Serie: „So geht es Deutschland wirklich“ - „Bescheuert“: Warum sich Bäcker Jens nun Atomkraft und Russen-Gas zurückwünscht

In der Grubenbäckerei in Rostock backen Geschäftsführer Jens Mühlau (56) und seine drei Mitarbeiter noch nach altem Rezept. Doch die steigenden Energiekosten erschweren den Kampf ums Überleben der 126 Jahre alten Bäckerei. Jetzt rechnet der Chef mit der Politik ab.

Rostock Stadtmitte, Dienstagabend, 23 Uhr. Auf dem regennassen Asphalt in der Grubenstraße nahe des Stadthafens spiegelt sich das Licht der Laternen. Die Luft ist kalt, der Himmel diesig. Ein Mann stolpert aus einer Kneipe, zieht seine Kapuze über und mit seiner Cannabis-Fahne davon. Sonst ist niemand unterwegs, die meisten Fenster der Wohnhäuser sind dunkel. Doch in der Grubenbäckerei brennt noch Licht. Schon Licht.

In der 35 Grad warmen Bäckerstube ist von der Ruhe der einbrechenden Nacht nichts zu spüren. Schon seit einer Stunde sind Bäckermeister Jens Mühlau und seine zwei Mitarbeiter im Einsatz, rühren und kneten Teige für verschiedene Backwaren. Die ersten Berliner, Kürbiskernbrötchen und Quarktaschen sind bereits fertig. Bis 6 Uhr werden zahlreiche Vollkornbrote, Walnuss-Rote-Bete-Brote, Lerchen und Apfeltaschen folgen.

Rostocker Grubenbäckerei backt nach altem Rezept

Gebacken wird in der Traditionsbäckerei, die schon seit 1899 besteht, noch nach altem Rezept – in einem mindestens 126 Jahre alten originalen Steinplattenofen mit weißen Kacheln. „Viele Kunden schwärmen, dass das Vollkornbrot noch wie früher schmeckt“, sagt Mühlau zu FOCUS online. Er ist seit 2003 Inhaber der Bäckerei.

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Der Warnemünder, 56, mittelgroß, blaue Augen, Tattoos von Boxer Mike Tyson und Löwen auf den Armen, arbeitet seit fast 40 Jahren als Bäcker. Früher in der DDR wollte er eigentlich zur See fahren, erzählt Mühlau. Aus staatstechnischen Gründen habe er jedoch nicht gedurft.

Die Entscheidung für die Bäckerlehre war dann eher pragmatisch. Durch seinen Vater – einen Müller – kannte er viele Bäcker in Rostock und unterschrieb schließlich seinen Lehrvertrag.

Was ihm an seinem Beruf am meisten Spaß macht? „Wenn ich nach Hause gehen darf“, sagt er und lacht. „Nein, unser Handwerk wird auch gewürdigt von Experten, zum Beispiel dem Feinschmecker (ein Gourmetmagazin, Anm. d. Red.) . Der hat uns zu einer der 450 besten Bäckereien in Deutschland gewählt“, berichtet Mühlau. „Das macht einen schon stolz, wenn man nicht alles falsch gemacht hat im Leben.“

Auch die Fußball-Nationalmannschaft der Frauen und der 1. FC Köln, damals noch mit Trainer Christoph Daum, hätten bei Stationen in Rostock ihre Brötchen bei ihm bestellt.

 

Bäckermeister Mühlau hatte schon zwei Herzinfarkte

Für das Geschäft nimmt Mühlau viel auf sich. Zwei Herzinfarkte hatte der 56-Jährige schon. Seither will er etwas kürzertreten, arbeitet meistens bis kurz vor 3 Uhr. Trotzdem schläft er jede Nacht nur rund vier Stunden, da seine Frau gegen 7 Uhr aufstehen muss. Auch er startet dann in den Tag. „Da kann man noch einiges erledigen“, sagt Mühlau und legt eine Rolle Teig (oder „Teich“, wie Mühlau sagt) in eine Körnermischung.

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Von 15 bis 18 Uhr macht er dann nochmal einen Mittagsschlaf. Die Reißleine zu ziehen, wie die Ärzte es ihm geraten haben – das kommt für den Bäcker nicht in Frage. „Wenn man das zu dem Zeitpunkt über 25 Jahre gemacht hat und davon existieren muss – was soll ich denn sonst machen?“

„Wir hatten richtig zu kämpfen“

Auch der Kampf ums wirtschaftliche Überleben ist in den vergangenen Jahren immer härter geworden – insbesondere durch die Corona-Pandemie. Seitdem sei das Geschäft eingebrochen, berichtet Mühlau. „Wir hatten vor einem oder zwei Jahren richtig zu kämpfen.“

Das habe unterschiedliche Gründe. Auf der einen Seite: der erhöhte Mindestlohn . „Da wird uns vorgeschrieben, was wir zu zahlen haben. Natürlich sollen die Angestellten Geld verdienen, das ist alles richtig“, sagt Mühlau und fegt mit einem Mehlbesen das überschüssige Mehl von der Arbeitsfläche in einen Eimer. „Aber die, die das bestimmen, verstehen nicht, dass die Gesellen ja auch steuerfreie Nachtzuschläge bekommen – dadurch verdienen die eine ganze Menge Geld.“

Durch die Erhöhung des Mindestlohns müsse Mühlau auch Abstriche von seinem Gehalt machen, das im mittleren vierstelligen Bereich liegt. „Aber das ist natürlich abhängig von der wirtschaftlichen Situation. Wenn es nicht so läuft und wir wenig Umsatz machen, verdiene ich auch weniger – das ist ja logisch“, sagt der Geschäftsführer. Im vergangenen Jahr lag der Umsatz bei rund 500.000 Euro vor Steuern.

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Reich werde er durch seinen Beruf nicht. „Aber ich kann gesund davon leben“, sagt Mühlau. Von Vorteil sei auch, dass ihm das Haus, in dem sich seine Bäckerei befindet, gehört. Dadurch falle keine Miete an.

Teure Rohstoffe, hohe Energiekosten

Auf der anderen Seite haben sich die Rohstoffe stark verteuert. „Mehl ist um rund 70 Prozent teurer geworden“, berichtet der Bäcker. Obwohl er Mengenrabatt bekomme, belaufen sich die Kosten für Zutaten für seine Backwaren, darunter 18 Sorten Brot, auf etwa 12.000 Euro im Monat.

Darüber hinaus sind bedingt durch den Ukraine-Krieg die Kosten für Gas und Strom stark gestiegen. Vor fünf Jahren habe Mühlau pro Monat noch 1200 Euro Abschlag für Gas gezahlt, heute sind es 1500 Euro. „Das ist eine gemachte Geschichte“, sagt er mit Blick auf den Krieg in der Ukraine. „Wir hätten weiter russisches Gas beziehen können. Aber das ist ja nicht gewollt.“

„Wie bescheuert sind die eigentlich?“

Außerdem bedauert Mühlau, dass Deutschland die Atomkraftwerke vom Netz genommen hat. „Diese ganzen scheiß erneuerbaren Energien“, schimpft der Bäcker. Im Hintergrund rödelt unaufhörlich die große Teigknetmaschine und macht den Kuchenteig geschmeidig. „Deutschland rettet nicht die Welt als so kleines Land. Überall bauen sie neue Kernkraftwerke und bei uns schalten sie die ab – wie bescheuert sind die eigentlich?“

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Damit kleine Bäckereien wie die Grubenbäckerei, die noch selbst backen, überleben können, fordert Mühlau niedrigere Gaspreise und die Wiederaufnahme der Atomkraft .

Mit der amtierenden Regierung im Allgemeinen sei Mühlau „gar nicht“ zufrieden. Er hat seine Hände jetzt in die Hüfte gestemmt, seine Füße in den mehlverkrusteten Turnschuhen sind hüftbreit aufgestellt. „Die brauchen mir auch nicht mehr ins Haus kommen.“

Mühlau ist enttäuscht von ausländischen Fachkräften

Enttäuscht ist er nicht nur von deren Energie-, sondern auch der Migrationspolitik. „So wie es jetzt läuft, schaffen wir uns selber ab. Wir holen uns hier Leute rein, die unser Geld bekommen fürs Nichtstun“, sagt der Bäcker. „Ich habe hier noch nicht eine Fachkraft gesehen.“

Zumindest noch keine, die geblieben ist. Vor ein paar Jahren hatte er einen syrischen Flüchtling als Gesellen eingestellt. Anfangs sei der junge Mann zuverlässig gewesen und jeden Tag aus der rund 40 Kilometer entfernten Kleinstadt Güstrow nach Rostock gekommen.

Nach einem halben Jahr habe sich der Geselle dann plötzlich intensiv seiner Religion zugewandt und öfter seine Arbeit unterbrochen, um in der Wohnung im Obergeschoss zu beten. An einigen Tagen sei er gar nicht zur Arbeit erschienen, „weil Allah das gesagt hat“.

Die Freunde, mit denen sich der Geflüchtete umgab, hätten hingegen keine Arbeit gehabt und seien oft nach Köln gefahren. Der Geselle habe oft mitgewollt. „Wenn er arbeiten muss, geht das halt nicht“, sagt der Geschäftsführer. Schließlich verspielte sich der Syrer seine Aussicht auf die Übernahme des Geschäfts sowie der Wohnung – Mühlau setzte ihn vor die Tür.

Eine ähnliche Erfahrung machte der Bäckermeister später mit einem gelernten Konditor aus der Ukraine, der mit seiner Frau nach Deutschland geflohen war und in der Bäckerei als Geselle anfing. Nach zwei Wochen dann die große Enttäuschung: „Da hat er mir gesagt, dass er aufhört zu arbeiten, weil das Amt sagt: 'Wenn du zu Hause bleibst, bekommst du mehr Geld'“, sagt Mühlau. „Das ist doch nicht normal.“

„Lasst die AfD doch einfach regieren“

Politikverdrossen will der Bäckereimeister nicht sein. „Aber worauf soll ich denn hoffen, wenn man sich anhört, was die das ganze Jahr von sich geben?“, fragt er. „Da muss ich ganz ehrlich sein: Die AfD – lasst die doch einfach regieren, nehmt die doch einfach in die Verantwortung“, sagt Mühlau.

Er finde es idiotisch, dass eine zu demokratischen Wahlen zugelassene Partei so außer Acht gelassen werde. „Sicherlich machen die nicht alles richtig. Aber ich kann jemanden nur entlarven, wenn ich ihn machen lasse.“

Rostocker Bäckerei ist personell gut aufgestellt

Währenddessen holt „Ofenmann“ Tudor mit einer langen Ofenschaufel die ersten Brotkästen aus dem tiefen, 250 Grad heißen Ofen und platziert sie auf einem Tisch zum Auskühlen.

Weitere Fachkräfte oder einen Nachfolger sucht Mühlau derzeit nicht. Es würden sich viele Quereinsteiger bewerben. „Ich muss wirklich Leute vertrösten, weil ich voll besetzt bin mit vier Leuten“, sagt Mühlau.

Für den 30-jährigen Tudor, Rumäne, studierter Maschinenbauer und seit einem Jahr in der Bäckerei, seien die Nachtschichten noch besonders hart, sagt Mühlau. „Nicht schlafen!“, ruft ihm sein Kollege Tibor einmal lachend in der angrenzenden Kaffeeküche zu. Es ist kurz vor 1 Uhr.

„Später kamen die Nutten und haben von ihren Kunden erzählt“

Mühlau will auf sein Herz hören und bald nach Hause fahren. Früher kamen mitten in der Nacht noch Polizisten nach ihrem Schichtende in die Backstube, um sich etwas auf die Hand mitzunehmen. „Die haben dann berichtet, wo es Prügeleien gab“, sagt Mühlau. „Später kamen die Nutten und haben von ihren Kunden erzählt.“

Morgens um sechs Uhr habe er schon über alles Bescheid gewusst, sagt der Bäckermeister lachend. „Aber eigentlich ist seit Corona alles ausgestorben.“

Trotz allem blickt er optimistisch in die Zukunft. „Irgendwie kommt man schon wieder auf die Füße“, sagt er. Er geht von der Backstube durch die Kaffeeküche in den winzigen Verkaufsraum und inspiziert die fertige Backware. Mit seinem Leben ist er insgesamt sehr zufrieden. „Ich würde fast alles nochmal so machen.“