So ist es wirklich, als Krankenschwester zu arbeiten

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Die 27-jährige Nora erzählt Yahoo! Deutschland, warum eine Tasse Tee manchmal genau so viel wert sein kann wie eine Not-Operation und wie es sich anfühlt, wenn man einen Fehler begeht, der einem Patienten das Leben kosten kann.

„Das frühe Aufstehen, Blut sehen, so viel Leid ertragen…das könnte ich nicht“, sagen die meisten meiner Freunde immer wieder, wenn ich von meinem Beruf als Krankenschwester erzähle. Aber trotz anstrengendem Schichtdienst, dem täglichen Umgang mit Körperflüssigkeiten und bewegenden Schicksalsschlägen, war für mich die Motivation für diesen Berufswunsch immer klar: Ich möchte den Menschen helfen.

Man gewöhnt sich an alles, auch an Stuhlgang

Ich sitze lachend mit den Kollegen beim Frühstück, da ertönt die Patientenklingel. Einer muss gehen, denn es könnte ja etwas Schlimmes passiert sein. Also schiebe ich schnell noch einen Happen Honigbrot in den Mund, laufe los – und öffne die Tür zum Patientenzimmer. Ein Mann liegt auf dem Boden vor seinem Bett. Auf dem Bett, auf dem Boden, an dem Patienten: überall Kot und Blut! Ich erkenne schnell, was passiert ist: Der ältere Herr hatte sich eingestuhlt, wollte aufstehen, vergaß dabei aber, dass er an Schläuchen hing.

Dem Mann geht es gut, Gott sei Dank. Mein Stückchen Honigbrot kauend, helfe ich ihm auf, beruhige und wasche ihn. Nach einigen Jahren verderben mir solche Situationen nicht mehr den Appetit. Wenn ich allerdings meinen Freunden oder meiner Familie abends beim Essen davon erzähle, merke ich schnell wieder, dass das ja nur mir so geht.

Das Klischee, dass Krankenschwestern Affären mit Ärzten haben, stimmt

Die Sache mit dem Appetit und der Normalität, wenn es um vermeintlich eklige Situationen geht, ist vielleicht auch ein Grund dafür, warum es in Krankenhäusern immer wieder zu heimlichen Affären kommt. Diese Arbeit verbindet.

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Und es ist wichtig, mit Kollegen darüber zu sprechen, weil die Welt da draußen von unserem Alltag zu oft nichts wissen will. Wir arbeiten unter großem Druck sehr eng zusammen und verbringen mehr Zeit im Krankenhaus als bei unseren Familien. Viele meiner Kollegen hatten schon einmal eine Affäre mit einem Arzt oder einer Ärztin. Auch mir ist das schon einmal passiert. Ich kenne aber auch Menschen, die es schaffen, Beruf und Familie zu vereinen. Ohne Fremdzugehen.

Nicht jeder kommt mit dem Druck und der Verantwortung klar

Der Alltag im Krankenhaus bringt Menschen oft an ihre Grenzen. So auch an jenem Tag, der mir diese Tatsache auf besonders schlimme Art und Weise aufzeigt. Mein Kollege und ich sind genervt von einem schwierigen Patienten, der alle fünf Minuten klingelt und uns unfreundlich herumkommandiert. Nach dem dritten Mal platzt meinem Kollegen der Kragen: Er rennt wütend ins Zimmer, brüllt den Patienten an, nimmt ihm die Patientenklingel weg und drückt ihn ins Bett. Der Patient ist völlig eingeschüchtert und fängt an, zu weinen.

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Gewalt in der Pflege kommt leider immer wieder vor und äußert sich oft nicht nur körperlich. Einem Patienten die Klingel wegzunehmen ist, auch wenn man das erst nicht vermuten mag, das Schlimmste, was man tun kann. Denn damit nimmt man einem Kranken, der ans Bett gefesselt ist, die Möglichkeit, Hilfe zu holen. Das kann lebensgefährlich sein.

Manchmal denkt man nur: Hoffentlich hab ich ihn nicht umgebracht

Die Verantwortung in Pflegeberufen ist enorm. Selbst eine kleine Unachtsamkeit kann im schlimmsten Fall jemanden das Leben kosten. Ich erinnere mich daran, als ich einmal kurz vor Dienstende gemerkt habe, dass ich bei zwei Patienten die Tabletten vertauscht hatte.

Dieses Gefühl werde ich nie vergessen. Mein Herz fing an, wie wild zu rasen, mit wurde heiß und kalt und ich wollte am liebsten sofort wegrennen. Stattdessen habe ich mir die Patientenakten geschnappt und bin zum Arzt gelaufen. Zum Glück war die Verwechslung nicht so schlimm. Der Arzt meinte nur ganz entspannt: „Naja, das Psychopharmakon, das der andere Patient jetzt genommen hat, schadet dem sicher auch nichts.“

Plötzlich merkt man, dass der Tod zum Leben gehört

Als ich meinen ersten Toten gesehen habe, war ich ziemlich aufgeregt. Ich durfte einen gerade Verstorbenen mit einer erfahrenen Krankenschwester waschen und für die Verabschiedung durch die Familie vorbereiten. Ich habe darauf gewartet, dass mich das richtig umhaut und mitnimmt.

Aber die Professionalität und Gelassenheit meiner Kollegin hat mich beruhigt und mir gezeigt, dass das auch zu den normalen Aufgaben in der Pflege gehören kann.

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Serien wie „Emergency Room“ oder „Grey’s Anatomy“ faszinieren uns, weil wir zusehen können, wie Ärzte und Pfleger durch waghalsige Aktionen und gefährliche Eingriffe Leben retten. Auch, wenn ich solche Situationen schon selbst erlebt habe, so sind es oft die kleinen Dinge, die Großes bewirken und mir besonders in Erinnerung bleiben.

Manchmal kann man auch mit einer Tasse Tee einen Menschen retten

Ich erinnere mich an eine todkranke, alte Frau, die mir von ihrer schweren und langen Krankheitsgeschichte erzählt. Im Gespräch erfahre ich, dass diese Frau ein Arbeitslager in Polen überlebt hat, es niemanden mehr gibt, der sie besucht und sie sich von den Ärzten und Pflegekräften schlecht behandelt fühlt.

Ich nehme mir Zeit und hole der Frau eine Tasse Tee, schenke ihr ein Lächeln und nehme ihre Hand. Sie sagt zu mir: „Ach, Schwester. Ich bin so unendlich dankbar, dass Sie da sind.“ Obwohl ich das Gefühl habe, eigentlich nichts Besonderes gemacht zu haben, wird mir wieder einmal klar, wie viel ich mit meiner Arbeit und der Liebe zum Menschen bewirken kann.