Serie „Mir reicht's, ich geh in den Osten“ - Coolness, Migration, Gruppenzwang: Warum Junge im Osten vor allem AfD wählen

Der Brandenburgfer AfD-Spitzenkandidat Hans-Christoph-Berndt feiert zusammen mit dem Thüringer Parteichef Björn Höcke und Bundessprecher Tino Chrupalla.<span class="copyright">Christoph Soeder/dpa</span>
Der Brandenburgfer AfD-Spitzenkandidat Hans-Christoph-Berndt feiert zusammen mit dem Thüringer Parteichef Björn Höcke und Bundessprecher Tino Chrupalla.Christoph Soeder/dpa

Bei den Erst- und Jungwählern hat die AfD in Brandenburg mit Abstand das beste Ergebnis eingefahren. Bei einem Besuch in Eberswalde offenbart sich die Motivation der jungen Menschen. Einer fühlt sich wegen seiner rechten Einstellung in der Schule unterdrückt.

Es scheint, als wenn es Ronny* eilig hat. Flinken Schritts strebt er, Hände in den Taschen, um die Mittagszeit mit einem Kumpel dem Marktplatz in Eberswalde entgegen. Doch als der Reporter ihn im Vorbeigehen anspricht, ob er kurz stören dürfe wegen einer Wahlumfrage, bleibt der 16-Jährige sofort stehen. „Ich habe AfD gewählt“, gibt Ronny ohne Zögern zu.

Genauso direkt antwortet er auch, warum er der in Brandenburg als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuften Partei als Erstwähler seine Stimme gegeben hat: „Ausländer, die sich korrekt verhalten, können bleiben. Doch die, die kriminell werden, sollten abgeschoben werden. Die AfD ist die Partei, die sich meiner Meinung nach am besten darum kümmert.“

„In der Schule gingen immer wieder Arme zum Hitlergruß hoch“

Ronny ist einer der vielen Erst- und Jungwähler unter 34 Jahren, die am vergangenen Sonntag bei der Landtagswahl ihr Kreuz bei der AfD gemacht haben. 31 Prozent in der Altersklasse von 16 bis 24 Jahre votierten für die Rechtsaußen-Partei. Bei den 25- bis 34-Jährigen waren es sogar 34 Prozent. Zum Vergleich: Die Wahlsiegerin SPD kommt in den beiden Altersgruppen jeweils nur auf rund 20 Prozent. Auch bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen Anfang September schnitt die AfD mit ähnlich hohen Werten als beliebteste Partei unter jungen Wählern ab.

Erstwähler Ronny hat gerade seinen Hauptschulabschluss gemacht und plant, einen Handwerksberuf zu erlernen. „Bei mir an der Schule ging es nicht zimperlich zu. Da gingen immer wieder rechte Arme zum Hitlergruß hoch, immer wieder wurden Hakenkreuze an Schulwände gemalt. Ein absolutes No-Go“, sagt Ronny.

„Schlecht, dass die AfD so breit gegen Ausländer schießt“

Ebenso stört den AfD-Wähler, dass mit Hans-Christoph Berndt ein Mann der AfD-Fraktion in Brandenburg vorsteht und Spitzenkandidat ist, der vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wird. Berndt unterhält offen Kontakte zur Identitären Bewegung und zum Magazin „Compact“, beide ebenfalls vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft. „In einer Demokratie sollte das nicht sein, dass solche Menschen in einer Partei eine Führungsrolle haben“, meint Ronny.

Er will dem AfD-Spitzenkandidaten auch nicht darin folgen, Remigration „als Versprechen“ zu bezeichnen. „Es ist schlecht, dass die AfD so breit gegen Menschen mit Migrationshintergrund schießt. Ich kenne zwar welche, die verweigern sich wirklich gegen alles, arbeiten nicht und haben ein loses Mundwerk. Aber ich kenne eben auch viele andere, die sind absolut in Ordnung.“

„Mitschüler wählen AfD, weil sie Typen wie Höcke und Weidel cool finden“

Torben* spricht ebenfalls offen über die Landtagswahl: „Ich schätze, dass bei mir auf der Berufsschule etwa 80 Prozent der Mitschüler AfD wählen. Das hat aber weniger damit zu tun, dass sie sich für Politik interessieren oder davon Ahnung hätten, sondern dass sie Typen wie Björn Höcke oder Alice Weidel einfach cool finden.“ Dass Höcke wie Berndt ebenfalls als gesichert rechtsextrem eingestuft wird, störe die Mitschüler dabei nicht.

 

Die Unterstützung für die Partei sei jedoch nicht immer freiwillig, merkt der 22-Jährige kritisch an. „Da wird schon ein spürbarer Gruppenzwang gegen jene aufgebaut, die die AfD nicht mögen.“ Der Umgang mit Andersdenkenden sei rabiat: „Ich habe einen Freund, der ist eher links eingestellt und kennt sich wirklich ziemlich gut aus in Politik. Sie lassen ihn aber nicht mal zu Wort kommen und hauen ihm üble Sprüche um die Ohren. Wer hier links oder grün wählt und das sagt, bekommt den Druck sofort zu spüren und ist unten durch.“

Torben mag sich zwar nicht über die Politik der Rechtsaußen-Partei äußern. „Vor der Bundestagswahl werde ich mir aber alle Parteien genau anschauen und dann entscheiden, wen ich wähle. Ich bin auch gegenüber der AfD offen.“

„AfD macht mehr Politik für Deutsche als für Migranten“

Steve* ist mit einem Plastikteller Spaghetti in der Nähe des Marktplatzes unterwegs, von dem er im Gehen isst. „Ich habe AfD gewählt, weil diese Partei die Einzige ist, die das Land voranbringen will“, erklärt der 23-Jährige währenddessen.

Auch für ihn ist Migration das wichtigste Thema. Er schätze es, dass die AfD „mehr Politik für Deutsche als für Migranten macht als andere Parteien“. Er betont aber, „offen und tolerant gegenüber allen anderen Parteien“ zu sein. „Untragbar“ sei für ihn, dass viele Migranten in Deutschland nicht arbeiten dürften, nur weil ihr Berufsabschluss hier nicht zügig anerkannt werde. „Das sollte sich schnell ändern“, so Steve.

Als es darum geht, wie Steve denn darauf kommt, dass die alten Volksparteien keine Politik mehr für die Deutschen machten, beendet dieser das Gespräch abrupt mit einem hastigen „Tschüss“ und geht einfach davon.

Elias: „Migrationspolitik ist gut, die AfD ist aber zu extrem“

Bevor ein wenig später Elias* überhaupt bejahen kann, dass er AfD gewählt hat, zeigt der Kumpel, der mit ihm unterwegs ist, auf den jungen Schüler. Ein anderer Kumpel hingegen macht sich sofort aus dem Staub: „Da ich nicht AfD gewählt habe, gehe ich jetzt.“

Der 16 Jahre alte Elias erzählt: „Ich finde gut, dass die AfD die Bildungs- und Migrationspolitik reformieren will, das ist dringend nötig.“ Allerdings ist auch für ihn „die Art und Weise, wie die AfD gegen die Migration vorgeht, zu extrem“. Dies sowie das „Leugnen des Klimawandels“ seien für ihn zwei Dinge, von denen sich die AfD unbedingt trennen müsse.

Auch das Thema Rechtsextremismus in den Reihen der AfD müsse die Partei in den Griff bekommen, wolle sie sich stärker auf Bundesebene durchsetzen. „Typen wie Höcke sind einfach eine Nummer zu viel. Und das gilt auch für AfD-Spitzenkandidat Berndt, der einfach zu viele peinliche Dinge von sich gibt“, sagt Elias.

Schüler fühlt sich wegen rechter Einstellung von Lehrern unterdrückt

Was ihn hingegen immer mehr ärgere, sei die „undifferenzierte Stimmung“, die gegen die AfD und ihre Unterstützer gemacht werde. „Das gilt für die Behauptung, AfD-Wähler seien dumm, genauso wie für jene, dass alle AfD-Wähler Nazis seien.“

Das erlebe er nicht nur unter den Mitschülern auf seiner Schule. Bei denen gebe es neben Sympathien für die AfD vor allem Unterstützung für Linke und Grüne. Auch aus der Lehrerschaft bekomme er Abneigung wegen seiner politischen Einstellung zu spüren, erklärt Elias. „Zwar nicht offen, aber doch so, dass klar wird, wer gemeint ist. Zum Beispiel, wenn ein Lehrer nach einer Geschichts-Doku über Nazi-Deutschland sagt: ‚Passt also auf, dass ihr am Sonntag richtig wählt.‘ Ich verstecke meine rechten Positionen nicht. Aber ich finde, so etwas geht nicht, ich empfinde das als Unterdrückung.“

„Hass macht uns kaputt“: Schüler genervt von Polarisierung

Von den alten Volksparteien zeigt sich der 16-jährige Schüler enttäuscht. „Sie haben zu viel versprochen und zu wenig gehalten. Und wenn ich mir dann anschaue, dass die Ampel ein Embargo gegen russisches Öl verhängt, um es dann letztlich doch über dem Umweg Indien zu laufen, das Öl von Putin kauft, dann ist das eine Doppelmoral, die ich nicht verstehe.“

Statt über ein Parteienverbot für die AfD nachzudenken, wünscht sich Elias, dass diese zunehmende „Polarisierung zwischen Ost und West, zwischen Deutschen und Ausländern“ endlich aufhöre und wieder mehr Gelassenheit einkehre. „Dieser ganze Hass macht uns sonst kaputt.“

* Namen von der Redaktion geändert