Solingen unter Schock - „Hau ab! Hier ist ein Verrückter!“ - Zeugen berichten vom Messer-Anschlag

Polizeiwagen stehen an einer Absperrung in Solingen.<span class="copyright">dpa</span>
Polizeiwagen stehen an einer Absperrung in Solingen.dpa

Am Tag nach dem Anschlag auf das Stadtfest trauert Solingen um drei Tote. Zeugen berichten im Gespräch mit FOCUS online von dramatischen Momenten.

Die Stadt ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Am Frohnhof, wo an diesem Samstag wieder Tausende Menschen ausgelassen feiern sollen, stehen nun Absperrgitter und Polizisten, die den Tatort sichern. Die anderen Bühnenflächen in der Innenstadt sind leergefegt. Nach dem Messerangriff mit drei Toten am Freitagabend ist das Festival der Vielfalt zum 650-jährigen Bestehen der Stadt Solingen beendet, bevor es richtig angefangen hat.

Als hätte die Sonne noch nicht von dem Drama nur wenige Stunden zuvor erfahren, strahlt sie über dem Frohnhof. Eigentlich wäre bestes Wetter, um auszugehen, die Livemusik und die ausgelassene Stimmung zu genießen. Doch nach dem Anschlag liegt trotz des sommerlichen Wetters ein trüber Schleier über der Stadt. „Man merkt, wie bedrückt die Stimmung ist“, sagt ein Passant, der nur kurz zum Einkaufen die Wohnung verlassen hat.

Augenzeuge: "Ich muss das erst einmal verarbeiten, das ist schwierig“

Am Frohnhof steht eine Gruppe, blickt auf die Absperrung und die Kamerateams. Sie wirkt weniger schaulustig als viel mehr betroffen von den Geschehnissen. „Meine Tochter war gestern hier“, erzählt eine Mutter. Kurz nach 21 Uhr sei sie zu Hause gewesen – nur wenige Minuten, bevor der Täter wahllos auf seine Opfer einstach. Ihre Tochter habe trotzdem noch panische Nachrichten erhalten. „Hau ab! Hier ist ein Verrückter, der sticht auf jeden ein!“, zitiert sie aus dem Verlauf.

Ein Blick auf die Bühne am Frohnhof in Solingen einen Tag nach dem Anschlag.<span class="copyright">Niklas Golitschek</span>
Ein Blick auf die Bühne am Frohnhof in Solingen einen Tag nach dem Anschlag.Niklas Golitschek

 

Ein Augenzeuge schildert im Gespräch mit FOCUS online die dramatischen Minuten vor Ort. Plötzlich seien im Publikum alle losgerannt, er habe zunächst eine Schlägerei vermutet. Als er helfen wollte, folge der Schock: „Dann lagen da Tote.“ Ersthelfer hätten sich noch bemüht, den Opfern zu helfen. Doch mindestens drei waren nicht mehr zu retten. Acht weitere sind verletzt . „Ich muss das erst einmal verarbeiten, das ist schwierig“, sagt der Zeuge über das Gesehene.

"Die Menschen sind schockiert und voller Trauer“

In der Innenstadt zeigen sich die Gewerbetreibenden ebenso schockiert wie ratlos. Sollen sie ihre Geschäfte noch öffnen oder geschlossen lassen? Das Festival der Vielfalt ist ohnehin abgesagt. „Das fühlt sich komisch an“, sagt ein Händler. Von „Angst und Schrecken“ berichtet ein Café-Betreiber. Er sei am Freitag nur kurz über das Stadtfest geschlendert und habe die Zeit lieber privat mit der Familie verbracht. „Ich habe meiner Frau und den Kindern noch gesagt: Bleibt lieber zuhause. Als hätte ich es geahnt“, sagt er nachdenklich. Die großen Wasserbehälter an allen Zufahrten, die Autos abhalten sollen, hätten ihm die ganze Zeit Unbehagen bereitet. Und wieder einmal zeige sich: „Es braucht nur eine Person“ – ein Attentäter, um eine Stadt in Schock zu versetzen.

Ein Schild an einem Laden in Solingen einen Tag nach dem Anschlag.<span class="copyright">Niklas Golitschek</span>
Ein Schild an einem Laden in Solingen einen Tag nach dem Anschlag.Niklas Golitschek

 

Nur unweit des Tatortes liegt das Parteibüro der SPD.  Eigentlich wollten der Solinger Landtagsabgeordnete Josef Neumann und seine Genossen eine Eismaschine aufbauen, Kindern eine Freude bereiten und zum Stadtfest mit den Solingern ins Gespräch kommen. Nun haben sie die Tür geöffnet, um ein offenes Ohr zu haben. „Heute müssen wir andere Gespräche führen“, weiß Neumann: „Die Menschen sind schockiert und voller Trauer.“

Das Ausmaß erinnere an den Brandanschlag von 1993

Zumal der Politiker um die wachsenden Sorgen weiß. In Solingen häuften sich zuletzt die Schreckensmeldungen: ein vereitelter Angriff mit einem Molotow-Cocktail, ein Brand mit Toten. Und nun der Messerangriff. „Die Stadt kommt einfach nicht zur Ruhe“, beobachtet Neumann, der am Freitagabend auch selbst das Stadtfest besucht und den Abbruch miterlebt hat. Sowohl Veranstalter als auch Besucher hätten diszipliniert und gesittet auf die Schreckensmeldung reagiert, würdigt er. Doch das Ausmaß erinnere an den Brandanschlag von 1993.

Nach dem tödlichen Messerangriff von Solingen fahndet die Polizei nach dem Täter.<span class="copyright">Christoph Reichwein/dpa</span>
Nach dem tödlichen Messerangriff von Solingen fahndet die Polizei nach dem Täter.Christoph Reichwein/dpa

 

Für den Moment sei Innehalten und Trauern angesagt. „Dann müssen wir als Stadtgesellschaft sehen, wie es weitergeht“, sagt der Landtagsabgeordnete und wirkt dabei selbst etwas ratlos. Klar sei jedoch, dass Solingen zusammenhalten und sich nicht spalten lassen wolle.