Werbung

So berichtete die internationale Presse im Vorfeld der Bundestagswahl

Einen Tag vor der Bundestagswahl blickt nicht nur Deutschland gespannt nach Berlin. Auch der Rest der Welt beschäftigt sich mit der Frage, wie sich die größte Wirtschaftskraft Europas in den nächsten vier Jahren ausrichtet. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird in vielen Ländern als „Fels in der Brandung“, „Flüchtlingskanzlerin“ und mächtigste Frau der Europäischen Union gesehen.

Ob Brexit, griechische Sparauflagen oder die Beziehungen zur Türkei – mit wem sie regieren wird, ist auch im Ausland eine viel diskutierte Frage. Besonders zwei der kleineren Parteien sorgen international für große Diskussionen. Unsere Korrespondenten geben eine Übersicht.

Frankreich

In Frankreich beobachtet man die Bundestagwahl sehr genau. Viele Menschen interessieren sich für Deutschland, und sie wissen, dass Angela Merkel aller Voraussicht nach den Wahlsieg in der Tasche hat. Sie sehen aber auch, dass es möglicherweise eine neue Koalition unter Einschluss der FDP geben wird. Bei denen, die sehr europafreundlich sind, kommt die Befürchtung auf, dann seien keine Fortschritte in der Eurozone mehr möglich. Die FDP hat sich in ihrem Wahlprogramm eindeutig gegen eine vertiefte Integration der Eurozone ausgesprochen. Auch bei der Verteidigungspolitik bzw. dem Aufbau einer gemeinsamen Rüstungspolitik könnte es Probleme geben, da die FDP eine striktere Kontrolle von Waffenexporten verlangt.

Bei wirtschaftsnahen Beobachtern überwiegt dagegen der Optimismus: „Nach der Bundestagswahl werden wir eine Reihe von deutsch-französischen Zusammenschlüssen sehen“, sagt einer von ihnen. Im Handel und in der Energiewirtschaft könnte es Annäherungen zwischen deutschen und französischen Unternehmen geben. Präsident Emmanuel Macron wird unmittelbar nach der Wahl, vielleicht schon am Dienstag, seine ersten Vorschläge für eine „Neugründung Europas“ formulieren.

Großes Interesse besteht für das Abschneiden der AfD. Viele Franzosen befürchten, dass die Rechtsextremen mit einer großen Fraktion in den Bundestag einziehen und dass der Rechtspopulismus in Europa einen neuen Auftrieb bekommen könnte. Das wäre besonders bedauerlich, weil der Front National in Frankreich gerade in einer tiefen Krise steckt und stark an Attraktivität eingebüßt hat.

Thomas Hanke


Großbritannien: Hoffen auf Merkel

In Großbritannien wird der deutsche Wahlkampf aufmerksam verfolgt, obwohl er aus Sicht der Briten unfassbar dröge ist. „Eine Schande für Deutschland“, stöhnte der Berlin-Korrespondent des „Economist“ nach dem TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz. Statt über die großen Fragen zu streiten, habe man sich mit Nichtigkeiten aufgehalten.

Doch Merkel fasziniert die Briten, nicht zuletzt, weil sie schon länger regiert als die beiden erfolgreichsten Nachkriegspremiers Margaret Thatcher (11 Jahre) und Tony Blair (10 Jahre). Dass die Kanzlerin wiedergewählt wird, gilt auf der Insel als ausgemachte Sache. Nach der Flüchtlingskrise 2015 schien es, als sei Merkel verwundbar, schrieb der „Daily Telegraph“. Doch nun sehe es so aus, „als habe sie eins der sensationellsten politischen Comebacks unserer Zeit geschafft“.

Die deutsche Langeweile gilt vielen Briten als wohltuend, da ihnen der Dauerzirkus der eigenen Brexit-Regierung gehörig auf die Nerven geht. Es wird registriert, dass die AfD größte Oppositionspartei werden könnte. Doch erscheint die Gefahr eines Rechtsrucks nicht so groß wie in anderen europäischen Ländern. Dass die Deutschen weiterhin die Mitte wählten, sei eine gute Nachricht für Europa und die liberale Demokratie, kommentierte der „Guardian“. Das zeige, dass die populistische Welle auf dem Kontinent vermeidbar sei.

Im Londoner Regierungsviertel Westminster wird vor allem über mögliche Koalitionen nach der Wahl spekuliert. Brexit-Befürworter hoffen auf die FDP: Als Sprachrohr des deutschen Mittelstands würden die Liberalen auf einem guten Handelsdeal mit Großbritannien bestehen. Ebenso hoch sind die Erwartungen an Merkel. Die Kanzlerin soll Schwung in die Brexit-Verhandlungen bringen und die vermeintliche Blockadehaltung der EU-Unterhändler durchbrechen. „Der Brexit wird sich beschleunigen, wenn Merkel gewonnen hat“, kommentiert der „Telegraph“. Der „Guardian“ hingegen warnt die Regierung vor einer Enttäuschung: „Die deutsche Brexit-Politik wird sich wahrscheinlich nicht ändern“.
Carsten Volkery


Österreich: Sozialdemokraten bangen mit Schulz

Österreich schaut mit großem Interesse auf Deutschland, denn die Alpenrepublik wählt selbst am 15. Oktober ein neues Parlament. Die Medien im Nachbarland berichten ausführlich über das Duell um das Kanzleramt in Berlin, bei dem bislang wenig Spannung aufgekommen ist. In Wien schießen bereits seit Wochen die Spekulationen ins Kraut, wie heftig die Niederlage der SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Martin Schulz ausfallen wird. Das Interesse am Wahlerfolg der deutschen Sozialdemokraten kommt nicht von ungefähr. Denn der österreichischen Schwesterpartei SPÖ droht der Machtverlust.

Schließlich steht mit Christian Kern in Österreich ein sozialdemokratischer Kanzler zur Wiederwahl. Dem seit Mai 2016 regierenden Manager werden nach den letzten Umfragen kaum Chancen auf den Sieg noch eingeräumt. Sein Herausforderer, der 31-jährige Außenminister Sebastian Kurz, hat die Nase seit dem Aufkündigen der Großen Koalition vorn. Eine herbe Niederlage der SPD wäre daher für den österreichischen Bundeskanzler höchst unwillkommen. Der frühere Bahn-Chef bräuchte vielmehr Rückenwind aus Berlin für seinen eigenen Wahlkampf, der bislang vor allem durch Pech und Pannen gekennzeichnet war.

An einem Sieg von Kanzlerin Merkel zweifelt in Wien unterdessen niemand - genauso wenig wie an einer Fortführung der bisherigen deutschen Außenpolitik. Die Zeiten, in denen zwischen Berlin und Wien außenpolitisch kein Blatt Papier gepasst hätte, sind bereits seit 2015 längst passé. Österreichs Außenminister Sebastian Kurz hatte die deutsche Kanzler und ihre Flüchtlingspolitik immer wieder kritisiert. Kurz steht politisch der CSU unter ihrem Vorsitzenden Horst Seehofer sehr nahe. Auch mit Positionen der ungarischen Regierung unter dem rechtspopulistischen Premier Viktor Orbán gibt es manche Übereinstimmung. Das Verhältnis zwischen Merkel und Orbán gilt hingegen, gilt als ausgesprochen schwierig.
Hans-Peter Siebenhaar


Spanien: Neidvoller Blick auf die Große Koalition


Spanien verfolgt die Wahl in Deutschland sehr aufmerksam, obgleich sie deutlich seltener Thema ist als es die brisanten Urnengänge in Großbritannien oder Frankreich waren. In Cafés und Bars ist die Bundestagswahl kein Thema – das Ergebnis scheint vor Überraschungen sicher und markiert für viele eher ein beruhigendes Ende der Wackel-Wahlen in vielen anderen europäischen Ländern in den vergangenen Monaten.

Auch die spanischen Parteien, die vor der Frankreich-Wahl noch Stellung zu Macron bezogen hatten, halten sich zurück. Das mag allerdings auch daran liegen, dass sie seit Anfang September vor allem damit beschäftigt sind, den Aufstand der Separatisten in Katalonien zu bekämpfen. Die haben für den 1. Oktober zu einem Referendum über die Trennung von Spanien aufgerufen, das gegen die Verfassung verstößt.

Mit gewissem Erstaunen blickt Spanien auf die große Koalition in Deutschland. Viele Beobachter halten sie für ein erstrebenswertes aber wohl unerreichbares Vorbild für Spanien. Die spanischen Politiker sind nach Jahrzehnten der Zweiparteienherrschaft in so inniger Feindschaft verbunden, dass im vergangenen Jahr Neuwahlen nötig wurden, nachdem zwei neue Parteien das Gefüge durcheinander gebracht hatten und sich die Volksvertreter partout auf keine Koalition einigen konnten.

Den Spaniern, die so sehr an die Antipode zwischen rechts, links und extrem links gewöhnt sind, erklären die Medien, dass es in Deutschland kaum inhaltliche Unterschiede in den Parteiprogrammen gebe. Immer wieder wird dafür das Fernsehduell zwischen Merkel und Schulz zitiert, in dem es „nur noch gefehlt hat, dass der eine zustimmend nickt, wenn der andere redet“, schreibt die spanische Zeitung El País.

Die Kehrseite dieser Gleichförmigkeit sei, dass sie der rechtsextremen Partei AfD Raum gelassen habe. Deren möglichen Einzug in den Bundestag sehen die Spanier als Phänomen, aber nicht als Gefahr. Er sei vor allem Folge der Flüchtlingskrise, auf die Merkel inzwischen mit einer strengeren Einwanderungspolitik und dem Abkommen mit der Türkei reagiert habe.

Die alte und vermutlich neue Bundeskanzlerin hat in Spanien einen uneingeschränkt guten Ruf. „Wenn es nicht die deutsche Obsession zur Diskretion geben würde und den Widerwillen dagegen, im Mittelpunkt zu stehen, wäre Merkel schon als Führerin der freien Welt anerkannt“, schreibt El País. „Das gilt insbesondere seit Obama das Weiße Haus verlassen hat und durch den griesgrämigsten, erratischsten und unverantwortlichsten Präsidenten ersetzt worden ist, der je die Regierung in Washington geleitet hat.“

Merkels Gegenkandidat Martin Schulz kommt dagegen kaum mehr in der Berichterstattung vor. Die Online-Zeitung El Confidencial schreibt „Seine ursprüngliche Botschaft, der Kampf gegen die Ungleichheit, hat in einem Land, in dem die Reichen noch reicher sind und die Gehälter trotz des Wohlstands stagnieren, keine Wirkung erzielt.“

Sandra Louven


Italien: Hier würde Merkel verlieren

Angela Merkel schmückt seit Wochen die Titelbilder der italienischen Politik-Magazine und Deutschland-Korrespondenten wie Experten überbieten sich mit Analysen. „In Italien würde Merkel verlieren“, titelt ein Leitartikler im renommierten „Corriere della Sera“ und schreibt weiter: „Ihre Neigung zum Kompromiss würde in unserer Politik-Welt der Muskelprotze als Unentschlossenheit gesehen werden.“ Die Kunst der Bundeskanzlerin bestehe darin, nicht das zu sagen, was sie dann mache, während in Italien die führenden Politiker nicht das täten, was sie sagten.

Da mischt sich Bewunderung mit Ehrfurcht und Neid, wie immer, wenn in Italien über Angela Merkel gesprochen wird. Eine politische Figur wie sie, die vor allem die Wirtschaftspolitik des eigenen Landes im Auge hat und glänzende Bilanzen und beinahe Vollbeschäftigung aufzuweisen hat, wünschen sich viele Italiener. Das Land leidet immer noch an den Folgen der Krise, aber auch an den permanenten Streitereien der Politiker. Nie fehlt im Ländervergleich der Hinweis auf den deutschen Handelsüberschuss und darauf, dass die beiden Volkswirtschaften sich zumindest als EU-Nettozahler und als Größen in der verarbeitenden Branche ähneln. Lobt die Kanzlerin den Reformkurs der Regierung in Rom, wird das groß berichtet.

Die Bundestagswahl ist auch deshalb ein Riesenthema in Italien, weil gerade der eigene Wahlkampf beginnt. Im Frühjahr endet die Legislaturperiode, danach drohen dem Land nach den Wahlen Monate der Instabilität, bis eine Regierung gebildet wird, denn keine Partei wird allein siegen. Wie geht die Bildung einer Koalition? Das wird studiert. Zwölf Jahre im Amt? Undenkbar in Italien mit der 64. Regierung seit Kriegsende.

In Rom findet am Sonntagabend in der Residenz der Botschafterin eine große Wahlparty statt, das italienische Fernsehen überträgt live. Auch das TV-Duell wurde intensiv verfolgt. Zwei Fragen beschäftigen Politiker und Unternehmer: Wer wird Koalitionspartner und was wird, wenn die AfD noch weiter steigt. Da SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz viele Sympathien in Italien hat – wegen seiner früheren Arbeit im Europaparlament und wegen seiner offen Solidarität mit Rom in der Flüchtlingskrise - wird eine Neuauflage der Groko gut geheißen. Parteipolitisch stehen sich SPD und die Regierungspartei PD nahe. Und je mehr Stimmen die AfD erhalte, umso schwerer sei es für die Union, einen Koalitionspartner zu finden, analysiert der Sender RAI.
Immer schwingt jedoch in Italien auch die Sorge vor der deutschen Übermacht mit, die auf dem Streit über Haushaltsdisziplin und Aufgabenpolitik der EZB beruht. Bezeichnend das Urteil von Deutschland-Experte Carlo Bastasin: „Es gibt kein anderes Land, in dem in der Politik Begriffe wie Verantwortung und Gewissen fest verankert sind wie in Deutschland. Die werden aber zu oft mit der egoistischen Trägheit der Stärkeren in Richtung Eigeninteresse verbogen. Nach der Wahl kann Kanzlerin Merkel das ändern. Das ganze Land muss die Scheinheiligkeit ablegen und das Niveau einer offenen europäischen Gesellschaft erreichen“, kommentiert er in der Wirtschaftszeitung „Il Sole – 24ore“.

Regina Krieger


Griechenland: Hellas fiebert mit

Ein Kafeneion im Athener Arbeitervorort Keratsini. Es ist früher Nachmittag. Trotzdem ist das Kaffeehaus gut besucht. Viele hier sind arbeitslos. Im Fernsehen laufen die Nachrichten. Die Männer im Kafeneion schauen interessiert zu. Nach einem Bericht über die jüngste Ölpest an den Athener Stränden erscheint Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Bildschirm – ein Bericht über den Wahlkampf in Deutschland. Auf Merkel folgt Schulz. Der sagt, laut griechischer Übersetzung, sinngemäß: Deutschland habe Besseres verdient. Da kann einer der Männer nicht an sich halten und muss laut lachen. „Ihr habt null Arbeitslosigkeit, Wohlstand, sichere Renten – und das reicht Euch noch nicht? Es soll noch besser werden?“

So unterschiedlich können die Perspektiven sein. Viele Gespräche in Griechenland drehten sich in den vergangenen Wochen um Angela Merkel, Martin Schulz und die bevorstehende Wahl. Das Thema beschäftigt die Menschen. Griechenlands größte Zeitung „Ta Nea“ widmete dem Bundestagswahlkampf am vergangenen Wochenende eine 16-seitige Sonderbeilage: „Deutschland wählt, Europa hofft“. Auch viele Griechen hoffen – auf einen Wahlausgang, der ihrem Land hilft. Schließlicht möchte die Athener Regierung im August 2018 das Anpassungsprogramm erfolgreich abschließen und das Land nach dann acht Jahren „Spardiktat“ aus der Vormundschaft der internationalen Gläubiger befreien.

Aber dabei muss vor allem Deutschland mitspielen. Merkel und ihr strenger Finanzminister Wolfgang Schäuble personifizieren in den Augen der meisten Griechen die Sparauflagen, die dem Land die längste und tiefste Rezession der Nachkriegsgeschichte beschert haben. Noch 2013, bei der letzten Bundestagswahl, waren Merkel und Schäuble deshalb die meistgehassten ausländischen Politiker in Griechenland. Alexis Tsipras, damals noch Oppositionschef, bezeichnete Merkel als „gefährlichste Politikerin Europas“, weil sie in den Krisenländern eine „humanitäre Katastrophe“ anrichte. Inzwischen hat sich das Verhältnis deutlich entspannt.

Als Premier hat Tsipras erkennen müssen: Ohne Merkel läuft nichts in Europa, gegen sie schon gar nicht. Die Kanzlerin ist deshalb für ihn vom roten Tuch zu einer wichtigen Partnerin geworden. Und nun geht Merkel als Favoritin in die Bundestagswahl. Tsipras wird sich deshalb weiter mit ihr arrangieren müssen – und möglicherweise mit Schäuble als altem, neuen Finanzminister.

Wenn schon Schäuble, dann hofft man in Athen wenigstens auf eine Regierungsbeteiligung der Sozialdemokraten – und deren mäßigenden Einfluss. Im Herbst will Tsipras das Thema Schuldenerleichterungen auf die Tagesordnung bringen. Dabei hofft er auf die Unterstützung der SPD. Martin Schulz hat man aus seiner Zeit im Europaparlament als Freund der Griechen in Erinnerung. Zu Tsipras hielt Schulz schon engen Kontakt, als der noch Athener Oppositionschef war. Als einer der ersten ausländischen Politiker kam Schulz im Februar 2015 wenige Tage nach dem Regierungsantritt von Tsipras nach Athen. Die beiden können miteinander. Umso größer ist die Enttäuschung in Tsipras‘ Umgebung, dass Schulz seinen anfänglichen Höhenflug in den Meinungsumfragen nicht durchhalten konnte.

Eine mögliche Beteiligung der FDP an der nächsten Bundesregierung sieht man dagegen nicht nur in griechischen Regierungskreisen sondern auch bei der konservativen Opposition mit großem Unbehagen. Wenn es zu einer Koalition mit dem Liberalen komme, „dann werden wir uns sogar nach Schäuble zurücksehen“, prophezeit Stelios Kouloglou, Europa-Abgeordneter des regierenden Linksbündnisses Syriza. Denn FDP-Chef Christian Lindner will, dass die Griechen die Eurozone verlassen. Einziger Trost: Lindner dürfte damit am Einspruch der Kanzlerin Merkel scheitern – wie 2015 schon Wolfgang Schäuble mit seinen Grexit-Plänen.
Gerd Höhler


Türkei: Das Phänomen AfD und der „biggest loser“

In der Türkei wird die anstehende Bundestagswahl am Sonntag breit diskutiert. Man kann sagen: Nie war eine Wahl in Deutschland aus Sicht der Türkei wichtiger. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind am Boden. Nachdem die Türkei seit einem blutigen Putschversuch unter anderem einen deutschtürkischen Journalisten sowie einen deutschen Menschenrechtler unter Terrorvorwürfen verhaften ließ, verschärfte Außenminister Sigmar Gabriel die Türkeipolitik der Bundesregierung: Die Reisehinweise wurden verschärft, vor Investitionen und Urlauben in dem Land gewarnt.

Später erwähnte Gabriel, in die Türkei würden praktisch keine Waffen mehr exportiert. Kanzlerin Merkel legte zudem die Verhandlungen über einen Ausbau der Zollunion auf Eis, ohne sich mit der EU abzustimmen. Die türkische Führung um Präsident Erdogan konterte regelmäßig. Mehrmals warf er der Türkei Nazi-Methoden vor, dann sprach das Außenministerium eine Reisewarnung aus: Türken könnten sich in Deutschland nicht mehr sicher fühlen, weil der Rassismus im Land derart zugenommen habe.

Womit wir zurück bei den Bundestagswahlen wären. In türkischen Medien wird intensiv über das Emporsteigen der AfD in Deutschland diskutiert. Regelmäßig drucken Zeitungen in dem Land Fotos von Wahlplakaten der rechtsradikalen Partei ab, etwa mit dem Slogan „Islamisierung stoppen“. Einzelne Blätter wie die regierungsnahe Sabah haben sogar extra Reporter aus den heimischen Redaktionen nach Berlin geschickt, um sich dem Phänomen AfD zu widmen. Die Aussage des Co-Parteichefs Gauland, die türkeistämmige Staatsministerin Aydan Özoguz „in Anatolien zu entsorgen“, hat auch in der Türkei für große Empörung gesorgt. Der Einzug der Partei in den Bundestag könnte die neue Bundesregierung unter Druck setzen, was ihre Türkeipolitik angeht, glauben Politikexperten in der Türkei.

Generell ist die Aufmerksamkeit für innerdeutsche Themen in diesem Jahr hoch. Das liegt auch daran, dass viele Aktionen aus Berlin einen indirekten oder direkten Türkeibezug gehabt und dort teilweise parteiübergreifend für Empörung gesorgt haben. Die Resolution des Bundestags zu dem Thema „Völkermord an den Armeniern“ gehört dazu wie auch eine Aussage des Chefs des Bundesnachrichtendienstes, der in einem Interview gesagt hatte, er habe keine Hinweise darauf, dass die Gülen-Verbindung hinter dem blutigen Putschversuch stecke. In der Türkei geht fast die gesamte Bevölkerung davon aus, dass die Bewegung des Predigers für den Umsturz verantwortlich ist, selbst Intellektuelle wie der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk sind davon überzeugt.

Mehdi Eker, Präsidiumsmitglied der türkischen Regierungspartei AKP, hofft, dass sich die Beziehungen zwischen beiden Ländern nach den Bundestagswahlen wieder normalisieren werden. „Im Moment profitieren viele davon, die Türkei zu dämonisieren“, glaubt er. Während er das bis zu einem gewissen Grad für „normal in der Politik“ hält, sieht er in Deutschland einen Hang zur Boshaftigkeit. Regierungsberater wie Ozan Ceyhun üben sich derweil in Wahlarithmetik. Die SPD hält er für den „biggest loser“, den größten Verlierer des aktuellen Wahlkampfs.

Pikant: Früher haben bis zu 70 Prozent der wahlberechtigten Türkeistämmigen in Deutschland ihr Kreuz regelmäßig bei den Sozialdemokraten gemacht. Ceyhun glaubt, dass die tatsächlichen Wahlsieger die Parteien AfD und Die Linke sein könnten. „Sie könnten bei einer neuen Großen Koalition die Opposition anführen und so in den kommenden vier Jahren noch mehr Wähler für sich gewinnen“, meint Ceyhun. Das würde einer Katastrophe für die SPD gleichkommen.
Ein Restaurantbesitzer im konservativen Istanbuler Stadtbezirk Fatih hat die Hoffnung, dass alles wieder besser wird. „Es waren so schöne Jahre, als die Deutschen bei uns zu Besuch waren“, sagt er halb auf Türkisch, halb in gebrochenem Deutsch. Er fügt schnell hinzu, dass er selbst mal mehrere Jahre in Offenbach gelebt habe. „Im Moment vergiftet die Politik die Stimmung, aber die Menschen hören nicht so schnell auf, befreundet zu bleiben“, meint der Mittfünfziger.
Ozan Demircan


Russland: Kaum Alternativen zur Bundestagswahl

„Langweilig“ nennt die staatliche „Parlamentskaja Gaseta“ den Bundestagswahlkampf. Eine Einschätzung, die viele russische Medien teilen, einige lästern sogar, die Deutschen würden die „russische Einmischung“ vermissen. Befürchtungen, die in Berlin nach der US-Wahl offen geäußert wurden, sich bislang aber nicht bestätigt haben. Russlands Außenminister Sergej Lawrow nannte diese Ängste erst vor wenigen Tagen wieder „paranoid“. Es gebe keine russischen Hacker und Trolle, die Wahlen im Ausland beeinflussen würden, beharrte der russische Chefdiplomat.

Auffällig ist in jedem Fall, dass die russischen Medien der Bundestagswahl weit weniger Aufmerksamkeit widmen, als den Abstimmungen in den USA oder Frankreich. Auch die Berichterstattung ist deutlich weniger engagiert. Lob aus dem Kreml für Oppositionspolitiker, oder gar ein Treffen wie mit Marine Le Pen gab es nicht. Die oben bemängelte Langeweile dürfte dafür ein gewichtiger Grund sein. Für Moskau ist der Unterschied zwischen Union und SPD nicht besonders groß. In beiden Parteien gibt es moskaufreundliche Stimmen (Seehofer, Schröder), aber eine grundlegende Ablehnung der russischen Politik bezüglich der Ukraine. Die Deutschen wählten mit Angela Merkel Stabilität und das „kleinere Übel“, vermerkt die „Parlamentskaja Gaseta“. Die Anfangseuphorie um Martin Schulz sei verflogen, „weil sich Schulz zu den wichtigsten und die Deutschen am meisten bewegenden Fragen wie Flüchtlinge, Ukraine-Konflikt oder eine vernünftige Politik gegenüber Russland nicht positionieren konnte“, meint das Blatt, das ziemlich genau die offizielle Linie widerspiegelt.

Lange hat Moskau mit der Alternative für Deutschland (AfD) geflirtet, die vor allem bei Russlanddeutschen viele Wähler hat. Doch die Hoffnungen auf einen Wahlsieg der AfD sind im Kreml inzwischen verflogen. Zwar sind die Sympathien für die Partei weiterhin in den Medien spürbar und werden Äußerungen von AfD-Chef Alexander Gauland über die Zugehörigkeit der Krim zu Russland immer noch gern zitiert. Doch wurde dieser noch im Frühjahr unter anderem vom Duma-Chef Wjatscheslaw Wolodin in Moskau hofiert, so gab es zuletzt keine hochrangigen Kontakte mehr. Die russische Führung hat sich mit dem Status quo arrangiert, zumal auch die Volksparteien zuletzt eine Annäherung wieder in Aussicht stellten. Diese Chance will sich Moskau nicht durch eine zu starke Positionierung verbauen.
André Ballin


Norwegen, Finnland, Dänemark und Schweden

Norwegen

In Norwegen spielt die Bundestagswahl eine überraschend große Rolle. In dem Land, das nicht der Europäischen Union angehört, aber enge wirtschaftliche Beziehungen nicht zuletzt zu Deutschland pflegt, wird der Wahlkampf mit großem Interesse verfolgt. Der öffentliche-rechtliche Fernsehsender NRK sendete in dieser Woche eine lange Reportage über Bundeskanzlerin Merkel. Und auch am Wahlabend sendet das zweite Programm des Norwegischen Fernsehens direkt aus Berlin.

In den Zeitungen dominierte die Berichterstattung über die Flüchtlingspolitik und über die AFD. SPD-Kandidat Martin Schulz spielte in den Artikeln nur eine untergeordnete Rolle. „Die Widerwahl von Merkel ist gut für Europa“, kommentierte die Zeitung „Aftenposten“ am Mittwoch dieser Woche die Bundestagswahlen. „In einer unruhigen Welt ist es eine Stärke mit einer stabilen Führung in Europas größtem Land“, schrieb der Kommentator, der eine Koalition von CDU und FDP einer großen Koalition vorzieht.

Das politische Norwegen hält sich verständlicherweise mit Kommentaren zurück. Doch die Mitte-rechts-Regierung aus Konservativen und der rechtspopulistischen Fortschrittspartei bevorzugt eine Wiederwahl von Merkel. Die Bundeskanzlerin und Norwegens konservative Regierungschefin Erna Solberg sollen dem Vernehmen nach ein außergewöhnlich gutes Verhältnis haben.

Finnland

Finnland verfolgt die deutsche Politik traditionell sehr aufmerksam. Das Land zählt in wichtigen EU-Fragen fast immer zu den Verbündeten Berlins. Auch der Wahlkampf hat deshalb in Finnland eine zentrale Rolle in der Medienberichterstattung eingenommen. Die großen Zeitungen haben eigene Reporter nach Deutschland geschickt, die über die AFD, über den Dieselskandal und die unterschiedlichen Koalitionsmöglichkeiten berichten. „Lieber ein kleines Trio als ein großes Duett“ überschrieb die Zeitung „Huvudstadsbladet“ aus Helsinki einen Kommentar am vergangenen Sonntag. Eine erneute große Koalition führe auf Dauer zu Defiziten im Parlamentarismus, schrieb die Zeitung. Und: „Es ist nicht gut mit einer zu schwachen Opposition“. Der Kommentator wünscht sich vielmehr eine Koalition aus CDU/CSU, der FDP und den Grünen. „Für Deutschlands parlamentarische Demokratie wäre das die bessere Alternative als eine große Koalition“.

Dänemark

In Dänemark ist das Interesse an der Bundestagswahl sehr groß. Immerhin ist man Nachbar, und jeder politische Beschluss in Berlin hat indirekt auch Auswirkungen auf das kleine Königreich. Die dänischen Medien haben den Wahlkampf aufmerksam verfolgt und nahezu täglich in den vergangenen Wochen aus und über Deutschland berichtet. Eine große Rolle spielte der erwartete Erfolg der AFD. In Dänemark hat man jahrzehntelange Erfahrungen mit Rechtspopulisten. Die Dänische Volkspartei ist zwar nicht Mitglied der Regierung, unterstützt aber die Minderheitsregierung von Premier Lars Løkke Rasmussen. Der rechtsliberale Ministerpräsident gilt als Freund von Merkel, teilt ihre Meinung in vielen Fragen. In der Flüchtlingspolitik nahm er allerdings eine Gegenposition ein und führte Kontrollen an der deutsch-dänischen Grenze ein.

In einem Kommentar beschrieb die Zeitung „Berlingske“ den Wahlkampf als eine „Deutsche Wahl ohne Opposition“. Der Wahlkampf habe sich dieses Mal zu einem freundlichen Gespräch zwischen den beiden großen Parteien entwickelt. Der Vorsitzende der Sozialdemokraten, Martin Schulz, sei eine „graue Maus, die Merkel als regelrecht charismatisch erscheinen lässt“. Erstaunt zeigen sich dänische Kommentatoren, dass die Flüchtlingspolitik eine eher untergeordnete Rolle im Wahlkampf gespielt hat. Das wäre in Dänemark anders gewesen, konstatieren sie. Tatsächlich spielt die Flüchtlingspolitik in dem kleinen Land seit Langem eine herausragende Rolle.
Dass Merkel die Wahlen vermutlich wieder gewinnen wird, ist für sie keine Überraschung. „Angela Merkel steht für viele in Europa als ein Grarant für Stabilität und Kontinuität“, schreibt „Berlingske“. „Kein Platz für Experimente bei den vorsichtigen Deutschen. Und wir anderen können ihnen dafür dankbar sein“.

Schweden

In Schweden verfolgt man die Bundestagswahlen mit großem Interesse. Immerhin ist Deutschland der zweitwichtigste Handelspartner. Die größeren Tageszeitungen berichten seit Wochen über den lahmen Wahlkampf, haben zum Teil eigene Reporter nach Deutschland geschickt. Besonderes Interesse kommt der AFD zuteil, da mit den Schwedendemokraten auch in Schweden eine rechtsradikale und ausländerfeindliche Partei im Parlament sitzt. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk laufen seit Wochen regelmäßig Reportagen auch aus der deutschen Provinz. Es wird das Phänomen Merkel beleuchtet und gefragt, wieso SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz so gut wie keine Chance hat.

Als Begründung für die gefühlt nahezu unantastbare Position von Merkel werden die unruhige Lage in der Welt sowie die für Deutschland günstige konjunkturelle Lage angeführt. „Mit einer rekordniedrigen Arbeitslosigkeit und einer starken Ökonomie haben es die Sozialdemokraten schwer, Wähler mit ihrer Botschaft nach mehr sozialer Gerechtigkeit zu gewinnen“, schrieb die Tageszeitung „Svenska Dagbladet“ vor Kurzem in einem Kommentar. Auch die Frage, mit wem Merkels CDU künftig eine Regierungskoalition bilden kann, spielte in der Berichterstattung eine Rolle. Am Wahlabend hat der schwedische Rundfunk eine mehrstündige Sondersendung zum Wahlausgang geplant.
Helmut Steuer


USA: Es geht auch nüchtern und sachlich


Amerika ist mit vielen Themen beschäftigt. Vor allem mit sich selbst natürlich, dann mit einen möglichen Krieg mit Nordkorea und, deutlich weniger gewichtet, dem Atom-Deal mit dem Iran. Außerdem findet die Frage, auf welche Art sich Großbritannien aus der Europäischen Union verabschiedet, eine gewisse Aufmerksamkeit.

Ach ja, dann gibt es auch noch Wahlen in Deutschland, dem Schwergewicht Europas. Der Analyst Marc Chandler von der US-Bank Brown Brother Harriman schreibt dazu als Punkt 13 seiner Wochenend-E-Mail an die Kunden: „Die Wahl in Deutschland scheint keine Bedeutung für die Märkte zu haben.“ Seiner Meinung nach bleibt mit hoher Wahrscheinlichkeit alles wie bisher, einschließlich Angela Merkel als Bundeskanzlerin und Wolfgang Schäuble als Finanzminister. Immerhin schmückt er seine E-Mail aber mit einer kleinen Galerie von Bildern, die Merkel in verschiedenem Alter und mit mehr oder minder lustigem Gesichtsausdruck zeigen. Ähnlich schreibt die Nachrichtenagentur Bloomberg: „Nach Meinung der Investoren wird diese Wahl in Deutschland ein totales verschlafenes Ereignis.“

Die US-Medien stellen die Wahl überwiegend sehr sachlich dar und diskutieren, welche Koalition mit welcher Wahrscheinlichkeit folgen wird. Einige der großen Zeitungen setzten ihre eigenen Akzente. Die „Washington Post“ schreibt: „Angela Merkel wird nicht die wahre Gewinnerin der Wahl am Sonntag sein.“ Die Zeitung befasst sich vor allem mit dem Aufstieg der AfD: „Der Aufstieg der AfD spiegelt den ähnlicher ultranationaler, populistischer Parteien in anderen europäischen Ländern wider, aber ist besonders auffällig Deutschland mit seiner Nazi-Vergangenheit und seiner Jahrzehntelangen Auseinandersetzung mit dem Horror des Faschismus.“

Das „Wall Street Journal“ hat einen ähnlichen Ansatz, mit einem etwas freundlicheren Unterton. „Selbst im gesetzten Deutschland gewinne die Protestparteien an Boden“, heißt es. Das Blatt analysiert, dass die beiden großen Parteien nach rechts und nach links Stimmen verlieren und zusammen unter 60 Prozent rutschen könnten. Deutschland sei „einzig“ heißt es dann, mit Blick auf die guten wirtschaftlichen Daten. Und dem Zusatz: „Die politische Kultur und die Institutionen im Nachkriegsdeutschland favorisieren sehr stark moderate gegenüber radikalen Parteien.“

Die „New York Times“ konzentriert sich auf einen besonderen Aspekt, der indirekt viel mit der amerikanischen Politik zu hat. Sie stellt fest, dass in Deutschland kaum ein russischer Einfluss zu spüren ist – anders als bei der Wahl von US-Präsident Donald Trump, der mit hoher Wahrscheinlichkeit von russischer Einflussnahme, vor allem auf Social Media, profitiert hat. Nach Aussage der Zeitung glauben die Deutschen ihren großen Medien mehr und sind gegenüber Botschaften aus dem Internet skeptischer, als das in den USA der Fall ist. Außerdem merkt die „New York Times“ an, dass das altmodische Verfahren, die Stimmen mit der Hand statt mit Computern auszuzählen, keinen Ansatz für Hacker-Angriffe bietet.

Deutschland als ein Anker in der aufgewühlten politischen Landschaft der westlichen Welt trotz des bemerkenswerten Aufstiegs der AfD – das ist also das beherrschende Thema den USA. Der Name „Merkel“ ist vielen Amerikanern bekannt und steht bei ihnen seit Jahren für Ruhe und Beständigkeit, was seit der Wahl von Donald Trump zum Teil einen gewissen Neid auslöst. Martin Schulz spielt keine Rolle, ist kaum bekannt. Die Öffnung Deutschland für Flüchtlinge aus Syrien ist allerdings auch in den USA, quer durch das politische Spektrum, sehr kontrovers diskutiert worden. Zum Teil mit Zustimmung oder sogar Bewunderung, häufig aber auch bei Wählern, die nichts mit Donald Trump zu haben, mit Ablehnung und Unverständnis.

Abseits der großen Medien dürfte ein etwas anderer Blick auf die deutschen Wahlen vorherrschen. Ein Beispiel bietet ein langer Artikel der Website „TheTrumpet.com“, die einer konservativen christlichen Sekte angehört und im rechtspopulistischen, Donald Trump wohl gesonnenen Medium „Breitbart“ für sich wirbt. Dort wird Deutschland als ein Staat geschildert, wo im Untergrund eine große Unzufriedenheit mit Merkel herrscht, wo das Thema „Flüchtlinge“ die meisten Menschen brennend interessiert, aber angeblich im Wahlkampf totgeschwiegen wird. Sollte die AfD am Sonntag überraschend stark abschneiden, dürften sich Amerikaner, die diese Meinung teilen, bestätigt fühlen.

Frank Wiebe


China: Keine Überraschung mit Mo-Er-Ke

In China findet die Bundestagswahl kaum Beachtung. Man geht von einem Sieg Merkels aus. Hauptsache für Peking ist, die deutsche Außen- und Handelspolitik bleibt stabil. Das Interesse an der deutschen Wahl ist daher auch in der chinesischen Bevölkerung eher flau. Zwar hat das chinesische Facebook Weibo eine Seite mit dem Hashtag #DeutschlandWahl eingerichtet, aber die Interaktion darauf ist mäßig und die Anzahl der Follower mit 32 mehr als gering. Wenn sich Nutzer unter Posts äußern, dann meist um ihre Unterstützung für Bundeskanzlerin Merkel auszudrücken. Sie wird entweder „Mo-Er-Ke“ genannt, oder in Anlehnung an ihren Spitznamen „Mutti“ auch Mo-Ma. Wie sich die beiden unterscheiden, schrieb die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua in einer Zusammenfassung des Kanzlerduells. Ein Nutzer im Netz antworteten dazu: „Die eine ist links, der andere noch linker. Die eine will Flüchtlinge, der andere will noch mehr Flüchtlinge. Die eine sagte: Ich bin dagegen; der andere sagt: Ich war vor dir schon dagegen.“ In den zwei wichtigen Bereichen Außenpolitik und Handel werden jedoch keine großen Unterschiede zwischen Merkel und Schulz erkennbar, die auf China Auswirkungen hätten.

Selbst die Medien mögen keine Spannung erzeugen. Am Freitag berichtete der chinesische Staatssender CCTV, dass die Umfragen keine Zweifel daran ließen, dass Merkel zum vierten Mal gewählt werde. Statt sich den deutschen Politikfragen zu widmen, stellt Xinhua lieber eine Bildergalerie auf ihre Webseite. Die Überschrift: „‘Bier-Herrscherin‘ Merkel: Die beste Werbeträgerin für deutsches Bier“, gefolgt von fünf Bildern, in denen die Bundeskanzlerin den Krug hebt, oder daraus trinkt. Die Bildergalerie von Schulz hingegen bestand aus ganzen drei Bildern – von der gleichen Kundgebung.

„Alles in allem hat Angela Merkel bei vielen Chinesen ein gutes Image. Sie steht für Verlässlichkeit und Stabilität - in Europa und auch in den deutsch-chinesischen Beziehungen“, sagt Kristin Shi-Kupfer von Berliner China-Institut Merics. „Gerade auch mit Blick auf den US-amerikanischen Präsidenten ist der chinesischen Regierung sicherlich eher an Kontinuität und Stabilität gelegen. Merkel kennt man in Beijing eben schon, Schulz eher weniger.“

Die Bundeskanzlerin hat China in zwölf Jahren zehn Mal besucht - so oft wie kein anderer ihrer westlichen Amtskollegen. Dabei hat sie ein gutes Verhältnis mit Peking aufgebaut. Die Machthaber dort wünschen sich vor allem beim Ausgang der Bundestagswahl eine Fortführung der jetzigen deutschen Außen- und Handelspolitik. Berlin soll weiterhin für ein stabiles Europa sorgen, die guten Handelsbeziehungen zwischen China und Deutschland sollen fortgeführt werden und der globale Freihandel gestärkt werden.
Der Grund für die geringe Anteilnahme liegt aber auch bei der Sprachbarriere. So schrieb ein Weibo-Nutzer nach dem Kanzlerduell: „Ich hätte mir die Sendung schon angeschaut, wenn ich denn Deutsch könnte.“ Zum anderen ist SPD-Kanzlerkandidat Shu-Er-Ci, also Martin Schulz, unbekannt und taucht in der chinesischen Berichterstattung nur als Herausforderer von Angela Merkel auf. Die Bundeskanzlerin selbst kennt zumindest fast jeder fünfte Chinese, damit rangiert sie hinter Adolf Hitler, Karl Marx und Johann Wolfgang von Goethe auf Platz vier der Persönlichkeiten, die Chinesen einfallen, wenn sie an Deutschland denken. Zum Vergleich: Nur zwei Prozent der Deutschen kennen Chinas Präsidenten Xi Jinping.
Sha Hua


Indien: Bewunderung für die Flüchtlingskanzlerin

Aus indischer Perspektive haben die Wahlen in Deutschland etwas Provinzielles an sich. Rund 62 Millionen Wahlberechtigte sind in den Dimensionen der größten Demokratie der Welt keine besonders entscheidende Größe. Selbst wenn alle für die gleiche Partei stimmen würden, käme diese in Indien gerade einmal auf zehn Prozent. Schon allein bei der Regionalwahl in Uttar Pradesh – ein großer indischer Bundesstaat, den aber wohl nur die wenigsten Deutschen auf der Landkarte finden würden – stimmten in diesem Jahr mehr als 140 Millionen Menschen ab.

Da wundert es nicht, dass die deutsche Innenpolitik bei den meisten Indern in der Regel unterhalb der Wahrnehmungsschwelle bleibt. In diesem Jahr ist das jedoch anders. Der Grund: die Flüchtlingskrise, die im vergangenen Monat in Südasien ausgebrochen ist. Mehr als 400.000 Angehörige der muslimischen Minderheit Rohingya flohen nach einer Eskalation der Gewalt in Myanmar über die Grenze. Etliche Beobachter fühlen sich an Deutschlands Flüchtlingssommer 2015 erinnert. Sie wollen nun wissen: Was passiert mit der Frau, die damals Deutschlands Grenzen öffnete?

Der Zeitungskolumnist N. R. Mohanty gibt sich als Fan von Angela Merkel zu erkennen. Sie hat seiner Meinung seit der Flüchtlingskrise Haltung gezeigt – „obwohl die rechtspopulistische Partei AfD mit ihrer Kampagne, wonach Flüchtlinge Deutschlands Wohlstand und Sicherheit bedrohen, massive Fortschritte macht“. Merkels humanitärer Einsatz habe Deutschlands erste Frau an der Regierungsspitze zu einem „kolossalen Staatsmann“ gemacht, während Europas restliche Anführer sich eher wie Zwerge verhalten hätten.

Mohanty hat den Eindruck, auch dieser Teil der Flüchtlingsgeschichte würde sich in Südasien wiederholen. Indiens Premier Narendra Modi sieht er dabei eher auf der Seite der Zwerge. Während Deutschland, „ein relativ kleines Land“, rund eine Million Flüchtlinge aufgenommen habe, beheimate Indien nur ein paar zehntausend geflüchtete Rohingya. Bangladeschs Staatschefin Sheikh Hasina schreibt er die Merkel-Rolle zu. Sie ließ innerhalb eines Monats fast eine halbe Million Flüchtlinge über die Grenze. Ihr Land könne 160 Millionen Einwohner mit Nahrung versorgen, sagte sie. Es werde daher auch die paar hunderttausend Rohingya füttern können. Das klingt schon fast wie: „Wir schaffen das.“ Sheikh Hasina dürfte deshalb mit besonderem Interesse auf Merkels Wahlergebnis blicken. Auch in Bangladesch stehen nächstes Jahr Wahlen an.

Mathias Peer


Südostasien: Verzweifelte Hoffnung auf Merkel


Die Staaten Südostasiens werden immer autoritärer. Weil die USA unter Trump als Vorbild ausfallen, setzen die Liberalen in der Region nun auf Merkel. Sie sei jetzt die Anführerin der freien Welt, schreiben manche Zeitungen in Europa und den USA. Aber was sagen eigentlich die dazu, die nicht in der freien Welt leben?

Vor ein paar Wochen bei einer gemeinsam Busfahrt vom Flughafen zu einer Wirtschaftskonferenz: Das Gespräch mit der jungen malaysischen Abgeordneten Nurul Izzah Anwar dreht sich um den wachsenden global Wahnsinn, weil Trump mal wieder einen Vogel abgeschossen hat. Schon bald geht es auch um Merkel: „Sie wird doch hoffentlich die Wahl gewinnen?“, fragt Izzah Anwar. Gerade jetzt bräuchten Oppositionelle in Südostasien Unterstützung aus dem Ausland: Der Vater der Abgeordneten zum Beispiel, Anwar Ibrahim, war der Oppositionsführer in Malaysia und sitzt gerade wegen eines absurden Sodomie-Urteils im Knast. In Thailand festigen Royalisten und die Militärdiktatur ihre Macht, in Kambodscha lässt Diktatur Hun Sen Oppositionelle verhaften und in Myanmar wird ein komplettes Volk vertrieben.

Doch früher fragten sich Progressive in Südostasien, ob Demokratien nach westlichem Vorbild in ihrer Weltregion funktionieren können. Heute müssen sie sich dagegen fragen, ob Demokratien überhaupt funktionieren. Merkel und Deutschland machen vielen Mut, dass das Modell noch nicht komplett ausgelaufen sind. Dass die Sympathien bei Merkel liegen, begründet sich damit, dass die meisten Schulz einfach nicht kennen.

Merkel, die neue Anführerin der freien Welt - ist da also was dran? „Absolut“, sagt der junge Aktivist Than Rittipan, der gemeinsam mit Studentengruppe die Militärdiktatur in Thailand kritisiert. Allerdings merkt er auch an, dass die EU immer wieder wirtschaftliche Interessen über Menschenrechtsfragen stellt. Tatsächlich ist zweifelhaft, ob Merkel dem schönen Titel gerecht wird: Mit einem harten Kurs gegen den Diktaturen und Semi-Diktaturen in der Region hat sich die Bundeskanzlerin in ihren zwölf Jahren Amtszeit bisher nicht hervorgehoben.
Frederic Spohr


Israel: Klarer Liebling


Angesichts der eindeutigen Umfrageergebnisse wird die Kanzlerwahl in Israel kaum diskutiert. Im Zentrum des Interesses steht aber das voraussichtlich gute Abschneiden der AfD. Erstmals seit dem 2. Weltkrieg könnte eine rechtsextreme Partei im deutschen Parlament vertreten sein, hieß es etwa dieses Woche im Massenblatt „Yedioth Ahronot“. Es sei sogar wahrscheinlich, dass die AfD als drittstärkste Partei und als führende Oppositionspartei im Bundestag vertreten sein werde. Was das bedeuten könnte, wird anhand eines Schlussstrich-Zitats von Alexander Gauland gezeigt, wonach man sich nicht mehr länger mit der Nazi-Vergangenheit Deutschlands beschäftigen solle.

In Gesprächen mit Israelis wird deshalb eine klare Präferenz für einen Sieg Merkels deutlich. In bester Erinnerung hat man noch den Satz der Bundeskanzlerin aus dem Jahre 2008 in der Knesset, wonach die Sicherheit Israels Deutschlands Staatsraison sei, ohne dass sie dieses Bekenntnis allerdings konkretisierte.

Eher ungern denken Israelis hingegen an den Knesset-Auftritt des damaligen EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz im Jahr 2014 zurück. Nicht weil er - wie so viele andere auch - Israels Politik gegenüber den Palästinensern kritisierte. Dass er dabei aber mit falschen und von ihm ungeprüften Zahlen über den Wasserkonsum argumentierte, nimmt man ihm in Jerusalem bis heute übel.
Pierre Heumann


KONTEXT

Große Koalition - Pro und Contra aus Sicht der SPD

Pro: stabile Regierung

In diesen schwierigen Zeiten - Trump, Erdogan, Putin, Kim und die Bombe - braucht Deutschland, braucht Europas Führungsmacht eine stabile Regierung.

Pro: SPD kann viel umsetzen

Der Koalitionsvertrag könnte wie schon 2013 klar die Handschrift der SPD tragen, wenn die Union keinen anderen Koalitionspartner findet. Und: Opposition ist Mist. Wenn die SPD mitregiert, kann sie wenigstens SPD-Politik umsetzen und das Land besser machen, anstatt Gesetze für die Papiertonne zu produzieren.

Pro: harte Oppositionsbank

Die SPD würde in der Opposition zwischen den Schreihälsen von rechts (AfD) und links (Linkspartei) untergehen .

Pro: Opposition kein Garant für besseres Wahlergebnis

Opposition ist auch kein Garant für bessere Wahlergebnisse, siehe 2013: Auch nach der schlechten Regierungszeit von Schwarz-Gelb fuhr die SPD nur 25,7 Prozent ein.

Pro: Regierungsvakuum nach Merkel

Wenn Merkel 2021 aufhört, bricht in der Union Chaos aus. Wenn die SPD dann an der Regierung ist, wissen die Menschen: Auf die SPD ist Verlass.

Contra: SPD muss sich erneuern

Nach drei Wahlschlappen in Folge muss sich die SPD erneuern. Das geht nur in der Opposition.

Contra: Angriffe auf Union wären glaubwürdiger

Nur aus der Opposition heraus ist die Union angreifbar. Es muss Schluss damit sein, in jedem Wahlkampf von der CDU in Mithaftung genommen zu werden.

Contra: Große Koalition muss die Ausnahme bleiben

Eine große Koalition muss der Ausnahmefall und darf nicht die Regel sein. Das Land braucht eine starke Opposition.

Contra: AfD könnte Oppositionsführer werden

Die SPD muss auf jeden Fall in die Opposition gehen, wenn ansonsten die AfD die größte Oppositionspartei stellen sollte.

Contra: keine großen Projekte auf der Agenda

Anders als 2013 fehlen diesmal große Projekte wie der Mindestlohn, die die SPD in Regierungsverantwortung unbedingt umsetzen muss.

Contra: Die Parteibasis will nicht mehr

Der Parteibasis ist eine große Koalition nicht mehr zumutbar. Ganz abgesehen davon, dass die Parteibasis einer Wiederauflage der Groko erst zustimmen muss, würde eine neue Koalition mit CDU/CSU bei vielen Anhängern zu Frust und möglicherweise auch zu Parteiaustritten führen.

KONTEXT

Fragen und Antworten zur Bundestagswahl

Wer ist wahlberechtigt?

Bei der Bundestagswahl dürfen alle deutschen Staatsbürger/innen abstimmen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, seit mindestens drei Monaten in der Bundesrepublik wohnen und nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Drei Gruppen können ausgeschlossen werden. Nicht wählen dürfen Menschen, die unter gesetzlicher Betreuung stehen, sich in einem psychiatrischen Krankenhaus befinden oder eine politische Straftat begangen haben (§ 13 des Bundeswahlgesetzes). Beispiele für eine solche Straftat sind etwa Wahlfälschung oder das Verwenden von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen.

Wie wählen Deutsche, die im Ausland wohnen?

Wer im Ausland wohnt, ist auch wahlberechtigt. Es ist aber notwendig, sich frühzeitig um die Wahlunterlagen zu kümmern. Im Ausland wohnende Deutsche sind zwar wahlberechtigt, aber nicht automatisch im Wählerverzeichnis eingetragen. Dafür ist das Einwohnermelderegister die Grundlage - und daher können nur Personen berücksichtigt werden, die gemeldet sind. Ungemeldete deutsche Staatsbürger müssen ihre Teilnahme an der Wahl vor jedem Urnengang aufs Neue beantragen.

Zu zweit in die Wahlkabine?

Das Wahlgeheimnis ist in Artikel 38 des deutschen Grundgesetzes festgeschrieben. Es garantiert, dass die individuelle Wahlentscheidung nicht beobachtet oder rekonstruiert werden kann. "Für das Verhalten im Wahllokal bedeutet dies, dass sich immer nur ein Wähler in der Wahlkabine aufhalten darf", erläutert André Picker, Rechtsanwalt für Staats- und Verfassungsrecht. Ausnahmen gelten für Wähler, die nur mit fremder Hilfe von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen können. In diesem Fall ist eine zweite Person gestattet - "jedoch nur, wenn sich ihre Hilfeleistung auf die Erfüllung des Wählerwunsches beschränkt." Das Mitnehmen von kleinen Kindern - auch um zu zeigen, wie man wählt - dürfte unproblematisch sein.

Selfies in der Wahlkabine?

Smartphones werden grundsätzlich nicht beschlagnahmt, bevor der Wähler die Kabine betritt. Die erst kürzlich geänderte Bundeswahlordnung schreibt aber vor: "Der Wahlvorstand hat einen Wähler zurückzuweisen, der für den Wahlvorstand erkennbar in der Wahlkabine fotografiert oder gefilmt hat." Damit darf der Wähler nach einem Foto in der Kabine daran gehindert werden, seinen Stimmzettel in die Wahlurne zu werfen. Wird der Wahlberechtigte beim Fotografieren ertappt, ist es allerdings möglich, danach seine Stimme auf einem neuen Wahlzettel abzugeben.

Wählerstimme verschenken oder verkaufen?

Darf ein Wahlberechtigter seinen Stimmzettel - etwa bei Ebay - zu Geld machen? Nein - das Wahlrecht ist unveräußerlich und nicht übertragbar. Verfassungsrechtler André Picker: "Ein Stimmenverkauf ist unzulässig. Verkäufer und Käufer würden sich sogar wegen Wählerbestechung gemäß § 108b des Strafgesetzbuches strafbar machen."

Um 18.01 Uhr am Wahllokal: Zu spät für die Stimmabgabe?

Im Vergleich zu anderen Ländern schließen die Wahllokale in Deutschland verhältnismäßig früh. Dennoch können Spätaufsteher hierzulande nicht auf Kulanz hoffen: "Nach Ablauf der Wahlzeit sind nur noch die Wähler zur Stimmabgabe zugelassen, die sich bereits im Wahlraum befinden", so André Picker. Wer zu spät kommt, muss leider auf die Stimmabgabe verzichten.