Sozialforscher analysiert - Die mögliche Rückkehr der Syrer könnte Deutschland komplett verändern

Zahlen, Daten und Fakten zu Syrern in Deutschland<span class="copyright">dts-Agentur/picture alliance</span>
Zahlen, Daten und Fakten zu Syrern in Deutschlanddts-Agentur/picture alliance

Der Sturz von Baschar al-Assad verändert nicht nur Syrien, sondern könnte auch Deutschland nachhaltig prägen. Mit knapp einer Million Syrern im Land stellen sich Fragen: Wird es zu Rückkehrwellen kommen? Und falls ja – wie würde sich unser Land dann verändern?

Es geschah in rasender Geschwindigkeit: Der überraschende Sturz von Baschar al-Assad markiert eine Zäsur – nicht nur für Syrien, sondern auch für Europa und insbesondere Deutschland. Damit endet womöglich eine Ära des Leidens, in der Millionen Menschen in den vergangenen Jahren vor Krieg, Verfolgung und Chaos Zuflucht gesucht haben. Auch oder gerade in Deutschland, denn heute lebt hierzulande eine der weltweit größten syrischen Gruppen außerhalb des Nahen Ostens.

Während Syrien nun auf eine ungewisse Zukunft zusteuert, stehen auch in Deutschland viele Fragen im Raum:

  • Vorausgesetzt die Stabilisierung gelingt – wie viele Syrer könnten in ihre Heimat zurückkehren?

  • Wie ist überhaupt ihr aktueller Status?

  • Was bedeutet das für die deutsche Gesellschaft, den Arbeitsmarkt und die Integrationspolitik?

  • Und könnte diese Entwicklung sogar das politische Kräfteverhältnis in Deutschland verändern?

WERBUNG

Das alles sind Fragen, die eine grundlegende Betrachtung verdienen.

Wie viele Syrer leben in Deutschland?

Nach aktuellen Zahlen des Bundesinnenministeriums leben in Deutschland zum 31.10.2024 insgesamt 974.136 syrische Staatsangehörige. Davon genießen 329.242 Personen subsidiären Schutz, 321.444 besitzen den Flüchtlingsstatus, und die Übrigen haben andere Aufenthaltstitel. Bis Anfang 2023 kamen beispielsweise 128.000 weitere Personen über den Familiennachzug hinzu.

Nicht in diese Statistik fallen bereits stattgefundene Einbürgerungen, auch wenn Syrien die Ablegung der Staatsbürgerschaft in der Vergangenheit in der Regel verweigert hat und es sich formal um Doppelstaatsbürger handelt.

Zwischen 2016 und 2023 wurden ca. 161.000 Syrer eingebürgert, der größte Teil davon in den Jahren 2022 (ca. 48.800) und 2023 (ca. 75.500). Es wird davon ausgegangen, dass in diesem und den Folgejahren noch einmal eine größere Anzahl hinzukommen wird.

WERBUNG

Ein Indikator hierfür ist, dass die Anträge auf Einbürgerung seit der Reform des Einbürgerungsrechts, die am 27.06.2024 in Kraft trat und die Mindestaufenthaltszeit von acht auf fünf Jahre reduzierte, auffällig angestiegen sind. Ein weiterer Grund ist schlicht der Umstand, dass das Interesse der Syrer an einem deutschen Pass deutlich höher ist als bei anderen Nationalitäten.

Gerade im Hinblick auf die veränderte Lage in Syrien wäre es nur logisch, wenn Personen, die die Grundvoraussetzungen erfüllen und ihr Leben langfristig in Deutschland sehen, die Einbürgerung anstreben, um damit Lebensrisiken zu minimieren. Dieses wäre dann der finale Abschluss der gesellschaftlichen Eingliederung, was wiederum die Frage aufwirft, wie sich diese aktuell generell gestaltet.

War die Integration der Syrer in Deutschland ein Erfolg?

Die Frage nach dem Erfolg der Integration sollte auf verschiedenen Ebenen betrachtet werden. Wie bereits erwähnt, wurde eine große Zahl von Syrern eingebürgert, oder aber dies wäre kurz- bis mittelfristig möglich. Voraussetzungen dafür sind beispielsweise, dass der Lebensunterhalt eigenständig gesichert werden kann, ausreichend Deutschkenntnisse vorhanden sind, keine Verurteilung wegen einer Straftat vorliegt und ein Einbürgerungstest bestanden wurde. Hier darf wohl von einer gelungenen Integration gesprochen werden.

Bei den restlichen Syrern sollte zwischen verschiedenen Einwanderungswellen unterschieden werden. In der ersten, zwischen 2015 und 2017, war das Bildungsniveau überdurchschnittlich, da gut die Hälfte über eine abgeschlossene höhere Schulbildung oder einen Hochschulabschluss verfügte. In den Folgejahren reduzierte sich dieser Anteil auf ein Drittel.

WERBUNG

Das bedeutet, eine wichtige Grundvoraussetzung für eine schnelle Integration war in den Folgejahren schwächer ausgeprägt, was sich auch in den Erfolgen der Eingliederung zeigte. Ergänzend sei erwähnt, dass 41 Prozent der Syrer weiblich sind und das Durchschnittalter bei ca. 25 Jahren liegt. Schon aus sozio-biologischen Gründen war es für viele daher gar nicht möglich, eine langjährige berufliche Expertise aufzubauen.

Baugewerbe, Gastronomie, Pflege: Wo Syrer in Deutschland arbeiten

Im Mai waren ca. 226.000 Syrer sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Grob 65.000 übten einen Mini-Job aus. Insgesamt sind ca. 44 Prozent der Syrer ungelernte oder angelernte Helfer. Der Rest besitzt inzwischen mindestens eine Facharbeiterqualifikation oder eine noch höhere Bildung.

Ein wesentlicher Teil von ihnen ist in Branchen wie dem Baugewerbe, der Gastronomie oder der Pflege tätig. Allerdings ist es auffällig, dass Männer (51,9 Prozent) weitaus öfter beschäftigt sind als Frauen (18,9 Prozent). Das deutet darauf hin, dass kulturelle Prägungen und Einstellungen als Hinderungsgründe nicht ignoriert werden dürfen.

Die größten Beschäftigungshürden sind Sprachbarrieren und Anerkennungsprobleme bei syrischen Abschlüssen, aber auch fehlende Integrationsfortschritte. Letzteres ist problematisch. Generell besteht immer die Gefahr, einzelne Gruppen zu lange entwurzelt und identitätssuchend allein zu lassen. In solchen Fällen entstehen dann neue Migrantenmilieus mit eigenen Verhaltensmustern und Wertvorstellungen, die mit den gewünschten Normen nicht mehr vereinbar sein können.

WERBUNG

Neben der Bringschuld des Neuankömmlings gibt es daher auch eine Lotsenverantwortung – nicht aus bloßer Herzensgüte, sondern aus gesundem Eigennutz. Sind die Tore geöffnet, so erscheint es nicht nur sinnvoll, darauf zu achten, wer diese durchschreitet, sondern auch begleitend zu wirken. An dieser Stelle ist ein teilweises Versagen unübersehbar.

Knapp 280.000 Syrer sind aktuell arbeitssuchend gemeldet

Ungefähr 279.600 Syrer sind aktuell arbeitssuchend gemeldet, wovon 155.000 dem Arbeitsmarkt wirklich zur Verfügung stehen. Die Arbeitslosenquote beträgt ca. 37 Prozent. In der Kriminalitätsstatistik stellen Syrer ungefähr 21 Prozent der Zuwanderer und 19,2 Prozent der Tatverdächtigen.

Zwecks Vollständigkeit sei erwähnt, dass über 200.000 syrische Kinder derzeit die Schule besuchen. Hier gibt es ebenfalls Licht und Schatten. Große Geschichten aber auch immer wieder Scheitern an den Grundlagen. In der Summe gab es daher Integrationserfolge, allerdings auch sehr große Herausforderungen. Letztere verbieten es, das Thema Migration, unabhängig von dieser speziellen Gruppe, aus dem Fokus zu verlieren.

Was würde geschehen, wenn Hunderttausende Syrer das Land verlassen würden?

Im Moment ist es noch ungewiss, ob Syrien zu einer solchen Stabilität finden wird, die freiwillige Ausreisen bedingen oder Abschiebungen im größeren Stil ermöglichen werden. Die Auswirkungen für Deutschland hängen dann von der jeweiligen Gruppe ab.

Die gut integrierten syrischen Staatsbürger, die teilweise in Branchen wie dem Gesundheitswesen systemrelevant sind, würden einen großen Verlust darstellen und eine entsprechende Lücke reißen. Ihr Fortgehen würde unserem Land schaden.

Bei anderen Gruppierungen wäre dem nicht so, sondern es könnte u.a. zu einer Entlastung des Staatshaushalts, der Sozialsystem und vor allem zur Befriedung der Gesellschaft beitragen.

Es mag daher manchen politischen Kräften nicht gefallen, aber Deutschland hat das Recht zu entscheiden, welche Form der Zuwanderung es möchte und welche nicht. Es ist an der Zeit, dies auch zu artikulieren und umzusetzen.

Könnte die neue Situation in Syrien auch die politischen Kräfte in Deutschland verschieben?

Ja, Migration ist ein Jahrhundertthema, und die Syrer stellen die mit Abstand größte Gruppe aus dem Bereich Flucht und Asyl. Sollte sich, was es zu hoffen gilt, eine tatsächliche Lösung anbahnen, würde dies das Signal aussenden, dass auch diese Herausforderung meisterbar ist. Damit könnte viel Vertrauen zurückgewonnen werden.

Für den aktuellen Bundestagswahlkampf müsste die neue Lage eine Steilvorlage für CDU und CSU sein. Sie gibt aber auch anderen Parteien wie den Grünen oder der SPD Gelegenheit, sich unmissverständlich zu positionieren; zwingt sie vielleicht sogar dazu. Keine Verwässerung, sondern Klarheit in der Migrationsfrage - das wäre nur fair für den Wähler und gut für demokratische Entscheidungsprozesse.

Für die AfD wäre es besser, wenn es keine Lösung gäbe

Umgedreht ist eine solche Entwicklung für Parteien, die primär von Krisen profitieren, nicht günstig. Vermutlich hat man die geopolitischen Verschiebungen bei der Alternative für Deutschland nicht mit Freuden aufgenommen, denn sie könnte der Partei mittel- bis langfristig schaden und einen Teil des Nährbodens entziehen. Für die AfD wäre es, völlig wertneutral betrachtet, besser, wenn es keine Lösung gäbe, sondern es weiter gärt.

In der Summe muss aber, wie bereits betont, erst einmal eine entsprechende Stabilität in Syrien geschaffen werden. Es mag Hoffnung darauf geben, aber eben jene ist nicht selten nur ein flüchtiger Hauch.

Sollte es aber gelingen, funktionierende Strukturen aufzubauen, könnte die Rückkehr Tausender Syrer Deutschland erneut verändern.