„Seltsame Konstruktion der Ampel“ - Scholz kürzt Ukraine die Milliarden - Expertin erklärt sein Ost-Kalkül dahinter

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht mit Finanzminister Christian Lindner (FDP).<span class="copyright">Kay Nietfeld/dpa</span>
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht mit Finanzminister Christian Lindner (FDP).Kay Nietfeld/dpa

Die Ampel-Koalition will die Unterstützung für die Ukraine zurückfahren, um zu sparen. Politikwissenschaftlerin Ursula Münch vermutet dahinter Kalkül von Kanzler Olaf Scholz. Er könne sich nicht einfach über die Stimmung in der Bevölkerung hinwegsetzen.

FOCUS online: Frau Münch, die Bundesregierung stellt offenbar kein neues Geld zur Unterstützung der Ukraine mit Waffen zur Verfügung. Erleben wir eine Kehrtwende der Zeitenwende?

Ursula Münch: Es gibt offensichtlich eine Umorientierung in der Bundesregierung. Von einer Kehrtwende würde ich aber nicht sprechen, weil der Geldhahn nicht von einem Tag auf den anderen zugedreht wird und aktuell noch nennenswerte Mittel für die Ukraine eingeplant sind.

„Eine seltsame Konstruktion der Ampel“

Man plant wohl ersatzweise, eingefrorene russische Gelder für einen Milliarden-Kredit an die Ukraine einzusetzen. Ob dieser Plan aufgeht, ist aber unsicher. Ein Risiko?

Münch: Es ist tatsächlich eine seltsame Konstruktion der Ampel. Wie schon so oft in den Haushaltsberatungen dieser Regierung versucht man seine Prioritäten anders zu finanzieren, ohne dass aber ein Mensch weiß, ob das funktionieren wird.

Die Sparvorgabe kommt offiziell aus dem Finanzministerium. Aus dem Haus von Christian Lindner (FDP) gab es aber auch Signale zur Verhandlungsbereitschaft. Ein Zeichen dafür, dass er eigentlich nur die Vorgaben des Bundeskanzlers umsetzt und selbst skeptisch ist?

Münch: Lindner zieht sich auf die Position eines Finanzministers zurück, der klarmacht: Es kann nur Geld ausgegeben werden, das auch vorhanden ist. Strategisch ist es vermutlich klug, dass er sich nicht auf Priorisierungsfragen einlässt, sondern diese den Ressorts und dem Bundeskanzler zuschiebt. 

Natürlich weiß Lindner aber auch, dass Einsparungen in den einzelnen Ministerien vermutlich nicht stattfinden werden, weil sie der Auffassung sind, schon genug gekürzt zu haben. Ein Bundeskanzler muss sich anders als ein Finanzminister aber klar positionieren, welche Ausgaben Vorrang und welche Nachrang haben.

„Natürlich hat Diskussion mit Wahlterminen im September zu tun“

Manche – unter anderem in der Union – vermuten Kalkül von Kanzler Olaf Scholz (SPD). Setzt er mit den Sparvorgaben ein Zeichen in Richtung Landtagswahlen im Osten?

Münch: Natürlich hat die Diskussion auch mit den Wahlterminen im September zu tun. Es ist zwar nicht neu, dass es in der SPD viele Unterstützerinnen und Unterstützer für eine diplomatische Lösung zwischen Russland und der Ukraine gibt. Aber diese Stimmen werden umso lauter, je größer die Sorge wird, dass die Partei nicht in die Landtage in Thüringen, Sachsen und Brandenburg einziehen könnte.

Werden Wählerinnen und Wähler sich denn von den Einsparungen bei den Militärhilfen denn beeindrucken lassen?

Münch: Zunächst einmal sollte das Thema bei diesen Wahlen gar keine Rolle spielen, kein Landtag kann über Ukraine-Hilfen entscheiden. Dieses Argument interessiert aber niemanden, nicht zuletzt, weil Sahra Wagenknecht mit ihrem BSW das Thema für Erpressung in Koalitionsfragen nutzt. Ob die Ausweichstrategie der SPD beim Haushalt nun dazu führt, dass sie Wählerinnen und Wähler von AfD und BSW gewinnen kann, lässt sich schwer beantworten.

„Politik kann sich nicht ohne Weiteres über Stimmung hinwegsetzen“

Ist der Kurs der SPD denn strategisch klug?

Münch: Die sich verändernde öffentliche Stimmungslage mit Blick auf eine Fortdauer der Unterstützung für die Ukraine wirkt sich fast zwangsläufig auch auf die parteipolitischen Debatten aus. Gerade bei einem solch bedeutsamen Thema will und kann sich die Politik nicht ohne Weiteres über die Stimmung hinwegsetzen. 

Die Menschen diskutieren ja nicht nur über die Waffenlieferungen, weil es eine heikle verteidigungspolitische Frage ist. Ihnen ist bewusst, dass jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann. Daraus entsteht die Sorge, dass sie zu kurz kommen im Vergleich zur Unterstützung für die Ukraine.

Wie sehr ist Scholz zudem von der SPD-Fraktion im Bundestag getrieben? Um Fraktionschef Rolf Mützenich gibt es viele Abgeordnete, die Militärhilfen skeptisch sehen.

Münch: Dieser Konflikt in der SPD besteht und lässt sich nicht einfach befrieden. Das liegt meiner Meinung nach auch daran, dass beide Seiten gute Argumente für ihre jeweilige Position haben. Aber zum Beispiel der Außenpolitiker Michael Roth als Gegenspieler von Mützenich kandidiert nicht wieder für den Bundestag. 

Es kann sein, dass seine Position der unbedingten Unterstützung für die Ukraine in der Partei und Fraktion zunehmend verblassen wird. Die Positionierung könnte in Zukunft in Richtung der Waffenlieferungs-Skeptiker kippen. Diese Richtungskämpfe gibt es aber nicht nur in der SPD.

Was meinen Sie damit?

Münch: In der CDU gibt es mit Roderich Kiesewetter ähnlich wie mit Roth in der SPD einen klaren Verfechter der Ukraine-Hilfen. Aber ein Friedrich Merz als Parteichef ist in dieser Frage viel zurückhaltender – weil er eben auch weiß, dass es gerade in der Ost-CDU Befürchtungen gibt, mit diesem Kurs Wähler an die AfD zu verlieren.

Paradoxes Bild in den Umfragen

Anders als Mützenich und andere Skeptiker will Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) mehr Waffenlieferungen. Durch die Sparvorgaben scheint er nun düpiert. Gleichzeitig ist er beliebter als Scholz und gilt manchen als sein möglicher Nachfolger. Tut sich der Kanzler einen Gefallen, wenn er ausgerechnet mit Pistorius auf Konfrontationskurs geht?

Münch: Ich glaube nicht, dass die Beliebtheitswerte eines Verteidigungsministers eine Rolle in den Überlegungen des Bundeskanzlers beim Haushalt spielen. Die Umfragen zeigen ja auch ein paradoxes Bild: Zum einen ist Boris Pistorius als Verfechter von weitreichenden Waffenlieferungen sehr beliebt, zum anderen gibt es eine große Skepsis gegenüber Waffenlieferungen. Die Beliebtheitswerte von Pistorius können deshalb schnell kippen und Scholz wird sie auch aus diesem Grund nicht überbewerten.

Scholz hat Deutschland zuletzt als einen der größten Ukraine-Unterstützer gerühmt. Wie wird der Haushaltsstreit über die Ukraine-Hilfe in dem Kriegsland und bei anderen westlichen Partnern ankommen?

Münch: Für die Ukraine kommt diese Diskussion zur denkbar schlechtesten Zeit. Aber in den anderen Unterstützerländern – vielleicht mit Ausnahme von Polen sowie den baltischen Staaten – werden ähnliche Debatten über Waffenlieferungen geführt wie in Deutschland. Und anders als viele dieser Länder hat Deutschland bisher wirklich viel für die Ukraine getan. Die Partner können also schlecht mit dem Finger auf Deutschland zeigen.

Die neue deutsche Zurückhaltung könnte die Diskussionen aber auch anderswo befeuern und damit insgesamt die Unterstützung für die Ukraine schwinden lassen.

Münch: Das kann sein. Es lässt sich aber schwierig feststellen, ob die Unterstützung deshalb abnimmt, oder weil dort eben schon länger ganz ähnliche Debatten laufen.