Serie „Mir reicht's, ich geh in den Osten“ - Kurz vor Brandenburg-Wahl fällt SPD-Mann ein bitteres Urteil über Scholz

Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) gilt mit Abstand als beliebtester Spitzenkandidat bei der Wahl in Brandenburg am Sonntag. Trotzdem liegt seine Partei in Umfragen hinter der AfD. Viele geben der Ampel dafür die Schuld. Ein Besuch in Potsdam zeigt, dass aber selbst in einer SPD-Hochburg nicht alles mehr so läuft, wie es könnte.

Wer mit dem Auto von Neu Fahrland über die Nedlitzer Südbrücke Richtung Potsdamer Innenstadt fährt, kann kaum über ihn hinwegsehen: Dietmar Woidke, Ministerpräsident von Brandenburg. Das Wahlplakat des SPD-Politikers ist das Einzige, das wie ein Verkehrsschild im rechten Winkel zur Fahrbahn steht. Dort dominiert der 62-Jährige, in Natur 1,96 Meter groß, hochkant vor den waagerechten Plakaten der Konkurrenz, bei der die AfD weit rechts außen kaum noch wahrgenommen wird.

Umfragen weisen schon länger darauf hin, dass die Realität anders aussieht. Seit gut anderthalb Jahren liegt die AfD in allen Umfragen vor der stärksten Regierungspartei der Kenia-Koalition. Den größten Abstand erreichte die AfD zur SPD im September 2023 mit 12 Prozent. Zuletzt die Nase vorn hatten die Genossen am Jahresende 2022. Doch flammt bei ihnen drei Tage vor der Wahl Hoffnung auf, weil eine zweite Umfrage binnen einer Woche den AfD-Vorsprung auf nur noch ein Prozent zusammenschmelzen sieht.

„Mich wurmt, dass Leistungen der Regierung nicht mehr anerkannt werden“

Migration, Ukrainekrieg, Inflation: Wie bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen muss auch Woidke im Wahlkampf gegen alles dominierende bundespolitische Themen ankämpfen, auf die die Landespolitik keinen Einfluss hat.

Die wirtschaftliche Entwicklung in Brandenburg, das als einziges ostdeutsches Bundesland seit 1990 von der SPD regiert wird, kann sich jedenfalls sehen lassen. 12.000 neue Arbeitsplätze hat allein die Tesla-Ansiedlung in Grünheide gebracht, 1.200 Jobs soll ein neues Bahnwerk in Cottbus bringen. Seit Woidkes Amtsantritt 2013 hat sich der Abstand der Arbeitslosenquote zum Bundesdurchschnitt von 3,0 auf 0,1 Prozent verringert und liegt derzeit bei 6,1 Prozent, nur einen Hauch über jener von Niedersachsen (6,0 Prozent). „Am meisten wurmt mich, dass diese Leistungen der Regierung nicht mehr anerkannt werden“, ärgert sich Karl-Ludwig Böttcher.

 

Kein einziger SPD-Abgeordneter mehr im Ortsbeirat

Schon kurz nach der Wende war Böttcher in die SPD eingetreten. 25 Jahre leitete er als Geschäftsführer den Städte- und Gemeindebund Brandenburg (DStGB). Offizielle Ämter überlässt der 74-Jährige jedoch längst anderen – und konzentriert sich auf die Arbeit im SPD-Ortsverein Neu Fahrland. „Den Menschen hier geht es gut“, sagt der gelernte Ingenieur und weist auf die gepflegte Einfamilienhaus-Idylle um sein Haus. In seinem Garten sitzt er unter einer Markise mit seiner Frau Elke auf der Terrasse.

Doch über der Idylle am Krampnitzsee liegen Schatten. Denn im Gegensatz zu früheren Jahren sitzt für die SPD seit der jüngsten Kommunalwahl am 9. Juni kein einziger Abgeordneter mehr im Ortsbeirat von Neu Fahrland. „Ich habe versucht, Kandidaten zu finden. Leider vergeblich.“

Kritisiert, das Politiker zu schnell zu viel versprechen - auch von der SPD: der Kommunalpolitiker Karl-Ludwig Böttcher aus Neu Fahrland in Potsdam.<span class="copyright">Ulf Lüdeke / FOCUS online</span>
Kritisiert, das Politiker zu schnell zu viel versprechen - auch von der SPD: der Kommunalpolitiker Karl-Ludwig Böttcher aus Neu Fahrland in Potsdam.Ulf Lüdeke / FOCUS online

 

„Die AfD hat uns vorgemacht, wie das geht“

Seiner Meinung liegt dies daran, „dass immer mehr Menschen ihren wohlverdienten Ruhestand oder Wohlstand genießen“, so Böttcher. Die Bereitschaft, sich für das Gemeinwohl in der Politik zu engagieren, nehme immer weiter ab. Zugleich stiegen die Anforderungen an die Politik überall. Auch sei es der SPD nicht gelungen, junge Menschen als Nachwuchs für die Politik zu gewinnen. „Das haben wir verpennt, die AfD hat uns vorgemacht, wie das geht.“

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„Immer nur nett zu allen zu sein, hilft am Ende nicht“

Als DStGB-Landeschef hat Böttcher über lange Zeiträume tiefe Einblicke in politische Abläufe und Zusammenhänge bekommen. Vieles, sagt er, funktioniere gut in Brandenburg und Deutschland. Doch auch in seinem Bundesland macht er Entwicklungen aus, bei denen dringend gegengesteuert werden müsse.

Als besonders absurdes Beispiel nennt der 74-Jährige den Ausbau der Tramstrecke Potsdamer Bahnhof - Neu Fahrland über Krampnitz bis zum „Campus Jungfernsee“. „In einem toten Baumstumpf auf der geplanten Strecke waren kürzlich Exemplare des Heldbockkäfers gefunden worden. Sinn hätte gemacht, den Stumpf mit den Käfern einfach umzusetzen. Stattdessen wurde das Planungs- und Genehmigungsverfahren der gesamten Strecke unterbrochen. Absoluter Wahnsinn“, ärgert sich der SPD-Mann.

Auch mit der Rechtsprechung an den Gerichten, „die es immer allen recht machen wollen“, hadert der erfahrene SPD-Kommunalpolitiker immer mehr. Wie zum Beispiel beim Tesla-Protestcamp in Grünheide. „Obwohl das Camp ursprünglich nur eine kurze Zeit dort bleiben sollte, wies ein Gericht eine Klage der Polizei, die den Abbau des Camps gefordert hatte, ab“, schimpft Böttcher. „Immer nur nett zu allen sein hilft am Ende nicht, wenn Probleme sich so nicht lösen lassen. Dann muss man auch mal Prügel für unpopuläre Entscheidungen aushalten“, lautet die Erkenntnis des Genossen.

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„Wenn Olaf nur Woidkes Wumms hätte, wäre Lage im Land anders“

Das gelte im Übrigen auch, was Versprechungen der Politik angeht, sagt Böttcher. „Natürlich klingt es toll, wenn die Ampel in Berlin Infrastrukturprojekte ankündigt, die Bildung verbessern und die Wirtschaft fördern will. Aber alles zum gleichen Zeitpunkt rauszuposaunen, obwohl das ein oder andere noch gar noch spruchreif ist, ist kontraproduktiv und steigert die Frustration.“ Da müsse sich auch die SPD an die eigene Nase fassen.

Dies sei übrigens auch ein großer Unterschied zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke, den die Wähler in Brandenburg am Sonntag nicht vergessen sollten, sagt Böttcher. „Woidke hat bewiesen, dass er Prioritäten setzen kann, das Heft des Handelns in der Hand hat. Ich schätze den Kanzler sehr, aber beim Regieren ist Woidke einfach besser. Wenn Olaf nur Woidkes Wumms hätte, wäre die Stimmung im Land sicher anders.“

Ex-SPD-Politiker: „Unterste Ebene wird in der Partei nicht gehört“

Auch Ernst Strache zählt zu jenen, die sich in Neu Fahrland als SPD-Mitglied in den Ortsbeirat wählen ließen. Allerdings war schon 2019 nach einer Wahlperiode Schluss – und zwar nicht nur als Ortsbeirat. „Nach zehn Jahren in der SPD habe ich damals auch das Parteibuch abgegeben. Mir hat die Unterstützung gefehlt. Das war einfach zu frustrierend“, sagt Strache (Name von der Redaktion geändert) .

Besonders deprimiert habe ihn die Erfahrung, dass die unterste kommunale Ebene in der Partei einfach nicht gehört worden sei. „Uns geht es hier zwar gut in Neu Fahrland. Aber obwohl es zahlreiche Infrastrukturprobleme zum Beispiel im Verkehr und bei den Kitas gibt, haben alle immer wieder nur über Herausforderungen geredet, wie Migranten geholfen werden kann. Und wer dann sagt, dass es auch noch andere Probleme gäbe, der landet selbst in der SPD schnell in der rechten Ecke“, erinnert sich Strache.

Wie Böttcher bemängelt auch Strache, dass selbst SPD-Politiker zu schnell zu viel versprächen, was dann nicht umgesetzt werde. Das frustriere die Menschen und treibe sie anderen Parteien wie der AfD in die Arme. „Obendrein erlebt man, wie eine ständig wachsende Bürokratie die Effizienz der Verwaltung immer mehr einengt und vorhandenes Geld nicht abgerufen werden kann, weil am Ende auch noch Mitarbeiter in der Verwaltung fehlen, um die komplexen Anträge abzuarbeiten. Dann verlieren immer mehr Menschen die Geduld“, meint Strache.

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„Es geht darum, ob Brandenburg demokratisch bleibt oder ins Chaos geht“

Strache stellt erschreckt fest, dass es in seinem eigenen gutbürgerlichen Wohnumfeld immer mehr Personen gibt, die mit der AfD liebäugelten. „Es geht den Menschen um uns herum wirklich gut. Ich begreife nicht, wie sie ernsthaft daran denken können, AfD zu wählen.“

Trotz seines SPD-Parteiaustritts hofft er, dass Amtsinhaber Dietmar Woidke am kommenden Sonntag erneut das Rennen macht und mit der CDU eine regierungsfähige Mehrheit erhält. „Am Sonntag geht es darum, ob Brandenburg demokratisch bleibt oder ins Chaos geht. Und ich würde mich nicht darauf verlassen, dass das BSW eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen hat. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein solches Versprechen nach der Wahl gebrochen wird.“

Das sieht auch Karl-Ludwig Böttcher nicht anders. „Die Demokratie ist das höchste Gut, was wir haben. Die AfD will sie abbauen. Die Menschen, die sie wählen, werden sich umgucken, wenn dieser autoritäre Staat, den die AfD will, plötzlich wieder da ist.“