehr Territorium erobern könne: „Wir haben in den letzten Wochen keinerlei Zeichen aus dem Kreml erhalten, die auf irgendeine Kompromissbereitschaft schließen lassen. Von einem Waffenstillstand sind wir daher momentan weit entfernt“, so die Einschätzung des Experten.
Eine entscheidende Rolle für den weiteren Verlauf des Krieges werden laut Masala auch die Pläne von Trump spielen. Hier sieht der Experte vor allem zwei mögliche Strategien, die der zukünftige US-Präsident verfolgen könnte: „Entweder stellt er die Waffenhilfe nun zügig ein, um die Ukraine zu einem Deal bezüglich möglicher Gebietsabtretungen zu zwingen. Oder aber – und dazu haben wir auch Hinweise von Menschen, die Trump nahestehen – er könnte die Hilfe massiv erhöhen, um Russland zu Zugeständnissen zu bewegen. Er könnte die Situation also eskalieren lassen, um schlussendlich zu deeskalieren.“
Welche der zwei Strategien Trump verfolgen wird, sei dabei aber noch völlig unklar.
Für den weiteren Verlauf des Konflikts sieht der Experte auch Deutschland in der Verantwortung: „Es wäre die Aufgabe Deutschlands und Europas jetzt massiv Munition, gepanzerte Fahrzeuge und Artilleriesysteme zu liefern. Also alles das, was die Ukraine braucht, um den russischen Vormarsch in Donbass und im Süden des Landes aufzuhalten.“