SPD-Außenminister: Sigmar Gabriel – der impulsive Diplomat

Seit einem halben Jahr ist Gabriel nun in seinem neuen Amt.

Alle warten auf Sigmar Gabriel. Doch plötzlich steht nicht der Außenminister, sondern SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz im Pressefoyer des Auswärtigen Amtes. Schulz hat den Raum durch denselben Eingang betreten, den zuvor die Journalisten genommen haben. Dann bahnt er sich seinen Weg durch die Wartenden, um in einem dahinter liegenden Zimmer mit dem Minister zu sprechen. Mehr als 20 Minuten später schreiten Gabriel und Schulz Seite an Seite in den Raum. Die beiden umarmen sich kurz. Dann geht Gabriel ans Rednerpult, Schulz verschwindet. Gabriel setzt seine Brille auf und rückt mit beiden Händen die kleinen Zettel vor sich zurecht. Der Außenminister spricht über den deutschen Menschenrechtler Peter Steudtner, der in der Türkei wegen angeblicher Terrorunterstützung in Untersuchungshaft sitzt. „Die Vorwürfe sind offensichtlich unbegründet und an den Haaren herbeigezogen“, sagt Gabriel mit tiefer, ernster Stimme. Und wenige Minuten später folgt – nach einer Beschreibung der Vielzahl von Problemen mit der Türkei – fast beiläufig, der entscheidende Satz: „Wir müssen deshalb zu einer Neuausrichtung unserer Türkei-Politik kommen.“ Hohe Beliebtheitswerte Gabriel kann in diesem Moment nicht mehr für seinen Kanzlerkandidaten tun, als zu sagen, er habe das alles genauso eng mit Schulz abgestimmt wie mit der Kanzlerin. Das Auswärtige Amt ist seine Bühne, nicht die des Kandidaten. Und auch die Sache mit den Beliebtheitswerten kann man Gabriel wirklich nicht vorwerfen. Nach dem jüngsten Deutschlandtrend der ARD sind 66 Prozent der Befragten zufrieden mit seiner Arbeit. Nur die Kanzlerin steht besser da. Weit abgeschlagen dagegen ist Schulz. Gabriel, der Ex-Chef der SPD, der auf die Kanzlerkandidatur verzichtet hat, steht besser da als je zuvor. Schulz, der Neu-Chef der SPD, ist der mit den schlechten Umfragewerten. Verkehrte Welt. Anfang des Jahres ist das alles noch ganz anders. Als Sigmar Gabriel und Martin Schulz am 24. Januar 2017 an die Rednerpulte im Willy-Brandt-Haus schreiten, lächeln beide. Gabriel weiß, dass jetzt jeder düstere Blick einen schlechten Eindruck machen würde. Schulz’ Lächeln ähnelt dem eines Fünfjährigen, der zu Weihnachten ein absurd teures Geschenk bekommen hat. Gabriel verkündet: Martin Schulz wird Kanzlerkandidat und Parteivorsitzender der SPD. Er selbst trete als SPD-Chef zurück und werde das Amt des Außenministers übernehmen. „Ich habe es der SPD nicht immer leicht gemacht“, sagt Gabriel. Und fügt hinzu: „Umgekehrt auch nicht immer.“ Auf die Frage, warum er denn eigentlich nicht selbst als Kanzlerkandidat antrete, antwortet Gabriel: „Weil er die besseren Chancen hat.“ Demonstrativ zeigt er auf Schulz. Ein Ausdruck der Liebe zur Partei Wegbegleiter Gabriels werden später sagen, den SPD-Vorsitz abzugeben, sei für ihn gewesen, als würde er sich ein Stück des eigenen Herzens herausreißen. Es sei aber eben auch Ausdruck seiner Liebe zur Partei gewesen. Gabriel habe befürchtet, dass die Partei mit ihm unter 20 Prozent gestürzt wäre. Der Coup geht auf. Die Beliebtheitswerte steigen sowohl für Schulz als auch für Gabriel. Im Fall des neuen Kanzlerkandidaten spricht man vom Schulz-Effekt, der schon nach einigen Wochen wieder nachlässt. Im Fall des neuen Außenministers ist der Effekt kleiner, aber nachhaltiger. Denn es ist nun wirklich keine große Kunst, als Chefdiplomat zu einem beliebten Politiker zu werden. Das haben die meisten deutschen Außenminister vor Gabriel auch geschafft. Die Bewegungen auf der Weltbühne produzieren...Lesen Sie den ganzen Artikel bei berliner-zeitung