Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: Ab wann man von Belästigung spricht und was Betroffene dagegen tun können

Bei sexueller Belästigung spielen Hierarchie-Gefälle häufig eine Rolle. - Copyright: Malte Mueller, getty images
Bei sexueller Belästigung spielen Hierarchie-Gefälle häufig eine Rolle. - Copyright: Malte Mueller, getty images

Juristisches Halbwissen kann viel Ärger, Zeit und Geld kosten. Ihr wollt eure Nerven und euer Portemonnaie lieber schonen? Dann ist unsere Kolumne „Kenne deine Rechte“ genau das Richtige für euch. Hier beantworten die beiden Anwälte Pascal Croset und Inno Merkel von der Berliner Kanzlei Croset alle zwei Wochen eine Frage rund ums Arbeitsrecht. In diesem Text geht es um die sogenannte doppelte Haushaltsführung.

Spätestens seit „MeToo“ hat das Thema sexuelle Belästigung auch in der breiten Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit bekommen. Die Sensibilität für Belästigung ist geschärft – auch am Arbeitsplatz. Arbeitgeber könne es sich kaum noch leisten, das Thema nicht auf ihrer Agenda zu haben. Und auch die Gerichte produzieren von einem gewachsenen Problembewusstsein geprägte Entscheidungen. Treffen kann es grundsätzlich zwar jeden: Mann, Frau, Führungsposition, „normale“ Mitarbeiter, alte Hasen oder frisch Eingestellte.

Die allermeisten Fälle gehen aber zulasten von Frauen. Oft wird dafür Macht missbraucht, Hierarchien ausgenutzt. Erstmal ist es vielleicht nur ein aufgedrängtes Kompliment hier, ein aufdringlicher Blick oder eine zweideutige Geste dort – doch vor allem Betroffene in schwächeren Positionen fühlen sich rasch nachhaltig unwohl.

Und was kann man dann tun? Besser nichts? An wen kann man sich überhaupt wenden? Und zuallererst mal: Was ist eigentlich rechtlich noch „okay“, was schon eine ein rechtlich missbilligte sexuelle Belästigung? Hier findet ihr die wichtigsten Antworten auf diese Fragen.

Wann fängt sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz an?

Hier eine eindeutige Definition zu finden, kann schwierig sein. Die Rechtsordnung definiert den Begriff jedenfalls an zwei verschiedenen Stellen. Enger ist er im Strafrecht, wo es um das Berühren einer anderen Person in sexuell bestimmter Weise und eine dadurch bewirkte Belästigung geht.

Wesentlich weiter ist der Begriff nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), der jegliches erkennbar unerwünschte, sexuell bestimmte Verhalten umfasst, sofern es die Verletzung der Würde der betroffenen Person bezweckt oder bewirkt. Darunter können also beispielsweise auch Bemerkungen fallen. Diese Definition ist für den Bereich „Beschäftigung und Beruf“ gedacht, sie ist daher maßgeblich, wenn es um sexuelle Belästigungen mit einem Bezug zum Arbeitsverhältnis geht. Und: Wer hier jemand anderen sexuell belästigt, der verletzt seine vertraglichen Verpflichtungen, das sagt das AGG gleich mit – und eröffnet so arbeitsrechtliche Reaktionsmöglichkeiten, wie gegebenenfalls etwa die Kündigung des Belästigers.

Worin das Verhalten liegt, ob zum Beispiel in einer Berührung, Geste, einem Zeigen, ist egal, es muss nur – objektiv geurteilt – als sexuell bestimmt zu bewerten sein. Dazu muss das Verhalten entweder unmittelbar das Geschlechtliche im Menschen zum Gegenstand habe. Das sind die klaren Fälle, zum Beispiel ein zielgerichteter Griff in die Genitalien, denn hier wird die Würde der betroffenen Person – die das AGG schützen will – verletzt.

Oder, wenn das Verhalten an sich keine Sexualbezogenheit aufweist, wie beispielsweise eine an sich „unverdächtige“ Umarmung, dann muss die ambivalente Handlung mit einer zutage tretenden sexuellen Absicht vorgenommen werden. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Umarmung zusammen mit einer anzüglichen Bemerkung erfolgt. Für eine sexuelle Belästigung genügt es, wenn die nötige Würdeverletzung nur bezweckt wird, also das Verhalten auf einen entsprechenden Willen schließen lässt. Und: Anders als beim Mobbing genügen für eine sexuelle Belästigung schon einmalige Verhaltensweisen.

Welche Arten sexueller Belästigung gibt es?

Die als sexuelle Belästigung infrage kommenden Verhaltensweisen lassen sich in die drei Kategorien einordnen. Dabei gibt es aber keine Gewichtung der Schwere:

Nonverbale Belästigungen, wie

  • Anstarren

  • Versenden pornografischer Inhalte

  • Entblößen

  • Anzügliche Mimik und Gestik.

Verbale Belästigungen, wie

  • Anzügliche Witze

  • Zweideutige Kommentare

  • Aufforderungen zu sexuellen Handlungen.

Und schließlich körperliche Belästigungen, wie

  • Annäherungsversuche

  • Streicheln, Umarmungen, Anfassen jeglicher Körperstellen und Küssen.

Wer sind die Betroffenen?

Ein Blick in die Statistik zeigt, dass Frauen etwa doppelt so oft Opfer sexueller Belästigung sind wie Männer. Aber: Jedes Geschlecht kann betroffen sein. Wie gesagt, oft nutzt der Belästigende seine Macht gegenüber nachgeordneten Mitarbeitern aus. Das ist für die belästigte Person meist besonders hart, gerade, wenn sie auf die Stelle angewiesen ist.

Da kann man sich regelrecht ohnmächtig fühlen, und die Folgen sind nicht selten schwerwiegend und treten oft auch erst mit der Zeit ein. Sie reichen von Scham und Angst über Schlafstörungen bis hin zu Panikattacken. Solche gesundheitlichen Folgen wirken sich dann nicht unbedingt nur auf das Verhältnis zum Belästiger aus, sondern häufig auch auf das gesamte Sozialverhalten am Arbeitsplatz und auf die Arbeitsleistung. So können insbesondere fortgesetzte Belästigungen schnell zu einem massiven Problem im Arbeitsverhältnis werden.

Drei Beispiele aus der Praxis

Hier sind drei Urteile, die zeigen, wie Landesarbeitsgerichte in der Vergangenheit geurteilt haben:

1. Ein Mitarbeiter erlaubte sich folgenden „Spaß unter Kollegen“: Er zog einem Kollegen während einer gemeinsamen Nachtschicht die Hose samt Unterhose runter. Der Kollege fand das erniedrigend und beschwerte sich beim Arbeitgeber, der den Mitarbeiter wegen sexueller Belästigung fristlos kündigte. Die Kündigung hatte vor dem Gericht Bestand.

2. Wirksam war auch die fristlose Kündigung eines Mitarbeiters, der erst sich selbst und dann einer Kollegin in den Schritt fasste, mit den Worten „Da tut sich etwas“.

3. Dagegen wurde die fristlose Kündigung eines Pflegedienstleiters kassiert. Er hatte eine Mitarbeiterin in zwei Fällen verbal sexuell belästigt. Unter anderem, indem er die Mitarbeiterin fragte, warum deren Leistungen in der Schule abfielen – ob sie an Schlafmangel leide, weil sie zu viel Sex gehabt habe. Das Gericht fand, dieser und weitere Vorfälle seien nicht so schwerwiegend, eine Abmahnung des Pflegedienstleiters hätte genügt.

Und was können Betroffene tun?

Je nach Art und Schwere der Belästigung kann man das Gespräch mit dem Belästigenden suchen. Das wird oft aber eher keine gute Idee sein – etwa, wenn man von einer heftigen Reaktion auszugehen hat, zumal wenn es sich um den eigenen Vorgesetzten handelt, sodass auch noch Repressalien durch ihn drohen.

Generell gilt: Euer Arbeitgeber ist dazu verpflichtet, Belästigungen am Arbeitsplatz zu unterbinden. Dafür werden sie, auf eine entsprechende Beschwerde hin, zuerst prüfen, ob eine Belästigung vorliegt. Stellen sie eine fest, müssen sie handeln. Welche Maßnahme ergriffen wird, entscheidet der Arbeitgeber. Aber: Die Maßnahme muss objektiv geeignet sein, weitere Belästigungen zu verhindern.

Laut Paragraf 13 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes müssen Arbeitgeber eine Beschwerdestelle haben. Wenn ihr euch nicht direkt an euren Arbeitgeber wenden wollt, könnt ihr diese auch nur mündlich und anonym wenden. Die Stelle ist dann verpflichtet, den Fall zu prüfen. Gibt es in eurem Unternehmen einen Betriebsrat, könnt ihr euch außerdem an diesen wenden.

Natürlich habt ihr auch die Möglichkeit, euch erst einmal extern beraten zu lassen. Das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben hat eine Hotline, bei der ihr euch rund um die Uhr kostenlos beraten lassen könnt. Die Nummer lautet 08000 116 016. Andere Hilfsorganisationen, wie beispielsweise der Weisse Ring bieten ebenfalls online, telefonische oder persönliche Beratung vor Ort an.

Um einer Beschwerde mehr Gewicht zu verleihen, könnt ihr euch bei Belästigungen auch durch einen Anwalt für Arbeitsrecht vorbereiten lassen, der für euch die Beschwerde auch einreichen kann.