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Wie sicher ist Deutschland vor Naturkatastrophen? "Bei nationalen Krisen müssen wir noch arbeiten", sagt Katastrophenschutz-Chef Schuster

Armin Schuster, der Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), beim Besuch der Trinkwasseraufbereitung des Technischen Hilfswerks (THW) im Flutgebiet Bad Neuenahr-Ahrweiler im Juli.
Armin Schuster, der Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), beim Besuch der Trinkwasseraufbereitung des Technischen Hilfswerks (THW) im Flutgebiet Bad Neuenahr-Ahrweiler im Juli.

Über 180 Tote, Tausende zerstörte Häuser und Schäden in Höhe mehrerer Milliarden Euro: Die Jahrhundertflut im Juli hat ganze Landstriche in Deutschland verwüstet. Nun, ein Vierteljahr nach der Katastrophe, sind noch immer viele Häuser zerstört, die Aufbauarbeiten laufen schleppend — und die Sorge vor der Kälte im Winter ist groß.

Business Insider hat mit Armin Schuster, dem Präsidenten des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), über die Folgen und Lehren der Überschwemmungen sowie den Wiederaufbau in den Katastrophengebieten gesprochen — und gefragt, wie sicher Deutschland in Zukunft vor solchen Naturgewalten ist.

Business Insider: Wie blicken Sie auf die Aufräumarbeiten in den Flutgebieten?

Armin Schuster: "Die Corona-Pandemie und das Hochwasser haben gezeigt, dass die neuen Krisen zunehmend eine nationale Tragweite haben und deutlich stärkere Betroffenheiten in den Ländern verursachen als wir es bisher gewohnt waren. Sie werden zusehends eine nationale Gemeinschaftsaufgabe von allen Akteuren, sodass wir ein neues Verständnis von Risiko- und Krisenmanagement brauchen. Daher sollten wir uns — der Bund, die Länder, die Kommunen, die Feuerwehren und die Hilfsorganisationen gemeinsam — stärker mit allen denkbaren zukünftigen Risiken, Szenarien und der richtigen Krisenvorsorge beschäftigen.

Dieses neue Teamwork wurde auf eindrückliche Weise von den Einsatzkräften in den betroffenen Gebieten bewiesen, über viele Organisationen des Bundes und aus allen Bundesländern hinweg. Jetzt geht es beim Wiederaufbau darum, besser vorzusorgen, da sehen wir ein großes Interesse, wir erhalten beispielsweise täglich neue Anfragen für unser 400-seitiges Handbuch zu 'Starkregen und Sturzflut'."

Business Insider: Was wurde aus den Ereignissen gelernt?

Armin Schuster: "Bevölkerungsschutz muss eine Gemeinschaftsaufgabe werden. Für die Bewältigung künftiger Krisen dieser Dimension werbe ich dafür, dass wir mit unserem im Aufbau befindlichen Gemeinsamen Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz künftig ein Expertengremium stellen, das den Krisenmanagerinnen und Krisenmanagern in den Kommunen für und in Krisen wertvolle Unterstützung bieten kann.

Wir bauen unseren Warnmittelmix aus digitalen und analogen Warnmitteln fortlaufend aus. Im September wurde die Einführung von Cell Broadcast beschlossen, an dessen Umsetzung wir intensiv arbeiten. Außerdem brauchen wir eine noch bessere Qualifizierung im Krisenmanagement und werden hier mit unserer Bundesakademie und dem zweiten Standort in Stralsund unseren Beitrag leisten."

Business Insider: Sind wir heute schon besser für zukünftige Naturkatastrophen gewappnet?

Armin Schuster: "Lokal und regional ja, bei den Krisen von nationaler Tragweite müssen wir noch arbeiten. Wir stellen aber fest, dass das Interesse an Themen der Risikoanalyse, Warnung und Krisen- wie Selbstvorsorge immens gestiegen ist, sowohl auf politischer Ebene als auch in den Medien und der Öffentlichkeit.

Durch unsere neue Kampagne 'Für alle Fälle vorbereitet' tragen wir bei, dass Vorsorgethemen im Fokus der Menschen bleiben. Gleichzeitig gibt es sehr gute Entwicklungen im Bereich der Warnung. Wir sind dabei, unsere NINA-Warnapp zur Bundes-Warnapp auszubauen und gemeinsam mit Ländern und Kommunen ein Warnmittelkataster für Deutschland zu erstellen. Das sind alles wichtige Schritte, um künftig noch besser mit Krisen umgehen zu können."

Business Insider: Planen Sie die Wiederinbetriebnahme von Warnanlagen wie Sirenen als Reaktion auf die Flut?

Armin Schuster: "Wir im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) haben keine eigenen Sirenen, denn Katastrophenschutz ist Aufgabe der Länder, das ist in den Landesgesetzen so festgeschrieben. Wir haben allerdings schon zu Jahresanfang entschieden, den Ausbau von Sirenen in den Kommunen mit rund 90 Millionen Euro zu fördern. Die Länder machen davon bereits rege Gebrauch und investieren auch selbst wieder in dieses aus unserer Sicht wichtige analoge Warnmittel."

Business Insider: Wie unterstützen Sie die Bevölkerung und Behörden bei der Aufarbeitung der Ereignisse?

Armin Schuster: "Das BBK steht weiterhin im engen Austausch mit verschiedenen Partnern, um beispielsweise die Wasserversorgung in den betroffenen Gebieten sicherzustellen. Im Zuge des Hochwassers wurde der Copernicusdienst über das BBK aktiviert und Satelliten- und Luftaufnahmen der Schadensgebiete generiert. Mit diesen wertvollen Daten können wir jetzt Ingenieurbüros und Verwaltungen sinnvoll beraten, die im Rahmen des Wiederaufbaus mit komplexen planerischen Aufgaben konfrontiert sind. Zudem steht das BBK unseren Partnern beratend und mit Qualifizierungsangeboten zur Seite und stellt weiterhin entsprechende Empfehlungen und Publikationen bereit."