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Skurrile Nachwehen: Warum Schulen und Kirchen über die EU-Datenschutzregeln schimpfen

Viele Lehrer müssten die Zeugnisse nun per Hand schreiben, um zu vermeiden, sich strafbar zu machen. (Bild: Getty Images)
Viele Lehrer müssten die Zeugnisse nun per Hand schreiben, um zu vermeiden, sich strafbar zu machen. (Bild: Getty Images)

Die neue Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sollte die Menschen besser vor der Weitergabe sensibler Daten schützen, so der Plan. Geklappt hat das nicht immer. Und die Verunsicherung darüber, was man jetzt noch darf und was nicht, treibt zum Teil ziemlich absurde Blüten.

Der 25. Mai 2018 war der Tag, an dem innerhalb der EU die neue Datenschutzgrundverordnung in Kraft getreten ist. Sechs Tage später übertrug das Erzbistum Freiburg den Fronleichnams-Gottesdienst nicht über das Internet, wie es das sonst getan hätte. Zu groß war die Unsicherheit darüber, ob eine solche Übertragung mit dem neuen Gesetz konform wäre. „Wir haben das so gelesen, dass wir eigentlich von jedem, der im Bild zu sehen wäre, eine schriftliche Einverständniserklärung bräuchten“, sagt der Pressesprecher Dr. Michael Hertl gegenüber Yahoo Nachrichten.

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Unmöglich bei mehreren hundert Besuchern im Münster. Dazu die Kinder, die im Chor singen oder ministrieren und für die die Eltern eine schriftliche Einverständniserklärung abgeben müssten. Und doch gibt es Hoffnung, dass sich das wieder ändern könnte. Die Maßnahme sei als Vorsichtsmaßnahme getroffen worden, sagt der Pressesprecher, „weil uns niemand rechtssicher bestätigen konnte, dass dem nicht so ist.“ Sollten die Juristen währen der laufenden Prüfung der genauen Rechtslage zu einem anderen Schluss kommen, werde die Übertragung am 15. August zu Maria Himmelfahrt wieder stattfinden.

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Probleme mit der neuen Datenschutzverordnung sehen auch Vereine wie die „Bewegungs- und Rehabilitationssportgemeinschaft Ingelheim“. Die 250 Mitglieder in Rheinland-Pfalz treffen sich zum Tischtennis, Parkinson-Sport, Kegeln oder Wassergymnastik und hätten fast in die Röhre geguckt, als der bisherige Vorstand infolge der neuen EU-Regeln komplett zurückgetreten war. Zu groß schien den Ehrenamtlichen das Risiko, „mit Geld oder Freiheitsstrafe“ belangt werden zu können, sagt der ehemalige Kassenwart Helmut Benkelmann gegenüber Yahoo Nachrichten. Und weiter: „Bei uns gibt es auch passive Mitglieder und die sind zum Teil weit verstreut. Da kann ich doch nicht zu jedem hinfahren und mir unterschreiben lassen, dass ich ihm zum Geburtstag eine Karte schicken darf.“ Wahnsinn sei das und nur ein Glück, dass sich bei der kürzlichen Neuwahl Freiwillige für einen neuen Vorstand gefunden hätten. „Sonst hätten wir den Verein aufgelöst.“

„90 Prozent der Rechner würden nicht der Grundverordnung entsprechen“

Kurz vor den Sommerferien dürften auch jene Lehrer aufgelöst sein, die ihre Zeugnisse neuerdings per Hand schreiben. Davon berichtete kürzlich die „Süddeutsche Zeitung“ unter Verweis auf eine Grundschule in Düsseldorf, an der dies nun tatsächlich passiere. Demnach rechnet die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft damit, dass weitere Lehrer dem aufwändigen Beispiel folgen werden.

Das Problem: Personenbezogene sensible Daten wie Noten oder eventuell vorhandene Lese- und Rechtschreibschwächen dürfen nur auf ausreichend gesicherten Computern eingesehen, eingepflegt und gespeichert werden. Die Computer, die den Lehrern in der genannten Schule zur Verfügung stehen, erfüllen zwar dieses Kriterium. Allerdings gibt es davon nur zwei für 21 Lehrer.

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Dieses Problem kennt auch Heinz-Peter Meidinger, Direktor eines Gymnasiums im bayerischen Deggendorf und Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbands. Zwar dürften die Lehrer auch ihre eigenen Computer Zuhause benutzen, sagt er im Gespräch mit Yahoo Nachrichten. Dafür müssten laut Meidinger aber eine ganze Reihe von Sicherheitsvorkehrungen von den Lehrern selbst getroffen werden: Eine Abschaltvorrichtung, die das System nach 15 Minuten herunterfährt, wenn nicht daran gearbeitet wird.

Leider ist unsere Website in den meisten europäischen Ländern nicht verfügbar

Ein sicheres Backup über einen kodierten USB-Stick, was aber nur über Windows Professional möglich ist. Und als Grundlage natürlich ein Betriebssystem, das mit aktuellen Updates versorgt wird. Wer da als Lehrer etwa noch Windows XP auf seinem privaten Rechner hat, macht sich tatsächlich strafbar. Trotzdem sagt der Direktor: „Ich behaupte mal, wenn das jemand exakt kontrollieren würde, würden 90 Prozent der Rechner nicht der neuen Datenschutz-Grundverordnung entsprechen.“

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Pech haben auch Leser, die bislang gerne auf den Online-Seiten von amerikanischen Zeitungen unterwegs waren. Wer zum Beispiel den Webauftritt der „Los Angeles Times“ oder „Chicago Tribune“ aufrufen will, bekommt folgende Nachricht angezeigt: „Leider ist unsere Website gerade in den meisten europäischen Ländern nicht verfügbar.“ Man arbeite aber an dem Problem und suche nach Möglichkeiten, dem EU-Markt die digitalen Inhalte wieder zur Verfügung zu stellen. Was die Zeitungen in Bedrängnis bringt, sind die neuen Regeln, die sich auf Online-Werbung beziehen.

Die „USA Today“ hat deshalb extra für den europäischen Markt eine komplett werbefreie Website erstellt, die sie entsprechend selbst finanzieren muss. Wohl aus diesem Grund hat sich das Online-Portal etwas einfallen lassen. Während ein „normales“ Online-Abo für 6 Dollar im Monat zu haben ist, kostet das „Premium EU-Abo“ drei Dollar mehr.