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Sind alle Spitzenathleten abergläubisch?

Rafael Nadal ist für Rituale wie die Anordnung seiner Flaschen bekannt (Bild: REUTERS/Edgar Su)
Rafael Nadal ist für Rituale wie die Anordnung seiner Flaschen bekannt (Bild: REUTERS/Edgar Su)

Seit die Menschheit sich im Zeitalter des Wettstreits befindet, gehen Sport und Aberglauben Hand in Hand. Aber warum und in welchem Ausmaß sind Sportler süchtig nach Glücksritualen? Ein kurzer Ausflug in die Welt von Glücksbringern und Glücks-Unterwäsche.

Einige Athleten tragen bis zu ihrem Tod dieselbe Unterwäsche. Andere würden sich eher die Hand abhacken, als ihre Schuhe in der falschen Reihenfolge anzuziehen. Es gibt solche, die Glücksbringer tragen, umgedrehte Sockenträger, Farbfetischisten und Anbeter der Nummer acht. Jeder, der sich sehr oder auch nur ein bisschen für Profisport interessiert, hat diese Rituale schon beobachten können, die in den oberen Rängen des Sports durchgeführt werden, um Glück zu bringen. Und es fällt einem auf, das einige von ihnen dieses kleine Spiel auch sehr gut beherrschen. Echte Experten!

Der Eishockey-Spieler Sydney Crosby, Center bei den Pittsburgh Penguins (NHL), ruft nie seine Mutter an einem Spieltag an – einmal hatte er das getan und verlor ihm darauffolgenden Spiel zwei Zähne. Wenn sie mit dem Bus fahren müssen, hebt er seine Füße an, wenn sie über Schienen fahren. Der legendäre Fußballtrainer Giovanni Trapattoni begann niemals ein Spiel, bevor er nicht einen kräftigen Schwung Weihwasser auf das Spielfeld gespritzt hatte. Rio Ferdinand, der ehemalige Kapitän von Manchester United, gab auch zu, dass er eine Vielzahl von Ritualen durchführte. Er sprang auch über die Seitenlinie, bevor er einen Fuß auf das Feld setzte und trug an Spieltagen niemals Unterwäsche. Sein Gegenspieler bei Chelsea, John Terry, tauschte 12 Jahre lang seine Schienbeinschoner nicht aus.

Tics und Tocs

Sind dies Einzelfälle? Nicht wirklich, wenn man die Sport-Psychologin Manon Eluère fragt, die an der ENS Rennes forscht und eine faszinierende Studie zu dem Thema verfasst hat. "Spitzensportler sind in der Tat abergläubischer als der Durchschnitt", bestätigte sie. "Studien, die in den 1980ern und 1990ern durchgeführt wurden, zeigen, dass die Anzahl der Aberglaubensrituale mit dem Niveau des Wettbewerbs ansteigt." Ein Rückgriff, der aus der dem Sport innewohnenden Unvorhersehbarkeit entspringt. "Die Neigung von Sportlern, auf Rituale zurückzugreifen, lässt sich mit ihrem Bedürfnis erklären, Unsicherheit und angstbesetzte oder sogar riskante Situationen zu entspannen. Der Leistungssport ist davon sogar noch stärker betroffen, denn mit steigendem Niveau steigen auch die Einsätze. Und obwohl der Sieg größtenteils von spezifischen Qualitäten und technischem Können abhängt, gibt es immer ein Element des Zufalls, das man nicht kontrollieren kann und das man eindämmen möchte."

Und wenn es um das Streben nach Perfektion geht, gibt es einen Athleten, der ein Lehrbuchfall für sich ist: Rafael Nadal. Der unumstrittene König der Sandplätze ist sehr bekannt für die immer gleichen Rituale, denen er sich während jedes Spiels unterzieht, genau wie er auch für seine Vorderhand bekannt ist. Er ordnet seine Haare systematisch vor jedem Aufschlag, prüft die Höhe seiner Socken, reiht seine Wasserflaschen auf "an [seinen] Füßen, vor [seinem] Stuhl zu [seiner] Linken, eine hinter der anderen, diagonal auf den Platz ausgerichtet", wie er es selber beschreibt. Nichts wird dem Zufall überlassen. Sogar die Anzahl, wie oft er den Ball vor dem Aufschlag auf dem Boden aufprallt. Hier meldet sich unsere Psychologin zu Wort: "Wenn Nadal den Ball sechzehnmal und nicht fünfzehnmal aufschlägt, basiert dies nicht auf Aberglauben. Es ist eher eine Routine vor dem Spiel. Der Hauptzweck all dessen besteht darin, die Konzentration zu erhöhen, obwohl es natürlich skurril wirkt."

Modus Vivendi

Der Mallorquiner stimmt dieser Interpretation zu 100 % zu. In einem Video, das letztes Jahr von seinem Sponsor, der Versicherungsfirma MAPFRE, veröffentlicht wurde, erklärte der Sandkönig: "Menschliche Lebewesen brauchen Routine und die Sicherheit, Dinge zu wiederholen. Wenn es um Dinge geht, von denen ich denke, dass sie wichtig sind, bin ich sehr organisiert. Meine Routine vor jedem Tennis-Match ist immer die gleiche. Ich versuche, sie jeden Tag zu wiederholen. Es gibt mir sehr viel Selbstbewusstsein und inneren Frieden zu wissen, dass die Dinge gut für mich laufen oder zumindest, dass ich alles erdenkliche tue, damit die Dinge gut ausgehen." Nach zwanzig Grand-Slam-Siegen, inklusive dreizehn bei Roland Garros, scheint seine Methode einwandfrei zu funktionieren (auch wenn der Zusammenhang zwischen dem Aufreihen von Wasserflaschen in einer Linie zum Stuhl und der Bewahrung des optimalen Fokus gelinde gesagt nur schwer nachvollziehbar ist).

Wenn bestimmte Rituale als Klassiker des Aberglaubens in die Annalen eingegangen sind — die rechte Socke vor der linken anziehen, einen Glücksbringer tragen usw. — und auf einer eher intimen Ebene funktionieren, ist es interessant festzustellen, dass auch die Erziehung eine wichtige Rolle bei ihrer Ausübung spielen kann. Manon Eluère kam zu diesem Schluss, als er die Mitglieder eines Profi-Volleyball-Teams der Frauen studierte. "Das Ritual, das mir dabei am meisten auffiel, war ohne Zweifel das, was eine brasilianische Spielerin durchführte. Für diese Spielerin hatte die Farbe Rot besondere Kräfte. Diesen Glauben trug sie von Kindheit an in sich. Als sie klein war, gab ihr ihre Mutter immer wenn sie Schluckauf hatte, einen roten Faden. Sie rieb den Faden zwischen ihren Fingern und klebte ihn sich dann auf die Stirn, um den Schluckauf zu heilen. Die Farbe hat seitdem ihre Faszination nicht verloren und am Anfang jeder Saison deckt sie sich mit roten BHs, Hosen und Glücksbringern ein. Sie war wirklich überzeugt von der Wirkung, für sie war das absolut klar."

Verwunschenes Stirnband

Eine andere Schlussfolgerung, zu der die Psychologin kam, war, dass die Nationalität des Sportlers auch eine wichtige Rolle spielte. "Der kulturelle Zusammenhang zwischen den Spielern, die wir beobachteten und ihrem Standpunkt zum Thema Aberglauben war sehr stark. Es gab eine gewisse Distanz zwischen französischen Frauen und den Ritualen, die sie durchführten. Sie waren sich darüber bewusst, dass sie nicht ganz rational handelten und sahen es als etwas Amüsantes an." Eine Klarheit, die ihre amerikanischen Kolleginnen eindeutig nicht teilten. "Sie weigerten sich, ihre Rituale als Aberglauben anzusehen. Für sie führte nur harte Arbeit zu Ergebnissen und es war schwer, über Glück zu sprechen. Folglich war aus ihrer Sicht alles mit der rationalen Notwendigkeit verbunden, eine mentale Routine zu etablieren. Sie verstanden die irrationale Natur einiger ihrer Gewohnheiten nicht. Zum Beispiel erzählte mir eine ihrer Spielerinnen, dass sie immer das gleiche Stirnband trug, wenn sie spielte. Eines Tages trug sie ein anderes und verlor. Sie trug es nie wieder. Aber sie beharrte trotzdem darauf, dass sie nicht abergläubisch war. Diese eindeutige Weigerung unter den amerikanischen Spielerinnen kann auch durch die Tatsache erklärt werden, dass die Grenze zwischen abergläubischem Ritual und Spielvorbereitung oft sehr schmal ist“, erklärt Manon Eluère.

Die Allgemeinheit scheint für diese Art von Verwirrung nicht allzu anfällig zu sein. Laut einer CSA-Umfrage, die im Jahr 2014 durchgeführt wurde, sind sich 23 % der Franzosen bewusst, dass sie abergläubisch sind. Über das Phänomen nachzudenken, macht einen demgegenüber nicht notwendigerweise immun. "Als ich selber Volleyball spielte, hatte ich meine kleinen Rituale, Dinge die ich immer noch in meinem Alltag mache", gibt die Psychologin zu. "Zum Beispiel ziehe ich immer die rechte Socke vor der linken an und falls ich es vergesse, dann öffne ich meine Schnürsenkel und hole es nach. Um ehrlich zu sein, hat diese Studie mich in meinen Ritualen bestärkt und ich habe mir sogar einige neue angewöhnt." Von da bis zum Lesen dieses Artikels und der Entscheidung, an jedem Spieltag die gleiche Unterwäsche zu tragen, ist es nur ein kleiner Schritt.

Olivier Saretta