Sozialforscher Andreas Herteux - Warum Friedrich Merz mehr an Deutschland denken sollte
Viele Umfragen sprechen für einen künftigen Bundeskanzler Friedrich Merz, und doch agiert dieser im Umgang mit den Grünen ohne klare Linie. Andreas Herteux erläutert die Hintergründe dieses Verhaltens und warum jede Form der Zögerlichkeit Deutschlands Zukunft gefährden könnte.
„Wer Großes versucht, ist bewundernswert, auch wenn er fällt,“ schrieb einst der römische Philosoph Seneca im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Ein Gedanke, den bereits Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik, in der vermerkt wird, dass Tugend im Streben nach einem größeren Gut liegt, auch wenn dies mit Risiken verbunden ist, aufgreift und der wohl auch bis heute seine Gültigkeit nicht verloren hat. Doch bedeutet dies im Umkehrschluss auch, dass jene, die wenig wagen, nicht fallen werden?
Zeitlose Fragen, die aber im konkreten Einzelfall durchaus beantwortet werden können, und damit wären wir auch schon in der heutigen Politik und insbesondere beim aktuellen Bundestagswahlkampf angekommen.
Friedrich Merz hat die beste Ausgangsposition
Die Wahrscheinlichkeit, dass der nächste deutsche Kanzler Friedrich Merz heißt, ist groß. Alle Umfragen sprechen für den Kandidaten der Union, und doch agiert er im aktuellen Wahlkampf vorsichtig und vermeidet klare Festlegungen. Dass dies einerseits strategische Gründe hat, um möglichst viele Optionen für eine Koalitionsbildung offenzuhalten, muss nicht erläutert werden. Andererseits spiegelt dies aber zugleich auch die Zerrissenheit innerhalb der eigenen Partei wider, die womöglich langfristige Folgen für das Land haben könnte.
Wie hältst du es mit den Grünen?
Ein zentrales Element seiner Zögerlichkeit ist die unklare Positionierung in Bezug auf die Grünen. Während er mehrfach Gemeinsamkeiten mit ihnen in der Außen- und Sicherheitspolitik betont hat, bleibt Merz vage in anderen Bereichen, wie etwa der Klimapolitik. Innerhalb der Unionsparteien findet sich gleichfalls keine klare Positionierung. Viele moderatere Stimmen innerhalb der CDU sehen in einer Koalition mit den Grünen eine Chance die breitere Mitte zu erreichen, die von diesem Zirkel als teilweise links-postmateriell geprägt, beinahe schon konditioniert, eingeschätzt wird.
Hendrik Wüst, der Ministerpräsident von NRW, ist ein solcher Befürworter, der in seinem Bundesland einer solchen Schwarz-Grünen Koalition vorsteht. Generell sind 12 von 15 Landesverbänden der CDU offen für ein solches Bündnis im Bund.
Auf der anderen Seite gibt es bei der CSU, aber auch in konservativen Kreisen der CDU sowie größeren Teilen der Basis, starke Vorbehalte gegenüber einer Zusammenarbeit mit den Grünen. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder steht einer Schwarz-Grünen Koalition ablehnend gegenüber und betont, dass die Werte der Union nicht mit denen der postmateriell-geprägten Grünen kompatibel seien.
Für ihn wäre sie sogar existenzbedrohend, denn den Christsozialen sitzen einerseits die Freien Wähler in Bayern im Nacken, und andererseits hat Söder die Grünenüber Jahre als ideologischen Widersacher der eigenen Partei aufgebaut. Eine Kehrtwende im Bund hätte womöglich massive Auswirkungen auf das nächste Landtagswahlergebnis und damit auf seine ureigene Machtbasis.
Ein Mangel an Alternativen
Aber mit wem soll die Union sonst koalieren? Mit der SPD wurde in der Vergangenheit mehrfach eine große Koalition gebildet, und doch gilt das Verhältnis nicht nur als teilweise zerrüttet, sondern auch inhaltlich hätte man es mit den Sozialdemokraten weitaus schwerer als mit den Grünen. Die FDP dagegen war einst der anpassungsfähige Partner der Union, besonders im wirtschaftspolitischen Bereich. Das könnten sie auch wieder sein, denn keine Partei erwies sich in der Geschichte des Landes als flexibler und anpassungsfähiger als die Liberalen.
Doch werden sie den Einzug in den Bundestag schaffen? Das ist ungewiss, und voraussichtlich würde es zusammen auch nicht für eine Mehrheit genügen. Die übrigen Parteien, die eine realistische Chance auf den Bundestagseinzug haben, kommen für eine Koalition nicht infrage.
2025 wird keine Charisma-Wahl
Das ist ein Dilemma. Die Union liegt in vielen Umfragen bei über 30 Prozent. Die 32,9 Prozent, die Angela Merkel im Jahr 2017 erreichte, sind demnach durchaus übertreffbar. Die Christdemokraten werden allerdings nicht aufgrund des Charismas von Friedrich Merz gewählt, sondern als logische Alternative zur Ampel.
Als eine Art Antithese im hegelschen Sinn, die gute alte Waage der alten BRD, die sich bislang immer wieder einpendelt, auch wenn inzwischen das Gleichgewicht durch Parteien wie die AfD oder das BSW empfindlich gestört wird. Dieses Mal wird es noch so sein, 2029 mag die Balance vielleicht final verloren gehen – falls die kommende Regierung nicht erfolgreich ist, aber deren Geschichte ist bekanntlich noch nicht geschrieben.
Der Kanzlerkandidat der Union hat zudem das Glück, dass sich Olaf Scholz durch ungeschicktes Taktieren um seinen Kanzlerbonus gebracht hat, während Robert Habeck zwar einnehmende Züge besitzt , sich aber im Wahlkampf erst einmal des Malus des Gescheiterten entledigen muss, bevor er durchstarten kann. Merz hat daher auch keinen unbelasteten Konkurrenten.
Schadet die Zögerlichkeit Merz?
Kann daher das Taktieren von Merz der Union vielleicht gar nicht schaden? So einfach ist es nicht. Sicher, die Positionierungen von Söder oder Wüst für die eine oder andere Option generieren öffentlichkeitswirksame Zweifel an der politischen Ausrichtung der Union. Seine Zögerlichkeit könnte in der Summe dazu beitragen, dass er als führungsschwach und unentschlossen wahrgenommen wird.
Es scheint aber darauf hinauszulaufen, dass Merz das Schiff nur langsam ins Ziel tuckern lassen muss. Auf den einen oder anderen Prozentpunkt käme es wohl für die Kanzlerschaft nicht an. Doch kann dies das Ziel sein? Denn selbst, wenn dies gelingen würde, darf der Blick nicht kurzfristig auf die Bundestagswahl, sondern muss langfristig ausgerichtet sein. Gleich wie; eine weitere schwache Administration kann sich Deutschland schlicht nicht mehr leisten. Dafür steht zu viel auf dem Spiel.
Es geht um Deutschland
Mannigfaltige Herausforderungensind es, denen sich jede neue Regierung gegenübergestellt sieht, denn der globale Zeitenwandel fordert fundamentale und tiefgehende Entscheidungen, die maßgeblich für die Zukunft Europas sein werden. Die Zeit für Ampel-Experimente oder aber die der Merkel’schen Alternativlosigkeit ist vorüber.
Die nächste Koalition braucht den Rückhalt des größten Teils der Bevölkerung und interne Einigkeit, um das Schiff, das gerade noch gemütlich tuckern konnte, auch in den kommenden Stürmen über Wasser zu halten.
Das gelingt aber nur, wenn der Souverän, das Volk, auch wirklich entscheiden kann. Es muss daher den Parteien und auch Friedrich Merz nur geraten werden, ihre Ziele und Präferenzen klar zu artikulieren. Die Kürze des Wahlkampfs ist dabei kein Argument oder um noch einmal Seneca zu bemühen: „Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen.“
Der Wähler muss daher im ausreichenden Maße wissen, was seine Stimme bewirken wird. Der Souverän ist es, der die Leitlinien festlegt, nicht Parteientaktik. So sprach das Ideal.
Ein Kurs der Zögerlichkeit mag daher vielleicht kurzfristig erfolgreich sein. Langfristig schwächt er womöglich den Glauben an die Demokratie und riskiert damit auch die Zukunft Deutschlands. Es geht daher gar nicht darum, Großes zu versuchen, denn die Herausforderungen sind bereits gigantisch und fallen, nein fallen, darf man dabei nicht.