Sexy, erfolgreich, selbstbewusst: So hat sich das Image des deutschen Schlagers geändert

Spätestens seit dem Erfolg von Künstlerinnen wie Vanessa Mai und Helene Fischer ist klar: Der deutsche Schlager ist im Pop-Mainstream angekommen. Vorbei die Tage von angestaubtem Image und Großeltern-Flair – beliebter, moderner und erfolgreicher als heute war der deutsche Schlager noch nie.

Was dagegen?👊🏼 #zeitfürschlager

A post shared by VANESSA MAI (@vanessa.mai) on Jun 21, 2018 at 3:55am PDT

Lasziv sitzt Vanessa Mai auf einem Lederstuhl, sieht mit ihrer Camouflage-Army-Hose und ihrem knappen Top mit der Aufschrift „Schlager“ viel eher nach Tomb-Raider-Heldin Lara Croft als nach anachronistischem und harmlosem Gute-Laune-Schlager aus. „Was dagegen?“, fragt Mai kokett in der Bildunterschrift – und betont per Hashtag: #Zeitfürschlager.

Helene Fischer und Andrea Berg läuteten Trendwende ein

Zeit für Schlager ist es hierzulande bereits länger – spätestens seit Helene Fischers Megaseller „Farbenspiel“ aus dem Jahr 2013. Über ein ganzes Jahr war das Album an der Spitze der deutschen Charts, die Hitsingle „Atemlos“ katapultierte Fischer in die oberste Superstar-Liga. Fischer ist das beste Beispiel für den anhaltenden Erfolg des Schlagers anno 2018: Denn in Zeiten, in denen andere Bands immer weniger Alben verkaufen, setzte Fischer mal eben 2,3 Millionen Exemplare um – und das im Zeitalter von Streaming und illegalen Downloads. Bei ihrem aktuellen Album „Helene Fischer“ ist das nicht anders – auch wenn die ganz große Hitsingle im Vergleich zu „Atemlos“ fehlt.

Helene Fischer ist das unumstrittene Oberhaupt des deutschen Schlagers – und katapultierte diesen in ganz andere Sphären. (Bild: Franziska Krug/Getty Images)
Helene Fischer ist das unumstrittene Oberhaupt des deutschen Schlagers – und katapultierte diesen in ganz andere Sphären. (Bild: Franziska Krug/Getty Images)

Fischers Tourneen finden längst nicht mehr auf Schlagerbühnen, sondern in Stadien statt. Stadien, die die Sängerin scheinbar mit links ausverkauft – und das oft mehrmals pro Stadt. Ihre ausgeklügelten und spektakulären Produktionen und Bühnenshows erinnern eher an internationale Superstars wie Beyoncé als an Gassenhauer von gestern wie „Fiesta Mexicana“ oder „Ein Bett im Kornfeld“. Das hört man auch den Musikproduktionen selbst an: Denn Fischers Songs kommen in State-of-the-Art-Hochglanz-Produktion mit modernen Club-Elementen daher.

Andrea Berg gehört ebenfalls zum Hochadel des deutschen Schlagers. (Bild: Tristar Media/WireImage)
Andrea Berg gehört ebenfalls zum Hochadel des deutschen Schlagers. (Bild: Tristar Media/WireImage)

Eine weitere Erfolgsgarantin des deutschen Schlagers ist Andrea Berg. Sie schaffte es bereits vor Fischer, sich mit hervorragenden Plattenverkäufen und ausverkauften Tourneen an der Spitze der deutschen Musikszene zu etablieren. Als Produzent ist an ihrem Erfolg „der deutsche Pop-Titan“ Dieter Bohlen beteiligt. Der fand im letzten Jahrzehnt am vormals eher belächelten Genre durchaus Gefallen, schließlich war Bohlen jahrelang auch der musikalische Partner von Vanessa Mai und nahm ebenfalls DSDS-Kandidatin Beatrice Egli unter seine Fittiche. Nicht zu vergessen ist auch die Sängerin Michelle („Wer Liebe lebt“), die bereits in den späten 1990er-Jahren in den deutschen Charts vertreten war und quasi der Prototyp des neuen weiblichen deutschen Schlagerstars ist.

Beatrice Egli ist der Schützling von DSDS-Juror Dieter Bohlen. (Bild: Isa Foltin/WireImage)
Beatrice Egli ist der Schützling von DSDS-Juror Dieter Bohlen. (Bild: Isa Foltin/WireImage)

Schlager-Trend: Die neuen Stars sind weiblich

Auffällig ist, dass fast alle Stars der obersten Schlager-Liga weiblich sind. Denn sieht man vom österreichischen Alpen-Volksrocker Andreas Gabalier ab, der mit seinem textlich eher reaktionär-rückwärtsgewandten Heimattümelei-Alpenrock auch in Deutschland Stadien füllt, gibt es nur wenige Sänger der jüngeren Generation, die den Sprung nach ganz oben geschafft haben.

Wirft man einen Blick auf die Schlagernacht in Berlin – ein ausverkauftes Event in der Berliner Waldbühne – wird dies offensichtlich. Von den Männern gab sich hier vor allem die alte Garde die Ehre: Matthias Reim (60, „Verdammt, ich lieb’ Dich“), Jürgen Drews (73, „Ein Bett im Kornfeld“), Bernhard Brink (66, „Liebe auf Zeit“) und Ex-Modern-Talking-Sänger Thomas Anders (55). Nur ein Name zeigt, dass es auch bei den Männern durchaus Potenzial gibt: Ben Zucker (34) gilt als vielversprechendster Newcomer und kam mit seinem Debütalbum bis auf den vierten Platz der deutschen Albumcharts, auch in Österreich und der Schweiz konnte er einen Top-10-Platz verbuchen. Er gilt als der kommende Schlagersänger der jüngeren Generation – auch die Gruppe Feuerherz (ebenfalls Männer) sowie die Gruppe Lichtblick gewinnen mehr und mehr Fans für sich.

Ben Zucker könnte das nächste große Schlager-Ding werden. (Bild: Frank Hoensch/Getty Images)
Ben Zucker könnte das nächste große Schlager-Ding werden. (Bild: Frank Hoensch/Getty Images)

Einer, der sich nach seiner Boygroup-Karriere bei der Band Bro’Sis mittlerweile auch als Schlagersänger versucht, ist Ex-Dschungelcamp-Insasse Ross Antony. Was ihn allerdings von Zucker und den anderen jungen Stars unterscheidet, ist Anthonys Hang zum Trash. Ein gewisser Trashfaktor, ob freiwillig (siehe Guildo Horn) oder unfreiwillig, haftete dem Genre lange an – sei es Jürgen Drews’ Regentschaft als „König von Mallorca“ (der Ballermann ist ohnehin das Epizentrum für deutschen Trash-Schlager) oder die Gehversuche von mehr oder minder prominenten Reality-TV-Kandidaten (bestes Beispiel: Big-Brother-Urgestein Zlatko mit seinen recht kurzlebigen musikalischen Machwerken). Davon hat sich der Schlager mittlerweile freigeschwommen – und kommt nicht mehr als etwas gestriger, billig gemachter Bierzelt-Schunkelsound, sondern im modernen und ansprechenden Popkleid daher.

Sänger wie Jürgen Drews sorgten dafür, dass der Ballermann zur Schlager-Hochburg wurde. (Bild: Tristar Media/Getty Images)
Sänger wie Jürgen Drews sorgten dafür, dass der Ballermann zur Schlager-Hochburg wurde. (Bild: Tristar Media/Getty Images)

Blick zurück: Als Schlager noch auf Chanson traf

Es ist nicht die erste Metamorphose des deutschen Schlagers – denn fernab der Ballermann-Tristesse und der Zlatkoisierung war der deutsche Schlager der früheren Tage alles andere als Trash, sondern viel mehr eng mit dem Chanson verbunden und durchaus anspruchsvoll. Einer, der diese beiden Pole zu verbinden wusste, ist der 2014 verstorbene Kärntner Udo Jürgens, der nicht nur Gute-Laune-Klassiker wie „Aber bitte mit Sahne“ oder „Griechischer Wein“ schuf, sondern mit Stücken wie „Ein ehrenwertes Haus“ auch bemerkenswert Sozialkritisches schrieb – und das mit einer musikalischen Raffinesse, die dem Trash-Schlager der späteren Tage eindeutig fehlte. Natürlich reicht die Geschichte des Schlagers noch viel weiter zurück – bis in die Tage der 1930er-Jahre-Orchester und früher. Mit dem heutigen Schlager hat dies freilich nichts zu tun. Einer, der diese Zeit international höchst erfolgreich zelebriert, ist Max Raabe, der sich mit seinem Palastorchester den Songs dieser Zeit annimmt.

2018 belegt der deutsche Schlager wieder die obersten Chartplätze, füllt große Hallen und Stadien und ist beliebter denn je. Lange belächelt steht nun fest: Während andere Trends kommen und gehen, ist er langlebiger als viele andere Musikgenres. Mögen muss man das freilich nicht – aber eins ist klar: Mit dem Schlager in seiner aktuellen, für viele hochattraktiven Inkarnation, ist mehr denn je zu rechnen.