Serie „So geht es Deutschland wirklich“ - „Der Staat kriegt es nicht hin“: Die Probleme der Dierks sind typisch für unser Land

Izabela und Rüdiger Dierks aus dem niedersächsischen Nienburg können eigentlich nicht klagen. Beide arbeiten, beide verdienen gut. Zum Leben bleibt ihnen trotzdem nur das zweite Gehalt. Das Ehepaar bekommt die wirtschaftliche und politische Krise deutlich zu spüren.

Ihren Wohlstand haben sich Izabela und Rüdiger Dierks erarbeitet. Nach Jahren der Entbehrungen ist ihr Einfamilienhaus in Nienburg an der Weser abbezahlt, zwei umfangreichere Sanierungen beziehungsweise Modernisierungen waren ebenfalls möglich.

Mit zwei Gehältern lässt sich der Lebensunterhalt trotz steigender Preise gut bestreiten, bilanzieren die beiden. „Es wäre nicht fair gegenüber anderen, etwas anderes zu behaupten“, merkt Izabela Dierks an und hat dabei diejenigen im Blick, die von den aktuellen Entwicklungen noch stärker betroffen sind.

Anders als in jungen Jahren müssen sie zwar nicht mehr jede Mark und später jeden Euro umdrehen. „Wir haben manchmal auch ganz schön knapsen müssen“, erinnert Rüdiger Dierks. So manches Mal sei der Familienurlaub nicht mehr möglich gewesen, auch anderen Genuss habe sich das Ehepaar versagen müssen.

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Das sieht heute anders aus. Beim Einkauf müssen die beiden trotzdem schlucken, wenn sich die Butter wie zuletzt in wenigen Wochen von 2,40 Euro auf 3,64 Euro verteuert und der Gasversorger eine Preiserhöhung von 15 Prozent ankündigt . „So hoch sind meine Lohnerhöhungen nicht“, merkt der 63-Jährige an.

Zwei Gehälter, gutes Leben - und doch Sorgenfalten

Als Industriemeister Metall in einem Chemiebetrieb kommt Rüdiger Dierks auf ein Bruttogehalt von 4600 Euro, davon landen rund 3000 Euro auf dem Konto – nach 45 Berufsjahren, davon 33 im gleichen Unternehmen. Durch die Zulagen kommt Ehefrau Izabela, Fachkrankenpflegerin für Intensivpflege und Anästhesie und freigestellte Betriebsrätin im Nienburger Krankenhaus, auf etwas mehr.

Doch bevor die beiden zum Einkaufen kommen, geht bereits einiges ab: Altersvorsorge, Versicherungen, Autokredit, Nebenkosten. „Eins von zwei Gehältern ist weg. Für uns zum Leben bleibt im Prinzip das zweite Gehalt übrig“, rechnet Rüdiger Dierks vor.

Hinzu kommt, dass im Betrieb des 63-Jährigen erneut häufiger ein Schlagwort fällt, das aus den Pandemiejahren vertraut ist: drohende Kurzarbeit. „Die Gießereien, die wir beliefern, sind zum großen Teil schon in Kurzarbeit. Einige haben ganz aufgegeben“, sagt Dierks.

Hier zeigen sich für die Dierks die wirtschaftlichen Fehlentwicklungen im Land

Dank Tarifvertrag würde er weiterhin 90 Prozent seines Gehalts bekommen. Weil damit die 50 Kilometer Arbeitsweg nach Hannover wegfallen, ergeben die fehlenden zehn Prozent ein „Nullsummenspiel“. Eine Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln kommt für ihn wegen der ständigen Verspätungen und Ausfälle ohnehin nicht infrage.

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Doch zeigen sich für Dierks hier die wirtschaftlichen Fehlentwicklungen im Land: Mit der schwächelnden Industrie lahme der zuliefernde Mittelstand und damit das Fundament der Wirtschaft. In seiner Branche hemmten vor allem die hohen Energiepreise und die Bürokratie die Produktivität.

„Wenn wir ein Patent anmelden und in die Produktion gehen wollen, zieht das einen unglaublichen Rattenschwanz nach sich“, bemängelt der Metall-Industriemeister überbordende Regulierungen: „In der Zwischenzeit können unsere ausländischen Firmen das längst auf den Markt gebracht haben. Das darf nicht sein.“

In ihren Jobs werden die Probleme des Landes deutlich

Auch Izabela Dierks treiben die wirtschaftlichen Entwicklungen um, besonders im Gesundheitssektor. Als Betriebsrätin einer Klinikgruppe setzt sich die 57 Jahre alte Fachkrankenpflegerin seit 2016 für bessere Arbeitsbedingungen an ihrem Standort ein.

Sie beschreibt einen immensen Reformstau, der Jahr für Jahr größer werde. Selbst sinnvolle Neuerungen wie die elektronische Patientenakte führten wegen immer neuer Dokumentationspflichten am Ende zu mehr Aufwand als die frühere Papierarbeit. „Sie ist wichtig, aber aufgeblasen“, kommentiert Dierks frustriert. Sie beobachte eine enorme Arbeitsverdichtung, die den Nachwuchs abschrecke: „Junge Kollegen wollen nicht ausgebeutet werden.“

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Genauso könne es nicht sein, dass die Konzerne Löhne drückten, während sie die Gelder der Beitragszahler als Dividende an die Aktionäre auszahlten. Reinigungskräfte müssten mit 13 Euro Stundenlohn brutto auskommen. „Es ist mir ein Rätsel, wie die das hinkriegen“, sagt Dierks.

 

Das Ehepaar Dierks erkennt durchaus an, dass die gescheiterte Ampelregierung das Land durch unverhofft schwierige Zeiten führen musste. Immerhin blieben die düstersten Szenarien wie eine Gasmangellage aus.

Doch gleich mehrere Entscheidungen haben unmittelbaren Einfluss auf ihr Privat- und Berufsleben – meist mit negativem Empfinden. Die geplante Krankenhausreform von Gesundheitsminister Lauterbach ? „Das ist doch ein Unding, wenn die privaten Krankenkassen sich nicht daran beteiligen wollen“, sagt Izabela Dierks; damit bezahle eine Krankenschwester das Pflegebett des Chefarztes.

Nach dem Entwurf für das Gebäudeenergiegesetz haben sie sich einen Kostenvoranschlag für eine Luftwärmepumpe geholt; eine Luft-Luftwärmepumpe bringt ihnen bereits Warmwasser. Kostenpunkt wegen notwendiger Sanierungen: mindestens 50.000 Euro. In ihrem Alter undenkbar.

„Spinnerei“ - Kosten für Energie-Sanierung 50.000 Euro

„Wir haben das Geld nicht gespart, um es jetzt auf einen Schlag für so eine Spinnerei auszugeben“, sagt Rüdiger Dierks. Zumal die Versicherung den Wasserschaden im Keller nach dem Hochwasser zu Jahresbeginn nicht zahle.

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Einer umweltfreundlichen, sozialdemokratischen Politik sind die beiden gewiss nicht abgeneigt. Als ehrenamtlicher Richter am Sozialgericht sieht Rudolf Dierks immer wieder die prekären Verhältnisse, in denen Menschen in Deutschland leben.

Er schildert Fälle, bei denen Sozialhilfeempfängern Zahlungen verweigert würden, weil Fristen versäumt wurden. Doch um die Unterlagen abzugeben, müssen sie telefonisch einen Termin vereinbaren – dabei sei das Jobcenter selbst während der Öffnungszeiten oft nicht telefonisch erreichbar.

Ähnliche Hürden haben die beiden hautnah erlebt, als sie 2022 zwei ukrainische Familien bei sich aufnahmen und ihnen durch den Behördendschungel halfen. „Privat haben wir wirklich gute Dinge erreicht, aber der Staat kriegt es nicht hin“, sagt Rüdiger Dierks frustriert über die vielfältigen Integrationshemmnisse.

Bei so vielen strukturellen Problemen, die sich über die Jahre und Regierungen hinweg mehr verschärfen denn verbessern, schwindet bei Familie Dierks das Vertrauen in die Politik. „Alle Versprechen sind heiße Luft“, bemängelt Rudolf Dierks, der die SPD bereits wegen der Hartz-Reformen verlassen hat.

„Die da oben müssen mehr hören, was unten passiert“

Im Buhlen um eine möglichst breite Wählerschaft verlören die etablierten Parteien ihre Profile, er spricht von einem Ohnmachtsgefühl. „Die da oben müssen mehr hören, was unten passiert“, findet auch Izabela Dierks. In der aktuellen Parteienlandschaft finde sie keine politische Heimat: „Die politischen Auftritte sind so egozentrisch, nur an sich gedacht und nicht an das Land.“ Wobei die beiden die Politiker auf kommunaler Ebene noch als nahbarer und lösungsorientiert erleben.

Doch ist es nicht nur die Politik, insbesondere das Erstarken rechtsextremer Positionen, das die beiden beunruhigt. „Die Solidaritätsgemeinschaft schwindet“, beobachtet Izabela Dierks mit Sorge ein zunehmendes soziales und wirtschaftliches Gefälle. Dabei habe Deutschland viel Potenzial, ein hervorragendes Ausbildungssystem.

„Die Basis ist da, sie muss nur wiederbelebt werden“, sagt die 57-Jährige, die in den 1990er Jahren aus Polen nach Nienburg gekommen ist. Dafür brauche es aber weniger Debatten und mehr Taten zum Wohle des Landes.