Serie „Mir reichts, ich geh in den Osten“ - Ominöse Wissenschaftlerin kauft Schloss – dann ist im Dorf nichts mehr wie zuvor
Im sächsischen Reinsberg war man lange „zufrieden“, dass die AfD hier nicht wirklich Fuß fassen kann. Dann kauft eine ominöse Wissenschaftlerin aus Potsdam das lokale Schloss - und nichts ist mehr wie vorher.
Wer nur einen kurzen Blick auf Schloss Reinsberg von der Straße aus wirft und das Haus nicht kennt, könnte denken: „Nette Villa, aber ein Schloss ...?“ Doch wie so oft genügen schon ein paar Schritte in die eine oder andere Richtung, und schon sieht alles ganz anders aus.
Bei Schloss Reinsberg im gleichnamigen Dorf im Landkreis Mittelsachsen wird aus der „netten Villa“ schlagartig ein wuchtiges Bollwerk mit mächtigen Mauern. Sie wirken hoch über dem steilen Tal der Bobritzsch noch majestätischer, da das Bauwerk auf einem steilen Felssockel errichtet wurde, was man von der Straße weder sieht noch ahnt.
Neue Schlossherrin will „wissenschaftliche Begegnungsstätte“ eröffnen
Portale, Fenster und Türen sind fest verschlossen, selbst Klingelschilder fehlen. Nichts deutet darauf hin, dass mit diesem Ensemble aus dem Mittelalter gerade irgendetwas passiert.
Doch auch hier trügt der Schein. Denn nach 800 Jahren Adelssitz, Enteignung durch Kommunisten und diversen Jahrzehnten Nutzung als DDR-Ferienheim war es dem Reinsberger Stadtrat 2021 gelungen, endlich einen neuen Eigentümer zu finden.
Die Freude war doppelt groß in der 3000-Einwohner-Gemeinde. Denn der Stadtrat konnte über das Vorkaufsrecht zunächst verhindern, dass sich die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ das historische Juwel unter den Nagel riss. Anschließend verkaufte die Gemeinde es im selben Jahr an eine neue Besitzerin, die aus dem Schloss ein Hotel samt „wissenschaftlicher Begegnungsstätte“ machen will.
Plötzlich wird klar, wer da in den Ort gekommen ist
Doch diese Freude ist längst verflogen. Im Dezember berichtete die „Zeit“ in einer aufwändigen Recherche über mannigfaltige Vernetzungen der neuen Besitzerin Mathilda Huss in die rechtsextreme Szene. Anfang Januar kam mit der Veröffentlichung der „Correctiv“-Recherche ans Tageslicht, dass Huss auch das „Landhaus Adlon“ in Potsdam betreibt. Dort hatte der Rechtsextremist Martin Sellner im November seine anschließend bundesweit heftig kritisierten „Remigrations“-Pläne geteilt – unter anderem mit namhaften AfD-Politikern.
Huss soll auf ihrem weitläufigen Anwesen in Potsdam schon zuvor diverse AfD-Köpfe und Strategen des völkisch-nationalistischen Flügels sowie Vertreter der „Neuen Rechten“ empfangen haben, darunter Götz Kubitschek und „Compact“-Chefredakteur Jürgen Elsässer. Zeugen hatten dies per eidesstattlichen Erklärungen bestätigt. Huss hingegen streitet alles ab - und will zu „privaten Gästen“ nichts sagen.
Nicht nur die „Zeit“, sondern auch das ZDF und der „Tagesspiegel“ berichten, dass Huss seit Jahren krude Rassentheorien propagiere. Huss habe sich demnach unter dem Pseudonym „Augusta Presteid“ zu Themen wie „Populationsgenetik“ geäußert, mündlich, schriftlich oder auch verpixelt sowie als Schattenriss in Videos und Podcasts. Sie sei überzeugt von einer Überlegenheit der „Weißen Rasse“ und habe Anhänger von LGBTQ-Rechten als „genetisch degeneriert“ bezeichnet, so die Medienrecherchen.
Huss widerspricht auch diesen Darstellungen und droht, gegen verleumderische Berichte gerichtlich vorzugehen.
„Wir haben alle gedacht, das kann doch nicht wahr sein“
Ein Reinsberger, der Huss selbst kennengelernt hat und zunächst durchaus beeindruckt von ihr war, ist Konrad von Posern. Der 60-Jährige sitzt für die CDU als parteiloses Mitglied im Stadtrat von Reinsberg. „Frau Huss hat sich sehr gut mit ihren Plänen präsentiert bei uns. Wir waren alle unglaublich erleichtert, Schloss Reinsberg 2021 an sie verkaufen zu können, das für uns als kleine Gemeinde finanziell nur ein Klotz am Bein war“, so von Posern.
Als dann aber plötzlich klar geworden sei, wen sich die Gemeinde Reinsberg da in den malerischen Ort als neue Schlossherrin geholt hatte, sei die Stimmung umgeschlagen. „Wir haben alle gedacht, das kann doch wohl nicht wahr sein. Das war für uns alle sehr ernüchternd“, erinnert sich von Posern.
Sorge, dass Reinsberg zu braunem Pilgerort werden könnte
Bis zu jenem Zeitpunkt herrschte bei vielen Reinsbergern ein Gefühl der „Zufriedenheit“, berichtet von Posern. Zufriedenheit darüber, dass die AfD in diesem Ort anders als in vielen anderen Gemeinden Sachsens bislang nicht wirklich Fuß fassen konnte. Keine aktiven Politiker, keine AfDler im Stadtrat.
Jetzt ist der Ort in Sorge. Die Befürchtung: Reinsberg könnte mit der neuen Schlossherrin zu einem braunen Pilgerort werden. Und dann stehen jetzt auch noch die Landtagswahlen vor der Tür.
„Rechtsextreme Kontakte von Schlossherrin erstunken und erlogen“
Obwohl von der AfD in Reinsberg auf den ersten Blick jede Spur fehlt, existiert sie doch in den Köpfen ziemlich vieler Bürger. Bei der EU-Wahl am 9. Juni heimste die Partei in der kleinen Gemeinde satte 42,2 Prozent ein.
Jemanden zu finden, der diese Wahlpräferenz offen zugibt und den Verkauf des Schlosses an Mathilda Huss vielleicht mit anderen Augen sieht, ist dennoch schwierig. „Kein Kommentar“, „Das fällt unters Wahlgeheimnis“ lauten Antworten, mit der sich die Fragen schnell erledigt haben.
Eine Ausnahme findet sich ausgerechnet einen Steinwurf vom Schloss entfernt. „Ich halte die Geschichten mit den Kontakten von Frau Huss zu Rechtsextremisten für erstunken und erlogen, aufgebauscht von den Medien“, sagt ein Mann um die 40, der vor seinem Grundstück steht und von dort das Schloss sehen kann.
Der Reinsberger, der anonym bleiben soll, hätte „nichts dagegen“, wenn die Schlossherrin ihr Programm durchzöge. „Es ist ein doch Glücksfall für die Bürger, so endlich wieder Zugang zu dem wunderschönen Gebäude zu bekommen. Die Gemeinde hat kein Geld dafür, sich darum zu kümmern. Und erste Instandhaltungsarbeiten hat Frau Huss ja schon gemacht.“
„Die Gemeinde wird nicht intervenieren können“
Auch Reinsbergs parteiloser Bürgermeister Markus Buschkühl war zunächst positiv beeindruckt von Mathilda Huss. Kurz nach Bekanntwerden der ersten Vorwürfe gegen die neue Schlossherrin aus Potsdam versicherte er jedoch sofort, „alle uns zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, damit das Schloss nicht von Rechtsextremen genutzt wird“.
Doch dem 52-Jährigen ist klar: Viel Spielraum hat die Gemeinde nicht, auf das Geschehen im Schloss Einfluss zu nehmen. „Solange sich keine Ansätze finden, die gegen die Verfassung verstoßen, wird die Gemeinde nicht intervenieren können“, so Buschkühl.
Bauantrag für Schlosssanierung genehmigt
Mit der neuen Schlossbesitzerin hat der Bürgermeister zuletzt im Februar gesprochen. „Frau Huss hatte mich gefragt, ob ich denn überhaupt noch mit ihr reden würde nach den Berichten über sie. Ich habe ihr gesagt, dass ich ihre Ideen nicht teilen müsse, aber auf Lösungen hinarbeiten werde, wie das Schloss wieder genutzt werden kann“, so Buschkühl.
Inzwischen sei der Bauantrag für die geplanten Sanierungsarbeiten genehmigt worden. Doch seit dem Treffen im Februar herrscht Funkstille, berichtet Buschkühl. „Seit Monaten tut sich nichts am Schloss. Im Augenblick sieht es nicht so aus, als ob sich daran bald etwas ändern würde.“