Serie „Mir reicht's, ich geh in den Osten“ - Brandenburger in Angst: „Was der AfD nicht passt, will sie abschießen“
Kurz vor der Landtagswahl in Brandenburg herrscht vielerorts angespannte Stimmung. In Templin etwa ist der Einfluss der AfD zuletzt stark gewachsen, manche sprechen sorgenvoll von einer „Zeitenwende“. Besonders deutlich wird das in der Kulturszene.
Dicke Regenwolken hängen an diesem Septembermorgen über dem Kurort Templin. Doch als Kathrin Bohm-Berg dampfenden, frischen Kaffee in ihrer großen Küche serviert, hellen sich ihr Gesicht und das ihres Gastes Wolfgang Janitschke beim Griff nach den Tassen auf. Bis der Reporter fragt, was es denn mit dem AfD-Antrag zu ihrem „Multikulturellen Centrum“ (MKC) auf sich hat – und das Lächeln der beiden gefriert.
„Dabei klingt die Beschlussvorlage eigentlich erst mal gar nicht so schlecht“, sagt Janitschke, Vorstand des MKC-Fördervereins. Die Stadtverordnetenversammlung, heißt es darin, möge beschließen, das Multikulturelle Centrum Templin in der Haushaltsperiode 2025/2026 mit einem jährlichen Zuschuss in Höhe von 200.000 € zu fördern. „Doch in Wahrheit“, so Janitschke, „will die AfD das MKC zu Fall bringen.“
„Sogar Berliner kommen, um Multikulturelles Centrum zu sehen“
Das MKC blickt in dem Kurort mit seinen knapp 16.000 Einwohnern, idyllisch eingebettet in eine weitläufige Seenlandschaft samt wucherndem Grün, auf eine lange Tradition zurück. 1910 direkt am Templiner Stadtsee zunächst als Hotel eröffnet, wurde in dem prächtigen Gebäude bereits 1913 ein Kino eingerichtet. Seitdem bauten die Templiner es für die Nutzung für Kunst und Kultur ständig um und aus.
Nach der Wende erhielt das Haus seinen neuen Namen. Die Stadt betrieb es zunächst in Eigenregie, 1999 ging es in die Trägerschaft des MKC-Fördervereins über. „Es gibt mobiles Kino, Theater, Konzerte, Lesungen, Probenräume und eigene Festivals wie die 'Wasserspiele'. Unser Kino hat den Hauptpreis der Programmkinos in Brandenburg gewonnen. Eine Einrichtung, die nicht nur für den Tourismus von großer Bedeutung, sondern identitätsstiftend für ganze Region ist. Die Besucher kommen sogar aus Berlin zu uns“, sagt MKC-Geschäftsführerin Bohm-Berg. Doch damit wäre Schluss, wenn der AfD-Antrag durchkäme.
„AfD hat keinen blassen Schimmer vom MKC“
Allein an den Zahlen, die im aktuellen Antrag genannt werden, seien „völlig aus der Luft gegriffen“ und ließen erkennen, dass die AfD „keinen blassen Schimmer von der Situation des MKC“ besitze.
So heißt es in der Antragsbegründung, dass die städtische Förderung ab 2023 von 185.000 auf 334.000 Euro erhöht worden sei. „Totaler Unsinn. Der städtische Zuschuss wurde voriges Jahr von 185.000 auf 285.000 Euro erhöht. Mit weiteren Zuschüssen von Kreis und Land beliefe sich die derzeitige Förderung auf rund 370.000 Euro. Zudem habe die Erhöhung von 2023 nichts mit Corona zu tun, wie die AfD im Ausschuss für Stadtentwicklung behauptet habe, sondern mit Mindestlohnanstieg, drastisch gestiegenen Energiepreisen und neuen Dienstleisterkosten, nachdem freie Mitarbeiterstellen weggefallen seien.
Würden die Zuschüsse der Stadt von 285.000 Euro auf 200.000 gesenkt, würde dies laut Bohm-Berg bedeuten, dass knapp drei von insgesamt sieben Stellen gestrichen werden müssten. “Damit wäre der Betrieb mit dem erfolgreichen Profil des Hauses nicht mehr möglich", so Bohm-Berg. Im Gegensatz zu öffentlichen Theatern, die nur 20 Prozent ihrer Kosten selbst deckten und 80 Prozent aus Zuschüssen erhielten, decke das MKC die Kosten zu 55 bis 60 Prozent durch Einnahmen und habe einen „fast ausgeglichenen Haushalt“.
Zweiter „boshafter Angriff der AfD“ auf Multikulturelles Centrum
Richtig entsetzt aber habe MKC-Spitze und Förderverein, dass dieser erneute Angriff der AfD auf Templins Kulturjuwel bereits der zweite sei, so Janitschke. „Schon 2020 hatte die AfD versucht, uns die Mittel um die Hälfte zu streichen und uns die Gemeinnützigkeit abzuerkennen. Und dies einzig aus dem Grund, weil wir uns 2020 dagegen entschieden hatten, ein Bürgerforum, dass die AfD zur Coronakrise bei uns organisieren wollte, ins Haus zu lassen. Also aus reiner Boshaftigkeit“. Aus dieser Haltung hatte die AfD damals keinen Hehl gemacht.
Und auch nach der Kommunalwahl vom 9. Juni, aus der die AfD in Templin mit 25 Prozent erstmals als Sieger hervorgegangen ist, ist das nicht anders. Auf eine Beschwerde über das AfD-Verhalten 2020 gegenüber dem MKC, die ein Linken-Abgeordneter im Ausschuss für Stadtentwicklung vor Kurzem äußerte, reagierte der AfD-Abgeordnete Dietmar Meier laut „Nordkurier“ mit einem „Dank“ für diese „Vorlage“. Ein Förderverein müsse sich „politisch neutral“ verhalten. Mit dem durch den AfD-Antrag eingesparten Geld könnten „andere unterstützt werden, zum Beispiel, um einen Kunstrasenplatz zu bauen“. Jens-Uwe Paesler (AfD), der mit Meier den Antrag in den Ausschüssen erläuterte, wollte sich gegenüber FOCUS online nicht zu dem Antrag äußern – und verwies auf den AfD-Kreisverband.
Der MKC-Vorstand indes hatte 2020 „einstimmig beschlossen“, ergänzt Janitschke, das Bürgerforum der AfD seinerzeit nicht zuzulassen, weil man einer Partei, die gegen die Coronamaßnahmen agitierte, den Bundestag gestürmt habe und Rechtsextreme in den eigenen Reihen führe, kein Podium bieten wolle.
AfD will Förderung von Vereinen streichen, die nicht ihrer Meinung sind
Das schonungslose Bekämpfen jener, die AfD-Positionen ablehnen, macht auch vor anderen Organisationen nicht halt, ergänzt Wolfgang Janitschke. Und erwähnt den Landesjugendring, an dem in Brandenburg 40 Jugendorganisationen von der Landesjugendfeuerwehr über die Philatelisten-Jugend bis zur Landesportjugend dranhängen.
Der Landesjugendring hatte Anfang Juli erklärt, dass Positionen, Kommunikationen und Inhalte der AfD „unvereinbar“ mit den eigenen seien. Brandenburgs AfD-Fraktionschef und Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt hatte daraufhin angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs dem Landesjugendring die Gemeinnützigkeit abzuerkennen und die Förderung zu streichen. Dieser Trend habe sich seit den jüngsten Kommunalwahlen in Templin und andernorts noch einmal verschärft. Janitschke: „Das Selbstbewusstsein der AfD ist in den letzten zwei, drei Monaten noch einmal spürbar gewachsen.“
SPD-Mann: „Erleben Zeitenwende, in der die AfD salonfähig wird“
Auch Christian Hartphiel ist nicht gut auf die AfD zu sprechen. Der 46-Jährige ist SPD-Fraktionschef in der Templiner Stadtverordnetenversammlung und im Uckermarker Kreistag. „30 Jahre lang war die Uckermark eine SPD-Hochburg. Jetzt sind wir hinter AfD und CDU auf Platz 3 gerutscht. Es macht im Augenblick keinen Spaß. Aber ich habe mich damit abgefunden, dass die AfD in fast allen Gremien den Vorsitz über übernommen hat“, sagt er und entschuldigt sich für der Berge an Wahlkampf-Utensilien wie Plakate, Flyer und Fähnchen auf dem Weg zu einem Besprechungsraum in seiner Wohnung.
Doch nicht nur die numerische Dominanz der AfD, die in Brandenburg als rechtsextremistischer Verdachtsfall vom Verfassungsschutz beobachtet wird, werde immer größer, sagt Hartphiel. Nach den letzten Kommunalwahlen verändere sich auch immer stärker die Stimmung, wie die AfD wahrgenommen und wie ihr begegnet werde. „Immer mehr Unternehmer bekennen sich öffentlich, diese Partei zu unterstützen. Ihre Politiker sind immer häufiger öffentlichkeitswirksam in der Stadt unterwegs. Die Leute sehen und denken, dass sie ihren Job machen. Wir erleben hier eine Zeitenwende, in der die AfD salonfähig wird.“
„Was der AfD nicht passt, will sie abschießen“
Im Stadtrat zeige die AfD dann aber ein ganz anderes Gesicht, so der SPD-Politiker. Zum Beispiel beim Vorschlag, eine Ehrenamtskarte einzuführen, die freien Eintritt in verschiedene Einrichtungen gewährt. „Das scheint eigentlich diskutabel. Der Haken: die AfD will Organisationen wie die Kirche, die sich gegen die AfD aussprechen, von der Nutzung der Karte ausschließen. Das ist schon entlarvend. Was der AfD nicht passt, will sie abschießen.“
Richtig deprimierend sei für ihn jedoch, dass es immer mehr Wählern nicht um gute Kommunalpolitik gehe, sondern darum, „der Ampel-Regierung in Berlin eins auszuwischen“. Es sei frustrierend, zu sehen, dass „engagierte Bürger“ wie der CDU-Politiker Wolfgang Janitschke, der sich seit Jahrzehnten für das MKC engagiere, es vor fünf Jahren nicht geschafft hätten, in den Stadtrat zu kommen. Und stattdessen „unbekannte und unerfahrene AfD-Kandidaten“ gewählt worden seien.
„Wollten nur über Migranten reden“: SPD-Wahlkampfteam vom Hof gejagt
Neulich sei er mit einem Wahlkampfteam zu einem Hof, auf dem drei Autos gestanden hätten. „Den Leuten ging es sichtbar gut. 'Scheiß SPD, ihr tut doch gar nichts!', haben sie uns zu gerufen, als wir uns zu erkennen gaben. Als ich dann ein paar große Projekte erwähnt habe, die wir mitbeschlossen und umgesetzt haben, wollten sie nur über Migranten reden und haben uns vom Hof gejagt.“
Diese Entwicklung wirke sich auch auf die bevorstehenden Landtagswahlen am 22. September aus. „Ich rechne mit einem sehr enttäuschenden Wahlergebnis und glaube nicht, dass es der SPD noch mal wie 2019 gelingt, in letzter Minute das Ruder rumzureißen.“ Dazu habe seiner Meinung nach auch SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke beigetragen, als er ankündigte, zurückzutreten, falls die SPD nicht wieder stärkste Kraft werden sollte.
Was die Zukunft des MKC angehe, „steht die SPD zu diesem Leuchtturmprojekt“. Eine Kürzung kommunaler Fördermittel käme einem Aus für das Multikulturelle Centrum gleich, da dann auch weitere Zuschüsse aus Kreis und Land gestrichen würden, womit der Betrieb nicht mehr gewährleistet werden könnten. „Kaum zu glauben, dass die AfD mit ihrem ersten Antrag nach der Wahl gleich eine alte Rechnung begleichen will.“
„AfD schösse sich mit Zuschusskürzungen ins eigene Knie“
Was politische Veranstaltungen im Multikulturellen Centrum Templin angeht, hat Kathrin Bohm-Berg mittlerweile mit Wolfgang Janitschke beschlossen, künftig überhaupt keine Partei mehr in das Haus zu lassen. „Und wenn, dann nur eine Veranstaltung, an der alle Parteien beteiligt sind.“
Was hingegen den AfD-Antrag zur Fördermittelkürzung betrifft, der Mitte Oktober beschlossen werden könnte, hofft die MKC-Geschäftsführerin, dass am Ende auch die AfD selbst erkenne, dass dies ein Fehler sei. „Gerade diese Partei fordert Vergünstigungen für Kinder und preiswerte Eintrittsgelder. Unsere Kinokarten kosten im Durchschnitt 6,50 Euro. Das wäre niemals mehr haltbar, wenn uns die Fördermittel gekürzt werden. Die AfD schösse sich damit ins eigene Knie.“