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"Unsere Serie ist auch dazu da, sich moralisch an ihr zu reiben"

Fremdscham nach Pandemie-Pause: "jerks."-Fans dürfen sich auf eine neue Doppelfolge der im besten Sinne peinlichsten deutschen Comedy-Serie freuen. Showrunner, Darsteller und Ko-Produzent Christian Ulmen über politisch inkorrekte Witze, seinen Umgang mit Geld und die Freundschaft zu Fahri Yardim.

Menschenfleisch-Dinner, eingesperrte Au-pair-Mädchen, geplatzte Darmausgang-Beutel: Seit vier Jahren überzeugt die wunderbare Serie "jerks." mit fürcherlichen Fremdscham-Momenten und der gesamten Bandbreite politisch inkorrekter Witze. Nun wird es abermals unerträglich peinlich: Wenn Christian Ulmen und Fahri Yardim in den neuen Episoden der derzeit besten deutschen Comedy schier unausstehliche Versionen ihrer selbst spielen, ist das kaum mehr auszuhalten. Nach pandemiebedingter Zwangspause musste die vierte Staffel zwar aufs kommende Jahr verschoben werden. Einen kleinen Vorgeschmack gibt es für die Fans allerdings noch vor Weihnachten: Ab Mittwoch, 23. Dezember, ist eine neue Doppelfolge auf dem Streamingportal Joyn abrufbar. Erstmals fungierte Christian Ulmen nicht nur als Darsteller und Showrunner, sondern mit seiner Firma auch als Ko-Produzent. Wie die Corona-Sorge den Dreh beeinflusste, warum man sich an "jerks." gern auch moralisch reiben darf und wie die Serie die Beziehung zu Kumpel Fahri Yardim verändert, verrät der 45-Jährige im Interview.

teleschau: Sie mussten den Dreh zur vierten Staffel "jerks." wegen des Corona-Lockdowns erst verschieben - und dann unter Pandemie-Bedingungen drehen. Wie war das?

Christian Ulmen: Wir haben wie andere Produktionen mit Tests gearbeitet, Masken aufgesetzt und mit gewaschenen Händen Abstand gehalten. In der letzten Drehwoche hatten wir dann tatsächlich einen Corona-Fall: Eine Fahrerin, mit der ich am Tag vorher noch fuhr, wurde positiv getestet. Das war ein Schock. Ich entwickelte im selben Moment in dem ich die Nachricht hörte, Symptome, wurde aber negativ getestet, sowie das komplette Team. FFP2-Masken schützten uns. Wir hatten großes Glück während der Produktion. Und unserer Fahrerin geht es wieder gut.

teleschau: Wie groß war die Sorge, den Dreh komplett abbrechen zu müssen?

Ulmen: Die Sorge war präsent, weil eine Produktion nach der anderen um uns herum wegen Coronafällen pausieren musste. Wir waren jeden Abend froh, dass wir wieder einen Tag geschafft hatten.

teleschau: Haben die Maßnahmen die Stimmung am Set beeinflusst?

Ulmen: Nein, gar nicht. Irgendwann wurde das zur Gewohnheit: Jeden Morgen zur Coronarezeption, Fieber messen, testen lassen. In engen Räumen lüften. Masken auf. Das war nach zwei Tagen unscheinbarer Alltag. Sonst alles wie immer. Fahri laut und unverhohlen. Die produzentische Sorge vor einem Ausfall hat die Spielfreude nicht getrübt.

teleschau: Sie produzieren "jerks." seit dieser Staffel mit Ihrer eigenen Produktionsfirma mit. Hat das den Blick auf die Serie noch einmal verändert?

Ulmen: Eigentlich nicht. Es hat sich angefühlt wie immer. Ich war ja schon in den vorangegangenen Staffeln als Showrunner für "jerks." an mehreren Fronten unterwegs, und auch am Personal hat sich fast nichts geändert: Carsten Kelber, der vor vier Jahren die Idee zu "jerks." mit mir als Regisseur hatte und die Serie maßgeblich mitgeprägt hat, ist weiterhin Produzent der Serie, nur hat er mich jetzt auch auf dieser Ebene an der Backe. Florian Licht sorgt als Chefkameramann noch immer dafür, dass wir improvisieren können, nicht auf Marken stehen müssen und trotzdem scharf sind. Und mit Marty Schenk korrespondiere ich wieder via Cloud im Schnitt. Timon Karl Kaleyta ist neu ins Autorenteam dazu gestoßen.

"Wir wirken besorgniserregend souverän"

teleschau: "jerks." machen Sie nun seit vier Jahren - ist es so etwas wie ein Lebensprojekt geworden?

Ulmen: Bin mir nicht sicher, was das ist. Aber seit meiner Zeit bei MTV habe ich nicht mehr so lange an einer einzelnen Sache gearbeitet. Bleibt aber noch Zeit für anderes. "Tatort" oder Spazieren gehen. Und wir entwickeln mit der Pyjama Pictures zwei weitere Serien, auf die ich mich freue. Gleichwohl sich "jerks." mit jeder Staffel immer über ein ganzes Jahr wölbt.

teleschau: Hat die Serie Sie verändert?

Ulmen: Das glaube ich nicht. Aber sie hat mir wieder neue Lust aufs Spielen gegeben, und es macht jedesmal wahnsinnig Spaß, zu erleben, dass sich die gängigen Regeln des Filmemachens ohne weiteres brechen lassen und dabei neue, tolle Sounds entstehen.

teleschau: Sie sagten einmal, dass es während der MTV-Zeit genervt habe, dass man Sie mit der Kunstfigur Ulmen gleichsetzte. Bestand bei "jerks." nicht wieder die Gefahr, mit dem fiktiven Christian Ulmen identifiziert zu werden?

Ulmen: Damals ging es mir eher darum, dass sich der Zuschauer dir näher fühlt, wenn du ihn direkt aus dem Fernsehgerät angaffst. Als Moderator guckst du ja durch die Kamera in die Augen des Zuschauers und sagst ihm Hallo. Da entsteht Blickkontakt. Und Nähe. Wenn dich der Zuschauer auf der Straße sieht, bestimmt diese Nähe seine Erwartungshaltung an dich: "Hey, wir kennen uns doch, mach mal einen Witz." Schauspielern sieht man eher von der Seite zu, wohnt ihrer Geschichte bei, da gibt es keine direkte Ansprache, also entsteht eine eher gedrosselte Erwartungshaltung bei einer Begegnung auf der Straße. Und damit fühle ich mich wohler.

teleschau: Immerhin fragen sich die Leute im Netz, ob Sie wirklich noch verheiratet sind. Das scheint wie eine direkte Folge von "jerks" ...

Ulmen: (lacht) Ja, bestimmt. Wir wirken besorgniserregend souverän als geschiedenes Paar.

teleschau: Ihre Frau sagte neulich in einem Interview: "Ich beneide meinen Mann um die Leichtigkeit, mit der er sein Geld hinausschleudert." Können Sie das so stehen lassen?

Ulmen: Absolut. Ich verstehe, dass sie das beneidet. Geld auszugeben, ohne ihm nachzutrauern, in Erlebnisse und Erinnerungen zu investieren, das musste ich lange üben, das befreit.

teleschau: Hatten Sie nie Sorgen um Ihre finanzielle Zukunft?

Ulmen: Doch, klar. Am stärksten um die Dreißig herum. Habe alle Versicherungen abgeschlossen, die es gibt. Heute betäube ich diese Sorge mit kostspieligen Anschaffungen und habe Freude an zum Beispiel einer neuen Brennstoffzellenheizung.

"In der Zeit des Schnitts kommt Fahri mir sehr nahe"

teleschau: Hat "jerks" die Freundschaft zu Ihrem Kollegen und Kumpel Fahri Yardim intensiviert?

Ulmen: Selbstverständlich. Insbesondere in der Zeit des Schnitts kommt Fahri mir sehr nahe. Die Fülle des improvisierten Materials offenbart jede innere Regung und lässt in die Tiefen seiner Schauspielerseele blicken. Fahri ist sehr durchlässig, es ist abenteuerlich, ihn in seiner Konzentration zu beobachten, kurz bevor die Klappe geschlagen wird, die Unzufriedenheit, wenn er einen Take für misslungen hält, seine Irritation, wenn ein Vöglein in der Nähe zu laut zwitschert, die Griesgrämigkeit wenn er in einem Take nicht zu Wort kam oder seine Beschwerde wenn er spürt, dass die Kamera ihn gerade nicht im Bild hat. Wenn er mich nach zwei Monaten Schnittzeit anruft, ist es für ihn, als hätten wir uns zwei Monate nicht gesehen. Ich hingegen war ihm in der Zeit näher denn je.

teleschau: Tragen Sie Ihre Beobachtungen dann an ihn heran?

Ulmen: Unbedingt. Oft schicke ich ihm die Ausschnitte direkt. Filme dann vom Monitor ab, wie er gerade ein flackerndes Neonlicht im Hintergrund moniert oder alle lauthals wissen lässt, wie sehr er gerade friert (lacht). Es ist nicht so schlimm, wie es jetzt klingt. Es ist ja noch immer Fahri. Das Team lacht natürlich in solchen Momenten. Man nimmt ihn in den Arm, es steckt sehr viel Sehnsucht nach Trost in seinen Anwandlungen, und den schenken wir ihm dann. Dennoch beschämt es ihn immer ein wenig, wenn er sich so sieht. Darum schicke ich ihm diese Ausschnitte so gern. Fahri kann eine Szene spielen und sie simultan analysieren, kritisiert bisweilen im Spielen seine eigene schauspielerische Qualität. Das ist lustig, bisweilen etwas nervig, vor allem aber scheint darin sein riesiges schauspielerisches Können zu wurzeln, vor dem ich Tag für Tag im Schnitt niederknie.

teleschau: Ist das bei Ihnen ähnlich? Haben Sie das Endergebnis beim Dreh im Kopf - oder können Sie da einen Schalter umlegen?

Ulmen: Beides. Wenn ich in einer Szene merke, dass die Improvisation gerade komplett in die falsche Richtung läuft, der Episodenhandlung null zuträglich ist und später sicher nicht verwendet wird, dann breche ich auch mal einen Take ab. Der Schnitt läuft bereits mit. Und in einem versteckten Winkel meines Hirns beobachte ich das Spiel der anderen. Das klappt aber ganz gut. Die größten Momente, und da lassen dann alle immer los, sind die, in denen Unvorhergesehenes passiert, wenn wir uns im Spiel überraschen.

teleschau: Aus wie viel Improvisation besteht "jerks."?

Ulmen: Wir improvisieren die Dialoge, die Handlung steht schon fest. "jerks." ist kein klassisches Improvisationstheater. Dem Zuschauer soll am Ende egal sein, ob die Texte mal in einem Buch standen oder im Moment gefunden wurden. Die Improvisation ist hier bloß ein Werkzeug, ein Instrument, mit dem wir einen bestimmten Klang erzeugen. Und es geht uns natürlich auch darum, keinen Text auswendig lernen zu müssen (lacht).

"Jeder darf damit machen, was er möchte"

teleschau: Oft sind die improvisierten Texte hart an der Grenze des Sagbaren. Gab es jemals eine sozusagen politisch korrekte Schere im Nachhinein?

Ulmen: Nein. Ich sehe auch keinen pädagogischen Auftrag in unseren Geschichten. Jeder darf damit machen, was er möchte. Von Empörung über Anteilnahme bis hin zu trostspendendem Gelächter ist alles erlaubt.

teleschau: Gab es gar keine Diskussionen, ob man bestimmte Ideen bringen kann?

Ulmen: Vorher fast nie. Hinterher selten. Etwa bei der Folge mit dem Mädchen mit künstlichem Darmausgang, das von mir in der Serie in einen Pool geschubst wird und dessen Stoma-Beutel dann im Wasser aufgeht. Da erzählte mir eine Zuschauerin, die ebenfalls einen Stoma-Beutel trägt, dass sie seit Jahren in einem gemeinnützigen Verein gegen das Vorurteil ankämpft, dass diese Dinger im Wasser aufgehen, sie vor jedem Freibadbesuch mit Diffamierung kämpfen muss. Tatsächlich nämlich sind die Stomabeutel zu 95 Prozent wasserdicht. Die ärgerte sich natürlich sehr über unsere Episode, in der das Klischee bestätigt wird, gegen das sie ankämpft. Das kann ich sehr gut verstehen.

teleschau: Aber?

Ulmen: Hier noch kein Aber. Ungetrübtes Verständnis. Ich habe öffentlich über den Fall und den Verein BeuteltierNetzwerk e.V. gesprochen, auch mit Betroffenen, um sie bei ihrem Kampf gegen Vorurteile zu unterstützen. Jetzt kommt das Aber: Beim Geschichtenerzählen ist es kaum möglich, alle Perspektiven, alle möglichen Konsequenzen einer Erzählung mit allen Befindlichkeiten im Vorhinein abzuwägen. Geschichtenerzählern muss es möglich sein, alle Geschichten zu erzählen, die sie fantasieren. Im Anschluss sind alle Reaktionen erlaubt. Aber wenn man einmal anfängt, sich in vorauseilender Harmoniebedürftigkeit an möglichen Erwiderungen zu orientieren, dann lähmt das die Kreativität, und es entstehen langweilige, abgeschliffene Dinger. Unsere Geschichte handelte von diesem geringen Prozentsatz, bei dem so ein Beutel doch aufgeht. Einzig legen wir bei der Inszenierung Wert darauf, niemanden für etwas lächerlich zu machen, wofür er nichts kann. Die Inszenierung war dramatisch und erzeugte volle Empathie für das Mädchen. Die "jerks" waren wir, lachhaft allenfalls unser feiger Umgang mit der Situation. Das ist das Konzept der Serie.

teleschau: Bisweilen richtet sich die Kritik auch darauf, dass man dem Sexismus oder Rassismus der Hauptcharaktere keinen Raum geben soll.

Ulmen: "jerks." lädt zu dieser Kritik ein und macht der Empörung ein Angebot. Dazu steht unsere Serie zur Verfügung. Ich selber finde, "jerks." ist die anti-rassistischste und anti-sexistischste Serie im weltweiten Fernsehen, der Bezugsrahmen ist klar, die Hauptfiguren schon im Titel der Serie klar verortet. Aber das ist nur meine Sicht auf diese charmante, kleine Serie aus Potsdam.

teleschau: Sie finden es also auch in Ordnung, wenn "jerks" als Negativbeispiel herhalten muss?

Ulmen: Absolut. Neben all der großen Liebe, die wir für "jerks." erfahren, ist unsere Serie selbstverständlich auch dazu da, scheiße gefunden werden zu dürfen, sich moralisch an ihr zu reiben. Durch Reibung entsteht Wärme. Dazu laden wir herzlich ein.