Der Showdown im Machtkampf um Maaßen steht kurz bevor

Der Streit um den obersten Verfassungsschützer belastet die Regierung. Die SPD geht volles Risiko – und FDP-Vize Kubicki bringt Neuwahlen ins Spiel.

Ein Bundespräsident schaltet sich selten in die Tagespolitik ein. Und eigentlich macht er das schon gar nicht aus dem Ausland. Wenn er es doch tut, dann muss die Lage ernst sein. So wie jetzt, wenn sich Frank-Walter Steinmeier während eines Staatsbesuchs in Finnland zum Koalitionsstreit um Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen äußert. „Ich kann nur meiner Hoffnung Ausdruck geben, dass dort, wo Entscheidungen gefällt werden müssen, sie bald fallen“, sagte Steinmeier.

Zu der innenpolitischen Lage in Deutschland und den Ereignissen in Chemnitz habe es viele beunruhigte Fragen gegeben, berichtete der Bundespräsident. „Natürlich schaut man auch mit Sorge auf den Streit innerhalb der Koalition“, sagte Steinmeier bei einer Pressekonferenz mit dem finnischen Präsidenten Sauli Niinistö. „Gerade in diesen turbulenten Zeiten“ wünschten sich viele „ein stabiles Deutschland und eine stabile Regierung als Partner.“

Doch die Große Koalition wirkt alles andere als stabil. Nachdem das Bündnis aus Union und SPD schon im Juni fast am Streit über Zurückweisungen von Flüchtlingen an der deutsch-österreichischen Grenze zerbrochen wäre, sorgt nun die Causa Maaßen für die nächste Koalitionskrise. So musste Kanzlerin Angela Merkel (CDU) schon betonen, dass die Regierung an der Personalie nicht scheitern werde. Der Fortbestand des Bündnisses gilt in Berlin derzeit nicht als selbstverständlich.

Im Streit um den Verfassungsschutzpräsidenten haben sich alle Beteiligten in eine riskante Situation manövriert. SPD-Chefin Andrea Nahles drängt auf die Entlassung von Maaßen. „Herr Maaßen muss gehen, und ich sage Euch, er wird gehen“, sagte Nahles am Wochenende. CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer hat dem Verfassungsschutzchef hingegen wiederholt das Vertrauen ausgesprochen. Und Kanzlerin Merkel hielt sich bisher bedeckt.

Die Lösung soll nun ein Gespräch der drei Parteichefs am Dienstag bringen. Schon vorher berichtete die „Welt“, Merkel habe entschieden, dass der Geheimdienstchef gehen muss. Eine offizielle Bestätigung gab es dafür allerdings nicht.

Vize-Regierungssprecherin Martina Fietz wollte den Bericht nicht kommentieren und verwies darauf, dass Merkel, Seehofer und Nahles bis zum Treffen am Dienstag Stillschweigen vereinbart hätten. Merkel sagte am Montag, sie könne dem, was sie bereits am vergangenen Freitag zu dem Thema gesagt habe, nichts hinzufügen.

Maaßen, der seit 2012 an der Spitze der Behörde steht, hatte vor allem mit seinen Zweifeln an ausländerfeindlichen „Hetzjagden“ in Chemnitz sowie wegen Treffen mit AfD-Politikern Kritik auf sich gezogen. Auch die Opposition fordert seine Ablösung.

„Herr Maaßen hat ein Selbstdarstellungsbedürfnis, und das ist nicht kompatibel mit seinem Amt als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz“, sagte FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki dem Handelsblatt. Hinzu komme sein Aussageverhalten im NSU- und im Amri-Untersuchungsausschuss. Deswegen führe kein Weg daran vorbei: „Herr Maaßen muss entlassen werden.“ Kubicki kritisierte das Krisenmanagement der Koalition. Diese Kontroverse habe sich zu einer „Frage der Gesichtswahrung“ entwickelt.

Seehofer droht der Gesichtsverlust

Seehofer ist als Innenminister der oberste Dienstherr des Verfassungsschutz-chefs und müsste Maaßen entlassen, dem er bisher öffentlich sein Vertrauen ausgesprochen hat. Andererseits ist es kaum denkbar, dass der Innenminister an dem Verfassungsschutzpräsidenten festhält, wenn die Kanzlerin tatsächlich seine Ablösung fordern sollte.

Nach Einschätzung des Staatsrechtlers Joachim Wieland könnte Merkel die Ablösung von Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen auch ohne Seehofer erwirken. „Ich hielte es auch für zulässig, dass die Kanzlerin die Ablösung von Präsident Maaßen selbst verfügt“, sagte der Professor an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer dem Handelsblatt.

Wieland sagte jedoch auch, dass es bislang gerichtlich noch nicht entschieden und in der einschlägigen Literatur nicht geklärt sei, ob die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin diese Möglichkeit eröffne.

Gleichwohl sei die Personalie Maaßen „politisch so grundsätzlich umstritten“, dass Merkel von ihrer Befugnis Gebrauch machen könne, die Richtlinien der Politik zu bestimmen. Der Bundesinnenminister leite sein Ressort gemäß Grundgesetz nur innerhalb dieser Richtlinien selbständig und unter eigener Verantwortung, erläuterte der Jurist.

„Wenn die Kanzlerin entscheidet, dass Herr Maaßen sein Amt als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz nicht länger ausüben kann, muss der Bundesinnenminister diese Entscheidung umsetzen oder zurücktreten“, betonte Wieland. „Wenn er beides nicht tut, bleibt der Kanzlerin die Möglichkeit, ihn zu entlassen.“

Und so ist die Personalie auch ein erneuter Machtkampf der CDU-Chefin mit dem CSU-Chef, den die SPD noch zusätzlich befeuert.

Entsprechend freudig kommentierten Sozialdemokraten die Meldungen über Merkels angebliche Festlegung. „Es ist ein gutes Signal, wenn die Bundeskanzlerin die Haltung der SPD teilt“, sagte der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner. Manch ein Spitzengenosse hegt durchaus die Hoffnung, dass bei einer Entlassung von Maaßen auch gleich Innenminister Seehofer noch mit abtreten könnte.

Wahrscheinlich ist das kurz vor der Bayern-Wahl nicht. Beschädigt würde er aber auf jeden Fall, wenn er entgegen seiner öffentlichen Bekundungen Maaßen fallen lassen müsste.

Entsprechend gereizt reagiert man in der Union. „Die SPD versucht, mit Pressestatements endlich einen Erfolg herbeireden zu wollen“, sagte der Geheimdienstexperte der Unions-Bundestagsfraktion, Patrick Sensburg (CDU). Sie übersehe dabei allerdings, dass nicht das Kanzleramt den Verfassungsschutzpräsidenten entlasse, sondern das Innenministerium. „Der Innenminister hat Hans-Georg Maaßen aber bereits das Vertrauen ausgesprochen.“

Endet die Regierung, wenn Maßen bleibt?

Der Frage, was passiert, wenn Maaßen im Amt bleiben würde, weicht die SPD-Spitze bisher aus. Angesichts der katastrophalen Umfragewerte kann sie an Neuwahlen kein Interesse haben. FDP-Politiker Kubicki stichelt bereits. „Wenn die Koalitionsspitzen am Abend aus dem Kanzleramt kommen, dann steht entweder fest, dass Herr Maaßen sein Amt verlieren wird oder die Koalition zu Ende ist“, sagte er dem Handelsblatt. „Alles andere würde die SPD komplett zur Lachnummer machen.“

Die FDP habe jedenfalls keine Angst vor Neuwahlen, sagte Kubicki, das Gegenteil sei der Fall. Er zeigte sich optimistisch, dass dabei auch eine Koalition aus CDU, CSU, Grünen und FDP herauskommen könnte. Kubicki: „Ein neuer Anlauf für Jamaika ist möglich.“