Serie „So geht es Deutschland wirklich“ - „An jedem Körperteil verletzt“: Polizist richtet drastische Warnung an Deutschland
Als Polizist hält er täglich seinen Kopf für unsere Sicherheit hin. Der Kölner Hauptkommissar Kristian Beara liebt seinen Job, der gut bezahlt und spannend ist. Doch die zunehmende Gewalt beunruhigt ihn. Der 44-Jährige sorgt sich um die Wehrhaftigkeit des Staates und warnt.
Kölner Innenstadt. Polizeiinspektion 1. Schwungvoll betritt Kristian Beara das Dienstgebäude. Bevor er sich an seinen Schreibtisch setzt, zieht er sich Sportklamotten an und verschwindet im Kraftraum. Dass der 44-Jährige seinen Körper stählt, hat vor allem einen Grund: Polizisten wie er müssen fit und robust sein, um bei körperlichen Auseinandersetzungen bestehen zu können.
„Die Einsatzsituationen und die Entwicklung der Gewalt haben sich ganz klar negativ entwickelt“, sagt der Beamte, nachdem er von seiner Sporteinheit zurück ist und in Uniform vor der Kaffeemaschine steht. Auf Deutsch: Es knallt immer öfter in Deutschland.
Kristian Beara ist seit 25 Jahren im Dienst. Die längste Zeit war er bei der Bereitschaftspolizei. Jetzt kümmert er sich hauptsächlich um Polizeieinsätze bei Veranstaltungen und Versammlungen sowie um den Objektschutz im Bereich der Kölner Innenstadt. „Das ist mehr Schreibtischarbeit als früher. Aber den Großteil unserer Zeit sind wir weiterhin draußen auf der Straße oder im Wachbereich unterwegs.“
Kölner Polizist: Mehr Gewalt, mehr gefährliche Einsätze
So kommt es vor, dass er die Kollegen vom Wachdienst unterstützt, die eine Etage tiefer sitzen und rund um die Uhr Dienst haben. Auch sogenannte Kriminalitätsschwerpunkte fährt er weiterhin regelmäßig an. Das Dienstgebäude befindet sich in der Nähe des Bahnhofs, im alten Bankenviertel.
„Die Nähe zu verschiedenen Brennpunkten ist bei dieser Lage selbstredend“, sagt Beara.
Laut Plan steht für den 44-jährigen heute ein eher ruhiger Tag an: Für den Nachmittag ist eine Veranstaltung von Tierschützern geplant. Demnächst wird er aufbrechen, um die Veranstalter zu treffen und mit ihnen über den genauen Ablauf zu sprechen.
„Schauen wir mal, ob ich pünktlich bin“, sagt er und beginnt sich „aufzurüsten“ – wie immer, wenn er im Dienst das Gebäude verlässt. Mit Pfefferspray, Funkgerät, Waffe.
Polizisten sorgen für unsere Sicherheit. Jeden Tag halten sie ihren Kopf hin, damit die Menschen in Deutschland in Ruhe und Frieden leben können. Im Umkehrschluss heißt das: Überall dort, wo Menschen Regeln missachten und Gesetze brechen, müssen sie einschreiten. Oft riskieren sie dabei ihre Gesundheit. Manche verlieren ihr Leben.
So wie der 29-jährige Polizist Rouven Laur. Am 31. Mai 2024 griff ein Mann aus Afghanistan auf dem Mannheimer Marktplatz mehrere Menschen am Stand der islamkritischen Bürgerbewegung „Pax Europa“ mit einem Messer an. Als Polizist Rouven Laur eingreifen wollte, stach der Täter ihn nieder.
Kristian Beara ist noch immer fassungslos, dass ein Polizeibeamter – also ein Schützer der freiheitlich-demokratischen Grundordnung – bei diesem terroristischen Attentat ermordet wurde.
„Wer Polizeifunk hört, denkt anders über unseren Job"
„So gut wie jeder Polizist kennt Einsatzlagen, bei denen man in einen Hinterhalt geraten und schwer verletzt werden kann. Auch ich stand schon in sehr brenzlichen Einsatzlagen und musste abwägen, ob ich von der Dienstwaffe Gebrauch mache. Bisher ist es glimpflich verlaufen.“ Bisher.
Kristian Beara ist überzeugt: „Wer auch nur einen Tag bei uns am Funk mithört, denkt anders über unseren Job.“ Immer wieder fallen bestimmte Einsatzstichworte: KV für Körperverletzung etwa. VUP steht für Verkehrsunfall mit Personenschaden, HG heißt häusliche Gewalt. „KV hören wir heute sehr viel öfter als noch vor ein paar Jahren“, sagt der Kölner. Oft in Kombination mit „Messer“.
Seine Einschätzung deckt sich mit den offiziellen Bilanzen.
So registrierte die Polizei in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2023 insgesamt 3536 Messerattacken in der Öffentlichkeit. Das waren 1057 Fälle mehr (plus 42,6 Prozent) als im Jahr 2022. Die Berliner Charité gab unlängst bekannt, in den ersten sechs Monaten 2024 seien so viele Messerstich-Verletzungen behandelt worden wie sonst in einem ganzen Jahr.
„Ich selbst bin, was das angeht…“ Kristian Beara hält inne. Sagt dann: „Positiv formuliert: erfahren.“ Und negativ formuliert? Er lächelt, wirkt dabei aber eher nachdenklich als amüsiert. „Abgestumpft vielleicht?“
Der Familienvater hat einen 16-jährigen Sohn, die Kinder von Freunden sind zum Teil schon älter und manchmal kommt dann die Frage auf: „Der Polizeiberuf, wäre das was für mich?“ Er berichtet dann, wie sehr er für seine Tätigkeit brennt, auch nach all den Jahren noch.
„Muss man erst mal verdienen": 4100 Euro netto im Monat
Dann zählt er die verschiedenen Vorteile des Beamtentums auf, die aus seiner Sicht „ordentliche“ Bezahlung etwa. Besoldungsklasse A 11 plus die so genannte Erfahrungsstufe – für den Hauptkommissar bedeutet das: 4100 Euro netto. „Das muss man in der freien Wirtschaft erst mal verdienen, brutto wäre das ja fast das Doppelte“, gibt er zu bedenken
Dazu kommt: „Schon im Studium gibt es für die angehenden Polizisten Geld, was ich echt Luxus finde, wenn man bedenkt, dass man in anderen Ländern fürs Studium zahlen muss.“
Im nächsten Schritt tut Kristian Beara dann allerdings etwas, was er auch an diesem Vormittag auf der Wache demonstriert: Er krempelt die Ärmel hoch, deutet erst auf den rechten, dann auf den linken Unterarm, nimmt dann als Nächstes einen Unterschenkel ins Visier und sagt trocken: „So ziemlich an jedem Körperteil habe ich eine Verletzung, die mit meinem Beruf zu tun hat.“ Man erkennt Bisswunden, Narben, vielerlei Spuren der Gewalt.
Mindestens einmal war Beara in Lebensgefahr. In dem Fall außerhalb des Dienstes, aber „Polizist ist man immer“. Ein Einbrecher kam ins Bearas Haus und zückte einen langen Schraubendreher. Beara übersah eine Terrassenstufe und fiel auf den Rücken.
„Ich konnte dem Einbrecher in den Augen ablesen, dass er nicht sicher war, ob er den Schraubendreher tatsächlich einsetzen wollte, da ihm offenbar bewusst war, dass er mich damit töten konnte. Er ließ doch ab und nutze die gewonnene Zeit, um über den hohen Gartenzaun zu klettern.“
Immerhin: Einen zweiten Einbrecher konnte Kristian Beara festnehmen. Er wurde in der anschließenden Gerichtsverhandlung zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt.
Was will er mit alldem sagen? „Erstens: Polizist ist ein toller Beruf. Zweitens: Mitunter kann es unangenehm und auch gefährlich werden und vor allem Letzteres nimmt zu“. Der dritte Punkt richtet sich weniger an potenzielle Polizeianwärter, hier sieht er die Politik am Zug. „Gerade in diesen Zeiten sollte alles für die Attraktivität dieses Berufes getan werden!“
„All cops are beautiful“
Seit jeher wollen schon Kinder Polizist werden. Tatsächlich aber ist die Zahl geeigneter Bewerberinnen und Bewerber in einigen Bundesländern zuletzt gesunken. Kampagnen wie die „Nachwuchsfahndung“ in Sachsen-Anhalt oder der Slogan der Bundespolizei „all cops are beautiful“ haben in der Vergangenheit versucht, den potenziellen Nachwuchs zu locken.
Das ist gut so, findet Kristian Beara, der auch Polizeigewerkschafter und Leiter des Arbeitskreises Sicherheit der CDU in Köln ist. Zugleich fühlt er sich durch solche Initiativen in seinen Sorgen über die Zukunft seines Berufsstands nur weiter bestätigt.
Sein Eindruck: Die jungen Leute schauen heute sehr genau hin, fragen sich: Was ist mir ein Job wert? Was bin ich bereit, an Opfer zu bringen? Wiegen die spannende Tätigkeit und der solide finanzielle Rahmen wirklich so schwer, dass man bereit ist, eine offensichtlich zunehmende Gefahr für die eigene Gesundheit, vielleicht sogar fürs eigene Leben in Kauf zu nehmen?
2023 erfasste die Polizei deutschlandweit mehr als 5,94 Millionen Straftaten. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl um 5,5 Prozent gestiegen. Auch die Gewaltkriminalität hat zugenommen, ebenso die Zahl nichtdeutscher Tatverdächtiger und jugendlicher Gesetzesbrecher.
Warnung vor gefährlicher Entwicklung: Mehr Kriminalität, weniger Polizei-Bewerber
In vielen Bereichen gibt es alarmierende Entwicklungen. Auf der anderen Seite melden sich immer weniger Bewerber bei der Polizei. Das sei eine gefährliche Mischung, bei der die Sicherheit der Deutschen auf der Strecke bleibe, sagt Kristian Beara.
„Wir müssen wieder stark und wehrhaft werden“, hat er mal in einem Interview gefordert – wohl wissend, dass seine Klartext-Aussage auf gemischte Reaktionen stoßen würde.
Wie wichtig eine klare Haltung in dieser Frage ist, schildert der Beamte an einem praktischen Beispiel.
Als der Einsatz von Distanz-Elektroimpulsgeräten, so genannter Taser, in Nordrhein-Westfalen diskutiert wurde, haben die Grünen sich klar dagegen positioniert. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) verteidigte den Einsatz mehrfach.
Zwischenzeitlich seien die Kollegen von der Streife im Stock tiefer mit den Geräten ausgestattet worden, so Beara. Ein Aufatmen, bei vielen im Haus – auch beim Hauptkommissar selbst, der selbst zwar nicht für die Taser-Nutzung aus- und fortgebildet ist, „aber natürlich fühlt man sich für die Kollegen mit verantwortlich“.
Polizist wünscht sich mehr Wertschätzung
„Straftäter schockieren, in Gewahrsam nehmen, dingfest machen“, darum gehe es, sagt der Polizist. Dank der hohen Abschreckungswirkung ist das Elektroimpulsgerät für den Hauptkommissar eine echte Alternative zum Schusswaffengebrauch. Und auch: Ein echtes Entgegenkommen, wenn es um das Grundbedürfnis von Polizisten nach Sicherheit und bestmöglicher Ausrüstung geht.
Fakt ist: Polizei ist „Ländersache“, die Ausstattung je nach Bundesland höchst unterschiedlich. Wo der Griff zum Taser für die Kölner Kollegen beim Verlassen des Dienstgebäudes inzwischen Routine ist, wird das Thema anderswo weiter hitzig diskutiert.
„Wenn ich weiß, dass das Land sich um mich kümmert, dann fühle ich mich wohler in diesem Beruf, dann ziehe ich ihn vielleicht überhaupt erst in Betracht“, konstatiert Kristian Beara später, während der Fahrt zu den Tierschützern.
Er hat Glück: Heute wird er pünktlich sein und damit später ganz normal um 15 Uhr Feierabend machen können. „Frühschicht ist ein Privileg“, findet er.
Und da ist noch etwas, was er sich für seinen Berufsstand wünschen würde: Die Zuschläge sind auf einem Niveau wie vor etwa 30 Jahren. 1992 gab es für Nachtarbeit 2,50 D-Mark. Heute sind es 1,28 Euro. Auch die geringen Zuschläge für Sonntagsarbeit gehen für den Polizisten an der Realität insbesondere von Kollegen und Kolleginnen mit Kindern vorbei.
Ein Nachjustieren an dieser Stelle wäre für den Kommissar auch ein Zeichen der Wertschätzung: Ja, wir sehen euch, wir unterstützen euch. Hier in diesem Lebensraum, den wir gemeinsam schützen wollen.