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Schulz attackiert Union: «Habt Karren an die Wand gefahren»

Der SPD Vorsitzende Martin Schulz spricht zum Ende des Parteitags. Foto: Michael Kappeler
Der SPD Vorsitzende Martin Schulz spricht zum Ende des Parteitags. Foto: Michael Kappeler

Die SPD hadert massiv mit einer neuen großen Koalition. Führende Genossen wollen lieber eine Minderheitsregierung, bei der sich Kanzlerin Merkel für jedes Projekt Mehrheiten suchen müsste. Der Vorsitzende knöpft sich einen vor, mit dem er nun verhandeln muss.

Berlin (dpa) - Mit scharfen Worten hat sich SPD-Chef Martin Schulz vor ersten Gesprächen über eine Regierungsbeteiligung gegen Kritik aus der Union gewehrt.

Mit Blick auf Äußerungen von CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, es sei gut wenn die SPD jetzt aus ihrer Schmollecke herauskomme, betonte Schulz zum Abschluss des SPD-Bundesparteitags: «Wir sitzen nicht in einer Schmollecke, aber Ihr habt den Karren an die Wand gefahren.»

Zu Dobrindts Kritik, Schulz sei wegen seines Vorschlags für die Schaffung der Vereinigten Staaten von Europa ein Europaradikaler meinte der SPD-Chef: «Ja, Herr Dobrindt (...) Wir sind radikale Pro-Europäer.» Die anderen Parteien hätten mit dem Scheitern der Jamaikaverhandlungen von Union, FDP und Grünen das Land in eine schwierige Situation manövriert. Jetzt solle die SPD Verantwortung übernehmen. «Wie wir sie übernehmen, das entscheidet die SPD selbst, dazu lassen wir uns keine Lektionen von anderen erteilen.»

Die entscheidende Frage sei, wie das Leben der Menschen in diesem Lande besser gemacht werden könne. Es gehe darum, Europa besser zu machen, die Renten zu sichern und massiv im Pflegebereich zu investieren. Wohnen dürfe zudem kein Luxusprojekt sein. Wenn man Entsprechendes umsetzen könne, «dann müssen wir die Chancen ergreifen und nutzen», so Schulz. «Wir drücken uns nicht davor, Verantwortung zu übernehmen, wie andere in diesem Lande», meinte er mit Blick auf die FDP, die den Abbruch der Jamaika-Verhandlungen erklärt hatte.

In der SPD wachsen vor dem ersten Gespräch am Mittwoch mit der Union aber die Vorbehalte gegen eine erneute große Koalition. Die neue stellvertretende SPD-Vorsitzende und Landeschefin in Bayern, Natascha Kohnen, sagte der «Passauer Neuen Presse»: «Ich plädiere dafür, andere Wege als eine Neuauflage von Schwarz-Rot zu suchen.» Die SPD müsse mutig sein. «Dazu gehört es, intensiv über eine Minderheitsregierung zu diskutieren und uns nicht einfach wieder vor den Karren von Bundeskanzlerin Angela Merkel spannen zu lassen.»

Dabei müsste sich Merkel für jedes Projekt Mehrheiten im Bundestag suchen - die Kanzlerin lehnt das als zu unsicher ab. Unionsfraktionschef Volker Kauder wies die Vorstellung zurück, die SPD könne die Union als Preis für eine Regierungsbeteiligung zu massiven Zugeständnissen zwingen. «Das bedeutet kompromissfähig zu sein.», sagte der CDU-Politiker dem «Tagesspiegel» (Sonntag). Eine «absolute Kernforderung» der Union sei die Umsetzung des CDU/CSU-Kompromisspapiers zur Zuwanderung, demnach soll der Zuzug von Flüchtlingen nach Möglichkeit auf rund 200.000 Menschen pro Jahr begrenzt werden. Dazu gehöre es auch, den Familiennachzug für Flüchtlinge mit nur eingeschränktem Schutzstatus weiter auszusetzen.

Die SPD hingegen pocht in ihren elf Leitlinien für die Gespräche mit der Union darauf, den Familiennachzug wieder zuzulassen. Der CDU-Vorstand will an diesem Sonntag und Montag über das weitere Vorgehen zur Regierungsbildung beraten. Kauder machte deutlich, dass er sich eine Neuauflage der großen Koalition wünscht. «Wenn wir Europa in dieser unruhigen Welt stärken wollen, brauchen wir stabile Mehrheiten», sagte er. Eine Minderheitsregierung oder Duldungsmodelle lehne er ab. «Ich halte davon überhaupt nichts», sagte Kauder.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer hält die Tolerierung einer CDU/CSU-Minderheitsregierung durch die SPD dagegen für die beste Lösung. Dreyer, die mit dem besten aller Ergebnisse vom Parteitag zur Bundesvize aufgestiegen ist, sagte der «Allgemeinen Zeitung Mainz»: «Ich präferiere nach wie vor ein Tolerierungsmodell.» Sie könne sich vorstellen, mit der Union einen Tolerierungsvertrag über Politikfelder zu schließen, auf denen eine breite Mehrheit unerlässlich sei, etwa bei Europa-Themen und der Außenpolitik.

Am Donnerstag hatte der SPD-Bundesparteitag in Berlin beschlossen, ergebnisoffen in Gespräche mit der Union zu gehen. Parteichef Schulz und Fraktionschefin Andrea Nahles stehen bei den Gesprächen mit CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer, Kauder und Dobrindt am Mittwoch in Berlin unter starkem Druck.

Der Parteitag zeigte deutliche Skepsis gegen eine Koalition mit der Union, weil die SPD nach der letzten Koalition mit 20,5 Prozent das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik kassiert hatte und eigentlich in der Opposition an Profil gewinnen und einen Modernisierungsprozess der Partei in die Wege leiten will.

Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) sagte der «Rheinischen Post»: «Aus unserer staatspolitischen Verantwortung heraus müssen wir nun dafür sorgen, dass die Gespräche mit der SPD zu einer Regierung führen, die das Land vier Jahre stabil regiert und in der Sache Entscheidungen trifft, die das Land voranbringen.» Entscheidungen müssten in einem überschaubaren Zeitraum getroffen werden.

Über die Aufnahme konkreter Koalitionsverhandlungen müsste ein SPD-Sonderparteitag, wahrscheinlich Mitte Januar, entscheiden. Am Ende sollen dann die rund 440 000 SPD-Mitglieder per Briefwahl über einen möglichen Koalitionsvertrag abstimmen, das könnte zwei bis drei Wochen dauern und rund zwei Millionen Euro kosten. Es wird daher damit gerechnet, dass eine Regierung erst im März stehen könnte.

Die SPD will nichts mehr beschönigen, die Sozialdemokratie ist auch in Deutschland in einer dramatischen Krise. Das zeigen auch Zahlen der Partei zum massiven Verlust an Wählern.

- Die SPD habe bei der letzten Bundestagswahl 1,7 Millionen Stimmen verloren, und insgesamt 10 Millionen seit 1998, sagt SPD-Chef Martin Schulz.

- Den letzten Bundestagswahlsieg gab es 2002 mit Gerhard Schröder mit 38,5 Prozent - 2017 waren es gerade noch 20,5 Prozent.

- In Sachsen kam die SPD bei der Bundestagswahl 2017 auf gerade noch 10,5 Prozent. 27,4 Prozent in Niedersachsen war das stärkste Ergebnis.

- Vor allem wenden sich Frauen ab: Bei der Bundestagswahl 1998 machten der Partei zufolge noch 41 Prozent der Frauen ihr Kreuz bei der SPD, bei der Wahl 2017 waren es nur noch 21 Prozent.