Serie „Mir reichts, ich geh in den Osten“ - Der letzte Grüne: „Die meisten schreien uns an, reden will kaum noch einer“
Jonas Löschau ist queer und grün - und damit das perfekte Feindbild für Bautzens rechten Mob. Der 24-Jährige kämpft seit fünf Jahren tapfer gegen das Erstarken der rechtsextremen Sachsen-AfD und lässt sich so schnell nicht aus der Fassung bringen. Doch auch für ihn gibt es Grenzen.
Die lodernden Flammen haben sich von den Füßen bis zur Brust an Bautzens einzigem grünen Stadtrat hochgefressen, bevor sie gelöscht werden konnten.
Gut gelaunt und gerade vor einem veganen Restaurant unweit des Kornmarkts einen Salat essend, merkt der Jungpolitiker lächelnd an: „Wir haben schnell ein neues Plakat direkt über das abgefackelte gehängt. Es trug die Aufschrift 'Ein Wahlplakat lässt sich zerstören. Unser Einsatz für die Demokratie nicht'.“
Ziemlich cool, findet der blonde Lockenkopf mit dem freundlichen Gesicht und türkis lackierten Fingernägeln, grüßt nach fünf Minuten bereits den dritten Vorbeigehenden zurück und nimmt noch einen Happen.
Jonas Löschau ist gerade einmal 24 Jahre alt. Doch in der Kreisstadt in Ostsachsen, durch die sich die Spree schlängelt, ist er als Politiker schon ziemlich bekannt. 2019 organisierte er die erste „Fridays For Future“-Demo. Der so schlagartig erlangten Prominenz, sagt Löschau, verdankt er sein erstes politisches Mandat beim Kreistag, in den er wenig später gewählt wurde. Ein Jahr danach kam noch ein Stadtratsmandat hinzu.
„Die meisten schreien uns an und machen zu, reden will kaum noch einer“
Wenn der Politik-Student an 2019 denkt, gerät er ins Schwärmen. Leicht, sagt er, hätte es seine Partei in Bautzen zwar noch nie gehabt. 2016 hatte ein brauner Mob wiederholt Flüchtlinge angegriffen, über den Kornmarkt und durch die Straßen der Stadt gejagt.
Seitdem gelte seine Heimatstadt unter Rechtsextremen als „Prestigeobjekt“, das „verteidigt“ werden müsse. Im Kreistag hatten die Grünen damals aber noch fünf Mandate. „Und es gab immer wieder Menschen, die uns sagten: 'Euch könnte man wählen'.“
Doch die Zeiten haben sich geändert. Am 9. Juni hat der 24-Jährige sein zweites Kreistagsmandat ergattert. Statt einst vier sitzen dort außer ihm nur noch zwei weitere Grüne. Die AfD wird derweil immer mächtiger. Am 1. September könnte die in Sachsen vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestufte Partei erstmals stärkste Kraft werden.
„An unseren Wahlständen wird kaum noch diskutiert“
34,8 Prozent erhielt die AfD bei der Kreistagswahl, die CDU kam zwar erneut auf Platz 2, allerdings mit 27,3 Prozent inzwischen deutlich abgeschlagen. „Die Stimmung hat sich spürbar verschlechtert. Viele haben sich in der Corona-Pandemie noch stärker radikalisiert. An unseren Wahlständen wird kaum noch diskutiert. Die meisten schreien uns irgendetwas entgegen, machen zu und hauen sofort ab. Reden will kaum noch einer.“
Zwar passt Bautzens letzter grüner Stadtrat inzwischen „ganz genau auf, wann und wo ich mich im Ort bewege“. Er schaue öfter über die Schultern, als er das früher getan habe. Wenn die „Montagsdemo“ mit Hunderten Extremisten und Verschwörungstheoretikern am Kornmarkt starte, ginge er nach 20 Uhr nicht mehr allein auf die Straße.
Doch den Kopf in den Sand stecken, das kommt für Jonas Löschau nicht in Frage. So fand am 9. August der zweite „Christopher Street Day“ (CSD) statt, den der junge Bautzener mittlerweile organisiert hat.
Die Resonanz, sagt er, hat die kühnsten Erwartungen übertroffen. 1000 Teilnehmer kamen diesmal, fast dreimal so viele wie 2023. Plus fast 700 Rechtsextreme, die als Gegendemo die bunte CSD-Schar provozierte, bedrohte und Regenbogenfahnen anzündete - zehnmal so viele wie beim ersten CSD. Schon wieder stand Bautzen in den Negativ-Schlagzeilen.
Drohung gegen die Grünen: „Dich zünde ich an, du brennst bestimmt gut“
Als der junge Grüne mit dem Reporter am frühen Nachmittag zu einem Spaziergang durch die Altstadt aufbricht, stehen an einer Ecke am Kornmarkt zwei Heranwachsenden mit „strammem Scheitel“, die zum „Jugendblock Bautzen“ zählen. Sie tragen schwarze „Isegrim“-T-Shirts, ein unter Neonazis beliebtes Mode-Label, das der Wiedererkennung untereinander dient. Und obgleich erst seit einem Jahr aktiv, hat der Verfassungsschutz Bautzens „Jugendblock“ bereits wegen „Delegitimierung des Staates“ im Visier.
Einer der beiden, sagt Löschau, habe ihm vor dem zweiten CSD offen gedroht, dass „'wir auch da sind und dafür sorgen, dass dies der letzte wird'“. Vor einem halben Jahr hatte ihn bei einer Demo ein anderes „sehr aktives Mitglied vom Jugendblock“ mit einer Regenbogenfahne entdeckt und ihm sogar zugerufen: „Dich zünde ich an, du brennst bestimmt gut“.
Doch Löschau lässt sich von solchen Drohungen nicht einschüchtern. „Naahhh“, ruft er dem Isegrim-Träger laut auf die andere Straßenseite zu und grinst, „hast du dich gut amüsiert am Samstag?“ Der Schwarzgekleidete, diesmal ohne seinen grölenden „Jugendblock“ im Nacken, schweigt.
Letzter Grünen-Stadtrat von Bautzen: „Woher kommt nur diese wachsende Unzufriedenheit?“
Als Löschau vom Kornmarkt in die Reichenstraße einbiegt, öffnet sich der Blick in eine enge, entzückende Gasse mit kleinen Handwerksläden und Cafés, deren Stühle alle belegt sind. Liebevoll sanierte Fassaden, ruhige, bunte Farben, zufriedene Gesichter, wo man auch hinblickt. „Den Leuten geht es doch gut. Wenn ich mir das hier anschaue, frage ich mich, woher nur diese wachsende Unzufriedenheit kommt, die die AfD nährt“, sagt Löschau.
Die rechte Szene habe in Bautzen ein neues Selbstbewusstsein entwickelt. „Die Anhänger spüren, dass die AfD im Aufwind ist, machen ihre Schultern breit, zeigen sich noch demonstrativer.“ Auf „Jugendblock“-Plakaten, die regelmäßig bei Demo-Zügen auftauchten, prangen dumpfe Parolen wie „Wir sind die Jugend ohne Migrationshintergrund“. Löschau: „Oft pöbeln sie einfach los, wenn sie mich sehen.“
„Grünen Bundespolitikern gelingt es zu selten, Zeit des Übergangs nachvollziehbar zu erklären“
Der Hass, der den Grünen in Bautzen immer stärker entgegenschlage, habe allerdings auch mit der Art zu tun, wie die Bundesminister der Grünen und die Parteiführung Politik als Regierungspartei in der Ampel-Koalition mache, gibt Löschau unumwunden zu.
Er könne verstehen, dass die Menschen zum Beispiel über höhere Energiepreise verärgert sind, davon sei er ja auch selbst betroffen. „Das, was unseren Bundespolitikern leider viel zu selten glückt, ist, nachvollziehbar für alle zu erklären, warum es in einer Zeit des Übergangs, wenn grundlegende Dinge geändert werden müssen, eben nicht anders geht.“ Als weiteres Beispiel nennt Löschau das Heizungsgesetz, nach dessen Bekanntgabe die Stimmung gegen die Grünen kippte.
„Zivilgesellschaft hat nach Correctiv-Bericht gemerkt, dass was ins Rutschen gekommen ist“
Bei all den Schwierigkeiten, die den Grünen in Bautzen entgegenschlagen, gebe es jedoch auch wieder Gründe, Hoffnung zu schöpfen, lobt Löschau. „Die Zivilgesellschaft hat Anfang des Jahres nach der Veröffentlichung des Correctiv-Berichts zu dem Sellner-Treffen mit AfD-Politikern in Potsdam gemerkt, dass hier was in Rutschen gekommen ist, dem man sich entgegenstellen muss.“
Die Zusammenarbeit anderer demokratischer Parteien in Stadtrat und Kreistag gegen die AfD funktioniere gut. Und erstmals seit langer Zeit habe es wieder mehrere Neueintritte gegeben, rund 100 Mitglieder zähle der Kreisverband der Grünen inzwischen.
Neben dem ersten CSD im vorigen Jahr und Demos gegen Rechtsextremismus haben sich rund 50 Einzelpersonen zu Beginn des Jahres in Bautzen zusammengefunden, die nun regelmäßig die Kulturveranstaltungen als „Happy Mondays“ organisierten. „Es werden Konzerte, Vorträge und Events auf die Beine gestellt, um den Menschen der Stadt zu zeigen, dass es auch noch etwas anderes gibt als das Geschwurbel auf den 'Montagsdemonstrationen'.“
Und auch der jüngste CSD ist aus Löschaus Sicht ein voller Erfolg. „Klar war das krass, dass uns fast 700 Neonazis bedrängt haben. Aber am Ende kann ich nur sagen: sie haben ihr Ziel, unsere Veranstaltung zu stören, nicht erreicht – wir hingegen schon. Wir haben Spaß gehabt, für mehr Toleranz geworben und uns richtig amüsiert. Wir sind die Gewinner!“
Eine Zehnjährige im Sog rechtsextremer Brüder
Besonders wichtig sei dies im Hinblick auf Jugendliche, die in Bautzen immer früher in rechtsextreme Kreise abrutschten. „Beim CSD am vorigen Wochenende habe ich sogar Zehnjährige gesehen, die von ihren Brüdern im 'Jugendblock' mitgenommen wurden. Die wachsen in diese rechtsextreme Szene rein, lernen Kampfsport und sind, wenn sie volljährig sind, für die Gesellschaft verloren, wenn ihnen vorher keine Alternativen angeboten werden“, sagt Löschau.
Auch aus diesem Grund habe er sich auch entschlossen, sein Politikstudium an den Nagel zu hängen und auf Lehramt umzuschwenken - mit dem Schwerpunkt Gemeinschaftskunde. „So kann ich noch besser etwas dafür tun, dem Nachwuchs demokratische Werte zu vermitteln, als mir das als Politiker gelingt.“ Noch ist er für Politik eingeschrieben, ab nächstem Semester dann für Lehramt.
Nach einem Schlenker durch die von vorbildlich sanierten Barockhäusern gezierte Schlossstraße, für Löschau „die schönste in Bautzen“, führt er den Reporter als Kontrastprogramm zu „Kurti“, der auf der anderen Seite des Kornmarkts liegt. Der selbstverwaltete Jugendclub wird immer wieder Ziel von Angriffen aus der rechten Szene. Der letzte liegt gerade mal einen Monat zurück. „Sechs Vermummte haben ein paar Leute angegriffen, die vor dem Club saßen. Zwei von ihnen wurden dabei verletzt“, erzählt der Grüne.
Er selbst habe bislang „Glück gehabt“, was physische Attacken angehe. Auch die Befürchtungen im Wahlkampf für die Kommunalwahlen am 9. Juni, die es nach dem brutalen Angriff gegen den SPD-Politiker Matthias Ecke in Leipzig gab, hätten sich „zu Glück nicht bewahrheitet“, erzählt Löschau. „In einer Bar habe ich mal eine Kopfnuss bekommen, weil ich meinem Gegenüber wohl nicht passte, einfach so. Und in einer anderen Bar hat ein Security-Mitarbeiter schnell genug reagiert, zu verhindern, dass sich ein Rechter auf mich gestürzt hat, indem er ihn einfach zu Boden warf.“
„Wenn die AfD an die Regierung kommt, ziehe ich fort“
Er habe „gelernt, diese Dinge nicht an mich ranzulassen“, sagt Löschau zehn Minuten später, als er dem Reporter zum Abschluss die grasbewachsene Traum-Terrasse unterhalb des sorbischen Residenztheaters zeigt. Von dort bietet sich einer der schönsten Blicke auf Bautzens Altstadt-Silhouette, den man im Sommer mit einem Getränk an der Bar „Sundowner“ genießen kann.
Doch auch für ihn, der in Bautzen geboren und aufgewachsen ist und „die Stadt und ihre Menschen liebt“, gibt es eine Grenze. „Ich würde sehr gerne weiter hier in dieser wundervollen Stadt leben. Aber wenn die AfD im Land an die Regierung kommen oder meine Sicherheit hier irgendwann nicht mehr gewährleistet sein sollte, dann ist für mich Schluss, dann ziehe ich fort.“