SPD-Ministerpräsidentin selbstkritisch im ZDF: "Das Problem sind nicht AfD oder BSW"

Zu Gast bei Maybrit Illner waren unter anderem Melanie Amann (
Zu Gast bei Maybrit Illner waren unter anderem Melanie Amann ("Spiegel", links) und Manuela Schwesig (SPD, Zweite von links). (Bild: ZDF/Jule Roehr )

Die Migrationspolitik könnte für die Grünen, aber auch die Ampelregierung zum Spaltungsthema werden. Ob die angeschlagenen Koalitionsparteien in den nächsten zwölf Monaten noch Kraft haben, wichtige Entscheidungen zu treffen? Experten geben kaum Hoffnung, und die Ampel "sitzt und wartet" ...

"Wir brauchen dringend einen Kompromiss der demokratischen Parteien in der Asylpolitik", appellierte der Migrationsforschers Ruud Koopmans bei "Maybrit Illner" (ZDF) am Donnerstagabend zum Thema "Abgestraft und angezählt - kann die Ampel noch regieren?". Andernfalls würde es bei den Bundestagswahlen im September 2025 zu Ergebnissen kommen wie bei den Landtagswahlen im Osten. Aktuell diskutierte Sicherheitspakete "fangen alle am Ende der Migrationskette an", kritisierte er. Beim Umgang mit Straftätern oder solchen Menschen, die bereits in anderen Ländern einen Asylantrag gestellt hätten. "Der große Wurf muss am Anfang anfangen: Man muss die Anreize wegnehmen, warum Menschen nach Europa und Deutschland kommen!"

Am Asylkompromiss 1993 könnte man sich abschauen, wie das ginge: Dadurch wurde nicht nur die irreguläre Zuwanderung kontrolliert, er war auch eine erfolgreiche Maßnahme gegen Rechtspopulisten. "Die waren damals natürlich nicht so groß wie die AfD heute", gab er zu. Ganz von der Bühne verschwinden würde die Partei vermutlich nicht, "aber wenn man sie dauerhaft schwächen will, geht das nur über Lösungen in der Migrationspolitik".

Potenzial hätten Abkommen mit sicheren Drittstaaten wie der Türkei, Jordanien oder den Magreb-Staaten. Doch die Grünen stünden auf der Bremse, obwohl im Koalitionsvertrag der Ampel die ernsthafte Untersuchung dieser Lösung vereinbart war.

Hendrik Wüst ist sich sicher:
Hendrik Wüst ist sich sicher: "Die Migrationskrise wegverwalten, das gelingt nicht." (Bild: ZDF/Jule Roehr )

"Die Prüfung hat stattgefunden", wollte Katharina Dröge (Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen) den Experten nur ungern korrigieren, tat es dann aber doch. "Was Sie vorschlagen, funktioniert nicht." In der Migrationsdebatte wäre viel passiert, verwies sie auf die "historische Einigung" bei der Reform des EU-Asylprozesses. "Wir erleben das in keinem anderen Themenfeld, dass Gesetze noch nicht mal wirken, bevor man nächste Maßnahmen fordert. Da verliert man Maß und Mitte und suggeriert den Menschen, dass nichts passiert."

"Für die Übergangszeit macht die Bundesregierung ein Sicherheitspaket, das im Parlament und Bundestag beschlossen wird", ergänzte Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommern. Auf die Frage, was aus eben diesem Paket würde, antwortete Dröge konkret: "Es wird beschlossen werden", allerdings wären "handwerkliche Verbesserungen" notwendig.

Gelöst wäre das Problem damit noch lange nicht, widersprach Hendrik Wüst (CDU-Ministerpräsident Nordrhein-Westfalen). Man müsste an Themen arbeiten, die kompliziert und teuer wären und mit Machthabern sprechen, mit denen man nicht reden wollte. "Das muss das Ringen sein, damit wir eine Antwort geben auf die Sorge der Menschen (...) und wenn wir nicht wollen, dass das Thema die Demokratie ins Wanken bringt", verwies er auf über 5.000 Personen, die monatlich nach Nordrhein-Westfalen kämen.

Da auch die Grünen in drei mitregierten Ländern diesen Druck spürten, hätten sie im Bundesrat gemeinsam vorgeschlagen, die Verfahren von Anträgen aus Staaten mit einer Anerkennungsquote von unter fünf Prozent zu beschleunigen ("Da sind die Grünen in den Ländern weiter"). Denn "die Migrationskrise wegverwalten, das gelingt nicht", hätte Wüst es satt, wenn der "Kanzler mit hochgezogenen Augenbrauen" belehrte. Dröge lud er bei Illner ein, auf diesen Vorschlag einzugehen. Darauf wollte sich die Politikerin nicht einlassen: "Wir setzen uns gerne mit der CDU an einen Tisch, die Einladung steht weiterhin", bezog sie sich im Gegenzug auf den Migrationsgipfel, den die Union abgebrochen hatte, "die Ampel sitzt und wartet."

Migrationsforscher Ruud Koopmans schlägt vor:
Migrationsforscher Ruud Koopmans schlägt vor: "Man muss die Anreize wegnehmen, warum Menschen nach Europa und Deutschland kommen!" (Bild: ZDF/Jule Roehr )

"Solange nicht Scholz, Habeck oder Lindner die Reißleine ziehen, wird die Koalition weiterwursteln"

Hoffentlich nicht zu lange, forderte die stellvertretende "Spiegel"-Chefredakteurin Melanie Amann den Kanzler auf, das Thema zur Chefsache zu machen. So könnte er den "Ball in die Luft bringen", den Teile der Grünen-Partei be- und erschweren. "Das Thema Migration könnte ein eben solches Spaltungsthema für die Grünen werden wie Hartz IV für die SPD", warnte sie.

Dabei hatten die Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour schon am Vortag von der "tiefsten Krise innerhalb der Partei" gesprochen und ihren Rücktritt angekündigt. Sie übernähmen Verantwortung für die deutlich unter den Erwartungen gebliebenen Ergebnisse bei den Europa- und Landtagswahlen, zollte Dröge diesem Schritt Respekt, wollte aber vor allem nach vorne blicken: Am morgigen "Zukunftstag" wollte die Partei Themen präsentieren, die Menschen begeistern und darüber reden, was im Land notwendig wäre.

Die Liste der Fragen, die die Ampelregierung in der verbleibenden Amtsperiode noch zu lösen hat, ist lang. "Alles schielt darauf, dass die Bundesregierung handelt", machte sich Wüst einen Kopf darüber, "dass nur ein Teil der Themen in den nächsten Monaten umgesetzt wird." Noch düsterer fiel der Blick in die Glaskugel durch Amann aus: "Herbst der Entscheidung heißt nicht Herbst des Endes der Ampel", bezog sie sich auf das viel zitierte Ultimatum von FDP-Chef Christian Lindner. Obwohl die SPD seit der Bildung der Ampel aus sieben Landtagen geflogen wäre, spürte sie keinen Druck auf Kursänderung. Stattdessen würde alles auf die Ampel geschoben. "Solange nicht Scholz, Habeck oder Lindner die Reißleine ziehen, wird die Koalition weiterwursteln", erklärte sie.

Manuela Schwesig (SPD): "Wir müssen mehr zusammenarbeiten bei den großen gesellschaftlichen Fragen"

"Um Klartext aus Osten herauszureden: Alle Parteien müssen sich demokratisch verändern", nahm sich SPD-Ministerpräsidentin Schwesig sowohl die Ampelkoalition wie die Opposition zur Brust, "wir müssen mehr zusammenarbeiten bei den großen gesellschaftlichen Fragen." Der Dauerzwist schade und verunsichere nur: "Das Problem sind nicht AfD oder BSW, sondern dass wir in den elementaren Fragen keinen überzeugenden Auftritt und Lösungen liefern."

"Mit was soll die Union zusammenarbeiten, wenn die Ampel sich nicht einmal selbst einig ist?", ließ sich Wüst nicht den schwarzen Peter zuschieben. Wenn es gut liefe, würde man auch nicht nach der Opposition fragen: "Die Ampel muss regieren."

"Unfug", empörte sich Dröge, richtete ihren Unmut aber nicht gegen Wüst, sondern seinen Parteikollegen: "Sie sind als Person und Ministerpräsident ein sehr konstruktiver Mensch, das kann ich über Friedrich Merz nicht sagen." Der wäre nicht nur von den Migrationsverhandlungen "weggelaufen", er stelle auch in Wirtschaftsfragen die "Parteipolitik an erste Stelle", bezog sie sich auf das Thema Schuldenbremse. Wüst hätte sich in der Vergangenheit hingegen durchaus für eine Reform derselben ausgesprochen.

Der sah das offenbar anders: "Die Schuldenbremse schützt künftige Generation vor unserer Unfähigkeit, Prioritäten zu setzen", lehnte er die Unterstellung ab, "Wer glaubt, dass die Probleme unsere Kinder und Enkelkinder kleiner sind als unsere? Was ist das für eine Arroganz zu sagen: Lass uns Schulden machen, deren Geld auszugeben, die haben es bestimmt so viel besser."

Es war nicht der einzige Moment, an dem Friedrich Merz an diesem Donnerstag sein Fett wegbekam: Warum ihn die Union als Kanzlerkandidaten ins Rennen schickte, wollte Maybrit Illner vom populäreren Wüst wissen, der ebenfalls lange als Option gehandelt wurde. Als regierender Ministerpräsident könnte man leichter an Beliebtheit gewinnen, beschwichtigte dieser, "ich höre viele Wahlkampf-Vibes. Aber die Wahl ist erst in einem Jahr, da wird Merz auch an Beliebtheit gewinnen."

Eine Theorie, über die sich Amann nur amüsieren konnte: "Olaf Scholz ist der wandelnde Gegenbeleg für Ihre These", meinte sie schmunzelnd. "Das muss man erst mal schaffen", kommentierte Wüst trocken.

Von Kritik an Merz hielt er sich in der Sendung fern. Selbst das gemeinsame Vorgehen mit den Grünen in Migrationsthemen wollte er nicht als Schlag gegen den Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verstanden wissen: "Wenn Sie eine Spitze suchen, ist es eine Spitze gegen die Ampel, die keinen ausreichenden Konsens herstellt in der Asylpolitik", machte er keinen Hehl daraus, wen er als politischen Gegner verstand.