Showdown um Maaßen – die wichtigsten Fragen und Antworten

Wagt Merkel einen radikalen Schnitt? Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten zum Koalitionsstreit um Verfassungsschutz-Chef Maaßen.

Das Koalitionsdrama um Verfassungsschutz-Chef Hans-Georg Maaßen erreicht seinen vorläufigen Höhepunkt. Bei einem Treffen zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU), SPD-Chefin Andrea Nahles und CSU-Chef Horst Seehofer an diesem Dienstag in Berlin soll über die Personalie abschließend entschieden werden. Hier sind die wichtigsten Fragen und Antworten.

Ist Maaßen noch zu halten?

Ein Verbleib von Hans-Georg Maaßen im Amt des Verfassungsschutz-Präsidenten ist unwahrscheinlich. Der Grund: Deutschlands oberster Inlandsgeheimdienstler genießt nicht mehr das uneingeschränkte Vertrauen der Regierungskoalition. Die SPD will seine Entlassung und machte unmissverständlich deutlich, dass sie von ihrer Forderung nicht mehr abrücken werde. Und auch in der Union gibt es vereinzelt Stimmen, die für Maaßen keine Zukunft mehr sehen.

„Herr Maaßen macht Politik, was aber nicht seine Aufgabe als Behördenchef ist“, brachte der Vize-Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses, Heribert Hirte (CDU), den Unmut über Maaßen nach dessen öffentlichen Äußerungen zu den Chemnitzer Übergriffen aus Ausländer auf den Punkt. Andererseits haben sich Innenpolitiker der CDU im Bundestag und vor den Kameras auch mehrfach gegen die Abberufung des obersten Verfassungsschützers ausgesprochen.

Warum hat sich die Lage so zugespitzt?

Ausgangspunkt war eine Äußerung des Verfassungsschutz-Präsidenten, ihm lägen „keine belastbaren Informationen“ vor, dass es in Chemnitz Hetzjagden auf Ausländer gegeben habe - vielmehr sprächen „gute Gründe“ dafür, dass es sich bei einem entsprechenden Video „um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken“.

In Chemnitz war am 26. August ein 35 Jahre alter Deutscher erstochen worden. Des Totschlags tatverdächtig sind drei Asylbewerber, die nach eigenen Angaben aus Syrien und dem Irak stammen. Nach der Tat hatte es Demonstrationen von Rechtsgerichteten, Neonazis, Gegnern der Flüchtlingspolitik sowie Gegenproteste gegeben. Dabei kam es auch zu fremdenfeindlichen Übergriffen. Diese wurden unter anderem von Bundeskanzlerin Merkel und Regierungssprecher Steffen Seibert als „Hetzjagden“ bezeichnet.

Warum ist Maaßen so umstritten?

Maaßen hat in der Vergangenheit öfter den Unmut der Politik auf sich gezogen. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise gehörte er zu denen, die mehr oder weniger öffentlich Kritik an Merkels Migrationspolitik übten. Das kam im Kanzleramt gar nicht gut an - der Rheinländer soll damals gemahnt worden sei, sich zurückzuhalten.

Zuletzt hatten Kritiker dem Verfassungsschutzpräsidenten Gespräche mit AfD-Bundestagsabgeordneten vorgeworfen. Maaßen und sein Amt versuchten, die Vorwürfe mit dem Argument zu kontern, er führe Gespräche mit Abgeordneten aller im Bundestag vertretenen Parteien - auch mit solchen von der Linkspartei. Um die Vorwürfe auszuräumen, ließ er einen Sprecher den Satz verbreiten: „Selbstverständlich hegt Herr Dr. Maaßen keinerlei politische Sympathie für die AfD.“ Dennoch sind die Vorhaltungen nicht verstummt.

Weitere Vorwürfe richten sich auf Maaßens Rolle bei der Aufklärung der Morde des rechtsextremen NSU sowie sein Auftreten im Fall des Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri. Maaßen habe „in der Vergangenheit als oberster Verfassungsschützer zu viele Scherben hinterlassen, als dass er noch im Amt bleiben könnte“, sagt FDP-Vize Wolfgang Kubicki.

Welche Rolle spielt die Kanzlerin, welche ihr Innenminister?

Entscheidet Merkel gegen Maaßen, entscheidet sie auch gegen Seehofer. Eine ultimative Eskalation einen Monat vor der für die CSU so wichtigen Landtagswahl in Bayern? Da werden Erinnerungen wach an die schwere Regierungskrise vor der Sommerpause. Da schon hatte Merkel mit ihrer Richtlinienkompetenz gedroht - was Seehofer kalt ließ: „Mir gegenüber hat sie mit der Richtlinienkompetenz nicht gewedelt - das wäre auch unüblich zwischen zwei Parteivorsitzenden“, gab er zurück.

Tatsächlich dürfte sich Seehofer eine solche Anweisung Merkels nicht gefallen lassen. Ohne einen mit ihm abgestimmten Kompromiss käme der Minister dann wohl nicht um einen Rücktritt herum, wird in der CSU gemurmelt. Dort hofft man schlicht und einfach, dass sich die neue Krise am Ende irgendwie löst.

Was steht für die SPD auf dem Spiel?

Die SPD verkauft ihr Agieren in der Maaßen-Debatte als Grundsatzfrage im Kampf gegen einen Rechtsruck. „In einer Zeit, wo die demokratische Grundordnung von rechts attackiert wird, darf das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden nicht untergraben werden“, sagt SPD-Vize Ralf Stegner.

Aber natürlich ist das Vorgehen der Sozialdemokraten auch getrieben von innerparteilichem Frust über schlechte Umfragewerte und die Politik der Koalition.

Verschiedene Politikwissenschaftler sind überzeugt, dass die SPD mit ihrer ultimativen Forderung nach einer Entlassung Maaßens ein unkalkulierbares Risiko eingeht. Er glaube nicht, dass Merkel gegen den Willen Seehofers handeln werden und „einen erneuten dramatischen Konflikt mit der CSU riskieren wird“, sagte der Berliner Politik-Professor Oskar Niedermayer dem Handelsblatt. „Also müsste die SPD die Koalition aufkündigen.“

Für diesen Fall zeigte sich Niedermayer überzeugt, „dass die Wähler die SPD dafür sowohl bei den Landtagswahlen als auch auf der Bundesebene bei einer eventuellen vorgezogenen Neuwahl abstrafen werden“. Auch der Bremer Politikwissenschaftlers Lothar Probst glaubt: „Die SPD läuft bei Neuwahlen Gefahr, noch hinter ihr historisch schlechtestes Ergebnis bei der letzten Bundestagswahl zurückzufallen.“

Was steht für die CSU auf dem Spiel?

Für die CSU kommt die Maaßen-Debatte zur Unzeit. Denn Seehofer ist nicht nur Innenminister und damit formal zuständig für den Verfassungsschutz-Chef, er ist auch Vorsitzender der CSU. Bleiben Seehofer und Maaßen stur, kann die Bundeskanzlerin Maaßens Rücktritt nur fordern und durchsetzen, wenn sie die erneute Gefahr einer Spaltung der Unionsparteien eingeht. Das scheint wenige Wochen vor der bayerischen Landtagswahl wenig ratsam, zumal die CSU wegen miserabler Umfragewerte ohnehin bereits Schuldige für das erwartete Wahldebakel sucht.

Verliert die CSU ihre absolute Mehrheit in Bayern, was wahrscheinlich ist, dann könnte dies auch das Ende Seehofers als Innenminister bedeuten. Damit rechnet jedenfalls der Vize-Vorsitzende der FDP, Wolfgang Kubicki. „Ich bin mir sicher: Nach der Bayern-Wahl, die für die CSU desaströs ausgehen wird, wird Seehofer nicht mehr lange CSU-Chef und Innenminister sein“, sagte er dem Handelsblatt.

„Was hat er dann noch an positiven Dingen zu erwarten in der Koalition?“, fragte der FDP-Vize mit Blick auf Seehofer. „Auch unter menschlichen Gesichtspunkten wäre es für ihn der richtige Schritt zu sagen: ich mache jetzt ganz reinen Tisch, lege meinen Parteivorsitz nieder und scheide auch aus der Bundesregierung aus.“

Kann die Koalition überhaupt an der Maaßen-Frage zerbrechen?

Die SPD nimmt einen solchen Koalitionsbruch in Kauf, um den Druck auf Merkel und Seehofer zu erhöhen. Die Kanzlerin hält sich bisher bedeckt. Einem „Welt“-Bericht zufolge soll sie bereits entschieden haben, dass der Geheimdienstchef gehen müsse. Merkel äußerte sich dazu bei einem Besuch in Algier auf Nachfrage aber nicht und sagte lediglich, ihre Aussagen von Freitag hätten weiter Gültigkeit.

Die Kanzlerin hatte dabei auf das für Dienstagnachmittag geplante neue Spitzengespräch der Parteivorsitzenden von CDU, CSU und SPD verwiesen. Zugleich hatte sie betont, die Große Koalition werde nicht an der Personalie eines Präsidenten einer nachgeordneten Behörde zerbrechen.

Auch Seehofer zeigte sich zuletzt überzeugt, dass die Koalition nicht am Konflikt um Maaßen zerbrechen werde. Das, was die Kanzlerin zur Arbeit der Koalition gesagt habe, sei „exakt meine Meinung“, sagte Seehofer am Wochenende. „Die Koalition wird weiterarbeiten.“ Die Koalition habe in den vergangenen Wochen „sehr viel Positives entschieden“. Wie der Streit gelöst werden könnte, dazu sagte Seehofer auf Nachfrage aber nichts.

Was geschieht nach einem Koalitionsbruch?

Kanzlerin Merkel könnte eine Minderheitsregierung anführen, etwa mit der FDP oder den Grünen. Die Regierung braucht dann aber bei Abstimmungen einige Dutzend Stimmen aus anderen Fraktionen.

Neuwahlen sind erst nach einer Kanzlerwahl möglich. Wird ein neuer Regierungschef nur mit relativer Mehrheit gewählt, kann der Bundespräsident den Bundestag auflösen. Innerhalb von 60 Tagen muss es dann Neuwahlen geben.

Wie wird die Maaßen-Debatte im Ausland gesehen?

Der politische Streit in Berlin wird in Europa offenbar mit Sorge beobachtet. Das berichtete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Rand einer Auslandsreise. „Natürlich schaut man auch mit Sorge auf den Streit innerhalb der Koalition“, sagt er in Helsinki bei einer Pressekonferenz mit dem finnischen Präsidenten Sauli Niinistö.

Man dürfe von der deutschen Seite nicht unterschätzen, „dass man sich gerade in diesen turbulenten Zeiten ein stabiles Deutschland und eine stabile Regierung als Partner wünscht“. Er hoffe daher, „dass dort, wo Entscheidungen gefällt werden müssen, sie bald fallen“.

Führende Ökonomen halten indes die Sorge in Europa vor politischer Instabilität in Deutschland für unbegründet. „Von europaweiten Sorgen über die politische Stabilität Deutschlands zu sprechen, halte ich für stark überzogen“, sagte der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, dem Handelsblatt: Dass man sich in ganz Europa für die politische Entwicklung Deutschlands interessiere, sei angesichts des Gewichts Deutschlands verständlich.

Dass man angesichts der Vorkommnisse in Chemnitz nachfrage, ebenfalls. „Aber: Die politische Stabilität Deutschlands sollte man nicht verwechseln mit der Stabilität der Großen Koalition“, betonte der Ifo-Chef. „Es gehört zur Demokratie, dass Koalitionen nicht ewig halten.“

Ähnlich äußerte sich der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. „Wir Deutschen haben eine verzerrte Selbstwahrnehmung und realisieren häufig nicht, dass uns durch die Größe und Stabilität unseres Landes auch eine besondere Verantwortung in und für Europa zukommt“, sagte Fratzscher dem Handelsblatt. Gleichzeitig profitiere Deutschland wirtschaftlich massiv von einem offenen und starken Europa, so wie kaum ein zweites Land.

„Aus all diesen Gründen sollte es uns nicht überraschen, dass unsere europäischen Nachbarn hohe Erwartungen an uns haben und mit Sorge auf den zunehmenden Populismus und Nationalismus in Deutschland schauen.“ Aus Sicht von Fratzscher ist es daher „dringend an der Zeit, dass die deutsche Politik ein Bekenntnis für ein geeintes, offenes Europa abgibt und sich viel stärker als bisher zu Reformen Europas verpflichtet“.

Fratzscher betonte die wichtige Rolle Deutschlands. In den vergangenen zehn Jahren sei die Bundesrepublik ein „Anker der Stabilität in Europa“ gewesen. Die Stärke der Wirtschaft und die politische Stabilität Deutschlands hätten zudem eine tiefere Finanzkrise in Europa verhindert. „In diesen Zeiten des Populismus und Protektionismus sind Deutschland und die Bundesregierung zu einem der wichtigsten Gegenpole zu Donald Trump und Ansprechpartner weltweit geworden“, so der DIW-Chef.