"Die Situation in Deutschland klingt für mich wie Freigang"

Stefan Konarske, früher "Tatort"-Kommissar in Dortmund und heute ein Theaterstar in seiner Wahlheimat Frankreich, ist in der zweiten Staffel der Sky-Serie "Das Boot" Bösewicht Nummer eins. Ein Gespräch über das Schlechte im Menschen und ein besseres Gefühl, trotz Pandemie in Paris zu leben.

Stefan Konarske, gerade 40 Jahre alt geworden, zählt zu den interessantesten deutschen Schauspielern seiner Generation. Der Hochbegabte aus Norddeutschland verließ früh sein Elternhaus, ging in Paris zu Schule und absolvierte später die berühmte Berliner Schauspielschule "Ernst Busch" - mit Auszeichnung. Danach folgte eine steile Karriere an deutschen Theatern, auch wenn es ihn zwischendurch immer wieder nach Paris zog, wo er seit sechs Jahren auch lebt. Das deutsche TV-Publikum kennt Stefan Konarske vor allem als Dortmunder "Tatort"-Kommissar Daniel Kossik - eine Rolle, die er 2017 freiwillig aufgab. In Staffel zwei der aufwendigen deutschen Sky-Serie "Das Boot" (ab Freitag, 24. April, 20.15 Uhr, Sky One) spielt er - in einer deutlich größeren Rolle als in Staffel eins - den diabolischen U-Boot-Kapitän Ulrich Wrangel.

teleschau: "Das Boot" zeigt viele ambivalente Charaktere. Ihrer jedoch ist wirklich böse. Machen einem Schauspieler Extreme mehr Spaß als das menschlich Ausgewogene?

Stefan Konarske: Ja, es macht Spaß, "böse Charaktere" zu spielen - aber für mich gibt es keine explizit bösen Menschen. Jeder, der böse wurde, war vorher mal ein guter Mensch. Keiner kommt als Bestie zur Welt. Zur Bestie wird man. Mein Kapitän verhält sich böse, weil er ein Trauma erlebte. Diesen Punkt versuche ich herauszuarbeiten. Bei historischen Rollen kann man sich das Trauma über Biografien erarbeiten, bei fiktiven muss man es sich selbst zurechtbauen. Manchmal gibt es eine Art "Charakterbibel" für die Schauspieler, die man als Vorlage nutzen kann. Beim U-Boot Kapitän Wrangel war das auch so.

teleschau: Was hat Ihr Wrangel erlebt, das ihn so böse gemacht hat?

Konarske: Er ist ein kriegstraumatisierter Mensch und des Lebens müde. Er will sterben. Er ist für mich in Staffel eins der traurigste Charakter von allen. Dass er in Staffel zwei - in einer deutlich größeren Rolle - als Antagonist zurückkehrt, ist dann fast folgerichtig. Oft sind die größten Bestien jene, die zuvor am sensibelsten auf das Schreckliche reagiert haben.

"Der Plot wird subtiler, schneller und mutiger erzählt"

teleschau: Worauf hat Ihr U-Boot-Kapitän reagiert?

Konarske: Leider verspielt sich das etwas, bereits in Staffel eins. Wrangel hat "seine Eier" verloren. Ganz am Anfang geht er über Bord, war totgeglaubt. Doch man hat ihm "nur" das Geschlecht abgeschossen. Ich konnte mich mit diesem Trauma identifizieren, weil ich als Kind eine ernstzunehmende Operation am Hoden hatte. Sie dauerte fünf Stunden, damals war ich elf oder zwölf Jahre alt. Das erste, was ich meine Mutter nach dem Aufwachen fragte, war, ob alles noch dran ist. Ich glaube, das Männlichste zu verlieren, was man hat, verändert das Handeln und Fühlen eines Menschen tiefgreifend.

teleschau: Extrem böse zu werden, ist also die Reaktion auf verlorene Männlichkeit? Holt man sich mit dem Bösen ein Stück weit das Männliche zurück?

Konarske: Nein, das kann man so nicht sagen. Ich glaube, das Böse ist ein abgewandelter Ausdruck der Trauer darüber. Wrangel hat nichts mehr. Er will nur noch sterben, kann das aber nicht alleine tun. Dafür hat er nicht die Eier! So habe ich mir diesen Charakter erklärt, so interpretiere ich ihn. In Staffel eins liegt er vorwiegend im Bett und spricht ganz wenig. Eine Art stummer Strippenzieher. In Staffel zwei wird er gesprächiger, aktiver, und das musste ich mir auch erst mal erklären, um meine Figur weiterhin erzählen zu können.

teleschau: Ihr Charakter ist nun der große Antagonist zum neuen Protagonisten Clemens Schick. Was ist sonst noch anders in Staffel zwei?

Konarske: Ich glaube, sie ist noch besser - das habe ich auch von den Machern gehört. Der Plot wird subtiler, schneller und mutiger erzählt. Das Budget war etwas höher, was man auch sehen kann. Es gab ein paar Millionen mehr, in Staffel eins waren es bereits - ich glaube - 28 Millionen Euro. Außerdem hatten wir zwei Regisseure, die den Regisseur Andreas Prochaska aus Staffel eins ablösten. Auch dadurch bekam die Serie eine andere Dynamik. Die Regisseure drehten parallel, an zwei unterschiedlichen Sets, in einem Studio. Es war stets interessant zu sehen, was die andere Unit jeweils gerade geschafft hatte. Ich finde, dieses Vorgehen gab dem Ganzen einen gegenseitigen Ansporn.

Michael Jacksons Kühlwesten

teleschau: Das U-Boot stand wieder in einem Prager Studio?

Konarske: Ja, alle U-Boot Innenaufnahmen wurden wieder in Prag gedreht. Allerdings brauchten wir für die zweite Staffel einen zweiten U-Boot-Nachbau. Es gibt Szenen, in denen viel Wasser ins Boot kommt. Dieses Boot musste letztlich auf dem Parkplatz vor dem Studio aufgebaut werden, denn das viele Wasser, das in manchen Szenen oben reinläuft, musste ja unten auch wieder irgendwo hinauslaufen (lacht).

teleschau: An welchen Stellen merkt man als Schauspieler, dass das Budget höher ist?

Konarske: An meiner Gage hat es sich nicht so sehr widergespiegelt (lacht), aber im Dreh schon. Mehr Personal, besser koordinierte Abläufe. Man darf nicht vergessen, dass es sich bei "Das Boot" um Größenordnungen handelt, die selten sind für deutsche Filme und Fernsehproduktionen. Riesige Sets, vier bis fünf unterschiedliche Sprachen am Set.

teleschau: Und wie kam Ihnen das höhere Budget nun zugute?

Konarske: Wir drehten zum Beispiel mitten im Sommer Winterszenen auf Malta. Teilweise war es 40 Grad heiß, wir waren mit dicken Mänteln bekleidet. Für diese Szenen erhielten wir Schauspieler kühlende Westen zum Drunterziehen. Ohne die hätte man das sicher nicht ausgehalten. Es handelt sich um dieselben Westen, die Michael Jackson früher bei seinen Tourneen auf der Bühne trug, um nicht zu schwitzen. Eine Spezialanfertigung Sie kosten wahnsinnig viel Geld, ermöglichen aber Höchstleistungen - laut Aussage der Kostümbildnerin (lacht).

teleschau: "Das Boot"" wurde auch für den internationalen Markt produziert. Sie leben in Frankreich. Haben Sie mitbekommen, wie diese deutsche Kriegsserie im Ausland ankam?

Konarske: Die Serie hat sich sehr gut verkauft, in über 100 Länder weltweit. Sie lief in Amerika auf Hulu, ziemlich ordentlich sogar. Auch die Kritiken in England waren sehr gut. In Frankreich ist "Das Boot" leider etwas untergegangen, was aber mit der Marktsituation der Sendergruppe zu tun hat, die sich die französischen Rechte gesichert hatte. Persönlich finde ich das natürlich schade. Auch deshalb, weil ich die französische Fassung selbst synchronisiert habe.

Ein deutscher "Iggy Pop" am französischen Staatstheater

teleschau: Sie leben seit Jahren in Paris. Was hat Sie dorthin gebracht?

Konarske: Ich war schon mal als Schüler zwei Jahre dort, deshalb bestand immer eine alte Verbindung. Später brachte mich der Theaterregisseur Michael Thalheimer nach Paris - an das französische Staatstheater für Gegenwartsdramatik "La Colline". Ich hatte ihm in meinem Größenwahn eine Rolle zugesagt, die sich im Nachhinein als die Hauptrolle mit mehreren langen Monologen herausstellte. "Kampf des Negers und der Hunde" ("Combat de nègre et de chiens", d. Red.) von Bernard-Marie Koltès. Natürlich spielte ich auf Französisch, was ich damals noch nicht besonders gut konnte. Zur Vorbereitung paukte ich mehrere Wochen lang rund um die Uhr Französisch. Das kommt mir heute zugute. Mittlerweile spreche ich tatsächlich akzentfrei und lebe nicht nur in Frankreich, sondern arbeite auch dort. Zuletzt habe ich Napoleon III. in einer französischen Fernsehserie gespielt.

teleschau: Haben die Pariser den Deutschen in ihrem Theater akzeptiert?

Konarske: Ja, es war sogar eine meiner besten Arbeiten überhaupt, denke ich. "Le Monde" schrieb: "Stefan Konarske - eine Art Iggy Pop des Theaters". Eine bekannte französische Agentin hat mich dort entdeckt und mich sofort unter Vertrag genommen. Das tat natürlich sehr gut. Die Vorstellung hat mir dann aber doch das Rückgrat gebrochen. Ich hatte einen schweren Bühnenunfall in der 13. Vorstellung. Davor spielte ich wie ein Bekloppter, war wie in einem Tunnel und konnte mich zwischenzeitlich nicht erholen. Frankreich hat ein anderes Theatersystem. Es gibt dort kaum feste Ensembles, man engagiert Schauspieler pro Projekt. Das sind dann sechs bis acht Wochen Proben, danach Vorstellungen immer dienstags bis sonntags ebenfalls über sechs bis acht Wochen. Das ist wahnsinnig intensiv.

teleschau: Wie kam es, dass sie danach in Paris geblieben sind?

Konarske: Ich blieb ja nicht dort, sondern kehrte später erneut zurück, um dann zu bleiben. Geliebt habe ich diese Stadt schon immer, hatte immer eine besondere Beziehung zu ihr. Von 1997 bis1999 ging ich hier zwei Jahre auf ein internationales Gymnasium. Das zweite Mal war dann 2010, da hatte ich diesen Bühnenunfall und musste ebenfalls schnell zurück. Schließlich kam ich ein drittes Mal, um Heiner Müllers "Auftrag" zu spielen. Ich spüre einfach diese große Liebe zur Sprache und zu Paris in mir. Mittlerweile ist die Sprache auch wirklich kein Problem mehr. Ich lebe nun gut sechs Jahre in dieser Stadt - lebe, denke und träume Französisch. Ich habe auch noch eine Bleibe in Berlin, wohin ich aber gerade nicht hinkomme, da ich mich seit Wochen im französischen Hausarrest befinde.

"Ich bin sehr froh, diese Krise in Frankreich auszuhalten"

teleschau: Wie erleben Sie die gegenwärtige Situation in Paris?

Konarske: Die Ausgangssperren sind in Frankreich viel strenger. Alles ist sehr reglementiert und mit vielen Auflagen versehen. Raus kommt man nur mit einem Spezialantrag, den man jedesmal erneut ausfüllen, bei sich führen und vorzeigen muss, wenn man kontrolliert wird - was recht häufig passiert. Jegliche Aktivität wie Einkaufen, Arzt- und Apothekenbesuche, kurze sportliche Betätigung -, alles muss immer alleine und im Umkreis von 500 Metern um die Wohnadresse stattfinden. Demnach bin ich gerade gezwungen, in meiner Wahlheimat und meiner Wohnung zu bleiben.

teleschau: Wieviel bekommen Sie von der Situation in Deutschland mit?

Konarske: Wenn ich die Situation in Deutschland verfolge, dann klingt das für mich wie Freigang! Ich mag mir kein Urteil über die Situation erlauben und hoffe nur, dass die deutsche Politik weiß, was sie tut. Ich bin weder Wissenschaftler noch Politiker. Aber ich bin sehr froh, diese Krise in Frankreich auszuhalten, wo die Menschen mit einer ganz klaren Linie gezwungen sind, daheim zu bleiben und sich solidarisch zu verhalten. Wenn ich mit meinem deutschen Freunden spreche, dann höre ich eigentlich bei jedem: Heut früh war ich Sport machen mit X, jetzt geh ich mit Y an den See und am Abend kommen A, B und C zum Essen - aber das sind die einzigen Leute, die ich treffe. Ja, wenn X und Y sowie A, B und C das genauso tun, dann treffen sich ja schon mal 30 Leute, die das Konzept offenbar nicht verstanden haben. Aber wie gesagt, ich erlaube mir kein Urteil...