Serie „So geht es Deutschland wirklich“ - Skurrile Toilettenvorgabe raubt Karl den Schlaf – er zweifelt an Deutschland
Die Bürokratie greift immer weiter um sich. Das spüren auch Traditionsbetriebe, etwa im Handwerk. Der Metzgermeister Karl Reichlmayr aus Unterschleißheim bei München bangt sogar um den Wert seines Lebenswerks – wegen des Standorts einer Toilette.
Wenn Karl Reichlmayr von seinem Familienbetrieb erzählt, blitzen und zwinkern seine Augen vor Begeisterung hinter der dunklen Brillenfassung. Reichlmayr gehört die gleichnamige Metzgerei in Unterschleißheim, einer Kleinstadt im nördlichen Landkreis von München. Die Metzgerei existiert seit 65 Jahren, schon als kleiner Junge arbeitete er bei seinen Eltern mit.
Heute ist er der einzige selbständige Metzger im Ort und die Kunden stehen täglich Schlange. Das Geschäft läuft gut, die Einwohner hier sind zahlungskräftig, denn sie arbeiten oft bei großen Konzernen wie BMW, Siemens oder der Allianz.
„Kunden haben am Telefon geweint“
Doch nun soll Schluss sein: Am 31. Januar 2025 wird die Metzgerei Reichlmayr ihre Pforten schließen. 30 Arbeitsplätze in Voll- und Teilzeit hängen derzeit daran. Für viele Kunden war die Nachricht ein Schock, erzählt Reichlmayr. Zum Interview sitzt er im Wintergarten hinter seinem Haus, das direkt neben der Metzgerei steht. „Ich hatte Menschen am Telefon, die haben geweint“, erzählt Reichlmayr. Manche seien als Kind erstmals in der Metzgerei gestanden. „Die schätzen die Qualität und wollen keine andere Wurst.“
Warum hört er dann auf? Er werde nächstes Jahr 65, erklärt Reichlmayr, und langsam werde es ihm zu viel . In der Metzgerei, die einst seinem Vater gehörte, arbeitet er nun schon seit mehr als 45 Jahren, mehr als 30 Jahren davon ist er selbständig, „mit einer Sechs-Tage-Woche, manchmal auch einer Sieben-Tage-Woche“. Er bemühe sich zwar, regelmäßig Urlaub zu machen, daher schließe die Metzgerei im Sommer sogar für vier Wochen am Stück. „Aber auch da überwache ich ständig die Temperaturen der Kühlräume über das Handy.“
Nach 40 Jahren will der Metzgermeister kürzer treten
Zum üblichen Stress eines Selbständigen komme nun der Personalnotstand hinzu, „weil immer weniger Menschen diesen schönen Beruf machen wollen“. Gleichzeitig hätten die hohen Energiepreise die Kühlung und den Betrieb der Maschinen in der Wurst- und Fleischproduktion enorm verteuert. Und dann sei da noch „der horrende Bürokratismus, der vor nichts und niemandem haltmacht“, schimpft Reichlmayr.
Selbstverständlich müsse bei Lebensmitteln wie Fleisch und Wurst ganz besonders auf Sauberkeit geachtet werden, sagt der Metzgermeister. Er ist stolz auf die hohe Qualität seiner Ware und nimmt es damit sehr genau. Aber das, was er zuletzt bei Lebensmittel-Kontrollen in seinem Betrieb erlebt habe, gehe zu weit. „Da wird plötzlich eine gesprungene Kachel bemängelt oder ein kleiner Fleck an der Wand, wo Farbe abblättert– das hat mit der Produktion ja überhaupt nichts mehr zu tun“, wundert sich der Metzger. Stattdessen werde nach der Maßgabe gehandelt „das ist Gesetz, das wird hier durchgesetzt - egal ob's Sinn macht oder nicht.“
Skurrile Vorschrift um zwei Toiletten
Ein Punkt macht ihm aktuell ernsthafte Probleme, daran hängt womöglich sogar die Frage, ob er einen neuen Pächter für seinen Betrieb findet: Hinter dem Verkaufsraum befinden sich zwei Toiletten, die sind Vorschrift bei mehr als zehn Mitarbeitern. Sie sind in zwei Räumen nebeneinander untergebracht, getrennt durch eine Mauer. Jede hat ein Fenster nach draußen und eine abschließbare Tür.
Das Problem: Gegenüber führt ein Flur entlang, durch den ausschließlich verpackte Lebensmittel getragen werden müssen. „Nicht erlaubt“, sagte der Prüfer. Die Toiletten müssten da weg. Geht nicht, sagt Reichlmayr, dann müsste er das komplette Gebäude umbauen. Einfach einen Zugang von außen zu den Toiletten schaffen ist auch keine Lösung – laut Vorschrift müssen die Mitarbeiter von innen Zutritt zu den Toiletten haben.
Ist die Vorschrift neu? Das wohl nicht, sagt Reichlmayr, der Paragraph sei um das Jahr 2010 herum eingeführt worden. „Aber beanstandet hatte das seitdem nie jemand.“
Betriebsaufgabe würde 500.000 Euro Steuern kosten
Reichlmayr wollte das nicht auf sich sitzen lassen. Er legte Widerspruch ein, kontaktierte die örtlichen Lokalpolitker, sogar mit dem Landrat hat er telefoniert. Denn für den Metzgermeister ist sein Betrieb Teil seiner Altersvorsorge. Zwar hat er gut verdient, aber wenn er wirklich keinen Nachfolger oder Mieter für sein Metzgerei finden würde, „kostet mich das 500.000 Euro Steuern“.
Wie das?
Das liege am Wert seines Grundstücks, erklärt Reichlmayr, er habe sogar ein Gutachten darüber. Die Stadt Unterschleißheim gehört – außerhalb der Großstädte – zu den teuersten Flecken in Deutschland. Der Grund liegt in der erfolgreichen Ansiedlungspolitik: Microsoft hatte hier lange Jahre seine deutsche Niederlassung, Linde stellt hier Spezialgase her, BMW eröffnete erst vor wenigen Jahren ein Forschungszentrum für das autonome Fahren. Auch die BaaderBank hat ihren Sitz in Unterschleißheim.
Die gut bezahlten Mitarbeiter dieser Firmen treiben seit Jahren Mieten und Immobilienpreise in die Höhe. Und das spürt jetzt auch der Metzgermeister Karl Reichlmayr. Denn wenn er das Gebäude, das seit Jahrzehnten seiner Familie gehört und in dem sein Laden steht, umwidmen würde, bedeutet das eine Betriebsentnahme – und auf deren Wert erhebt der Staat Steuern. Zwar würde dafür ein ermäßigter Steuersatz gelten, trotzdem kämen besagte 500.000 Euro zusammen, die Reichlmayr erstmal flüssig machen müsste; denn er hat von dem virtuellen Wertzuwachs – abgesehen von ersparten Mieten – ja nie etwas gehabt.
„Jeder will 100-prozentige Sicherheit“
Karl Reichlmayer würde sich nie laut beschweren, aber er findet schon, dass da etwas in die falsche Richtung läuft. Das sei nicht erst seit der Ampel-Regierung so, es begann schon viel früher. „Wir sind in einem Stadium, in dem jeder 100-prozentige Sicherheit haben will – und zwar vom Staat. Dessen Beamten sagen dann: Die könnt ihr haben – und denken sich entsprechende Regeln aus, die sie dann auch kontrollieren. Das Problem ist, dass niemand mehr Eigenverantwortung übernimmt, Schuld sind immer die anderen“, sagt Reichlmayr und ergänzt: „So könnte ich in meinem Betrieb niemals arbeiten.“ Als Selbständiger müsse er ohnehin das Risiko tragen . „Aber ich kann auch keine Mitarbeiter brauchen, die nicht eigenverantwortlich handeln. Dann läuft hier gar nichts mehr.“
Das alles habe „einen Beamtenapparat hervorgerufen, den wir nicht mehr finanzieren können". Noch aber hat der 64-jährige Hoffnung, dass sich der Bürokratie-Irrsinn wieder legt. Er hat bei Schwierigkeiten schon immer nach Wegen und Lösungen gesucht, statt zu klagen.
Behörde lenkt ein
Tatsächlich hat die Behörde nun eingelenkt. Die Toiletten können bleiben, wo sie sind. Und gibt es sogar ernsthafte Interessenten für die Metzgerei. Auch die Bewerber müssen Reichlmayrs hohe Ansprüche erfüllen. Einer habe schon früh wieder abgewinkt, erzählt er, „als der sah, welches hohe Qualitätsniveau wir hier anbieten.“
Das glaubt man gern, wenn Reichlmayr erzählt, mit welcher Akribie er immer wieder an seinen Maschinen getüftelt und Prozesse optimiert hat. „Wenn ich unsere Messer zum Schleifen gebe, lege ich einen Zettel dazu, dass ich sie in einer bestimmten Art und in einem bestimmten Winkel geschliffen haben möchte“, erzählt er. „Extra für dich müssen wir immer unsere Maschinen anders einstellen“, habe einmal sein Lieferant geklagt. „Aber ich will das so, weil ich es lange ausprobiert habe, dass dann bessere Qualität rauskommt“, sagt der Metzgermeister.
Auf welche seiner Innovationen ist er besonders stolz? „Darauf, dass wir den gesamten Verarbeitungsprozess, von der Anlieferung bis zum Verkauf, auf 48 Stunden gedrückt haben.“ Was denn der übliche Wert sei. „Ach“, sagt Reichlmayr und zwinkert, „da gibt es schon auch Antiquitätenhändler in unserer Branche.“ Und dann gibt er dem Reporter noch einen Ratschlag mit: „Sie essen Ihre Wurst sicher wie alle, von unten zum Mund“, sagt er. „Wenn ich Wurst probiere, lasse ich sie von oben herunter, an der Nase vorbei. Da rieche ich gleich, was Sache ist.“