SPD will Erhöhung des Mindestlohn auf 15 Euro erzwingen: das sind mögliche Folgen für Gehälter, Preise, Jobs und Bürgergeld
Die Erhöhung des Mindestlohns hat die SPD schon einmal gerettet. Vor der Bundestagswahl 2021 versprach SPD-Kandidat Olaf Scholz auf knallroten Plakaten: „Jetzt 12 Euro Mindestlohn wählen". Das war damals ein Aufschlag von 25 Prozent. Scholz gewann die Wahl. Damit war aber auch klar, dass der Mindestlohn von nun an ein Wahlkampfhit sein würde. Jetzt sucht die angeschlagene SPD wieder nach Rettung - und stimmt den Hit wieder an. Zunächst forderte Scholz selbst, den Mindestlohn auf 15 Euro zu erhöhen - erneut gut 20 Prozent mehr als die aktuellen 12,41 Euro. Nun macht Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) Druck auf die – eigentlich unabhängige - Kommission, die den Mindestlohn festlegt.
Heil beruft sich auf eine Richtlinie der EU. Danach soll sich der gesetzliche Mindestlohn an den mittleren Stundenverdiensten orientieren. „Und dann wird im Jahre 2026 der Mindestlohn zwischen 14 und 15 Euro liegen“, sagte Heil. „Davon werden übrigens 6 Millionen Menschen profitieren“. Risiken und Nebenwirkungen erwähnt Heil nicht.
Die können aber beträchtlich sein. Es gibt daher gute Gründe, dass Löhne und Gehälter in einer sozialen Marktwirtschaft nicht politisch bestimmt, sondern von den Tarifparteien aushandelt werden.
In Deutschland war der gesetzliche Mindestlohn 2015 eingeführt worden. Damals betrug er 8,50 Euro je Stunde. Dies waren seinerzeit rund 40 Prozent des durchschnittlichen Stundenverdienstes. Die gesetzliche Untergrenze soll Beschäftigte zusätzlich zu tariflichen Mindestlöhnen gegen Lohndrückerei schützen. Von Beginn an gab es Warnungen, solch ein gesetzlicher Mindestlohn werde bald zum Spielball der Politik.
Daher wurde im Gesetz festgelegt, dass der Mindestlohn nicht von der Regierung, sondern von einer Kommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaften gesetzt wird. Doch auf Scholz Wahlsieg folgte der Sündenfall: Die neue Ampel-Regierung setzte sich über das Gesetz hinweg und Scholz Wahlversprechen durch. Sie versprach aber, dass dieser politische Eingriff in den Mindestlohn eine Ausnahme bleibe.
Der Zugriff auf den Mindestlohn ist für Politiker zu verlockend. Seine jüngste 15-Euro-orderung verband Scholz mit einer direkten Attacke auf die Tarifkommission. Die hatte vorher beschlossen, den Mindestlohn bis Anfang 2025 auf 12,82 zu erhöhen. Gewerkschaften und Arbeitgeber hatten sich dabei nicht einigen können. Den Ausschlag gab daher die Stimme der Präsidentin der Kommission, Christiane Schönefeld. Sie war früher im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit und steht der SPD nahe. An Schönefeld richtet Heil nun seine schriftliche Erwartung, wie der Mindestlohn kräftig zu steigen habe.
Politiker aus dem linken Spektrum geht die Tarifautonomie ohnehin zu weit. Eine Lohnuntergrenze von 15 Euro fordern auch Vertreter von Linken, Grünen und Gewerkschaften.
Das Verführerische für die Politik: Die Regierung kann den Mindestlohn erhöhen. Zahlen müssen dafür aber andere: Verbraucher über höhere Preise oder ein geschrumpftes Angebot an Waren und Dienstleistungen; Firmen über höhere Kosten und schlechtere Ergebnisse. Beschäftigte über ein höheres Risiko, ihren Job zu verlieren, länger arbeitslos zu bleiben oder ganz aus dem Arbeitsmarkt zu fallen.
Löhne und Gehälter zählen zu den wichtigsten Preisen in jeder Volkswirtschaft
Löhne und Gehälter gehören zu den wichtigsten Preisen jeder Volkswirtschaft. Sind sie falsch gesetzt, geht Wohlstand verloren. In marktwirtschaftlich verfassten Gesellschaften wird ihre Festlegung daher der Politik entzogen und den Sozialpartnern überlassen, also Unternehmen und Arbeitgeber-Verbänden auf der einen, sowie Beschäftigten und Gewerkschaften auf der anderen Seite. In Deutschland hat die Tarifautonomie sogar Verfassungsrang und ist im Artikel 9 des Grundgesetzes garantiert.
Wenn Heil sagt, von einem höheren Mindestlohn würden sechs Millionen Menschen profitieren, ist das ein Teil der Wahrheit. Er meint damit die sechs Millionen Menschen, die bisher zwischen 12,41 und 14,99 Euro in der Stunde verdienen. Steigt der Mindestlohn profitieren aber nur jene, deren Firmen sich die höheren Löhne leisten können. Für alle anderen steigt das Risiko. Denn ein Mindestlohn von 15 Euro bedeutet auch ein Beschäftigungsverbot für 14,50 Euro.
Wer keinen Job für mindestens 15 Euro Stundenlohn findet, darf dann gar nicht arbeiten, sondern wird oder bleibt arbeitslos. Statt mit eigener Arbeit den Lebensunterhalt zu verdienen, sind Betroffene auf die Fürsorge des Staates angewiesen, etwa das Bürgergeld. Steigt der Mindestlohn dürfte die Forderung nach einem höheren Bürgergeld nicht lange auf sich warten lassen. Beide Größen entwickelten sich meist im Gleichschritt, ermittelten Studien wie des Instituts der deutschen Wirtschaft. In diesem fall landen die Kosten bei den Steuerzahlern.
Der gesetzliche Mindestlohn: Eine riskante Erfolgsgeschichte
Scholz weist solche Warnungen zurück und verbucht die Erhöhung des Mindestlohnes 2022 als Erfolg: „Damit haben wir die größte Gehaltsverbesserung seit Jahren für Beschäftigte im Niedriglohnsektor geschaffen“, sagte er. Alle Warnungen vor Jobverlusten hätten sich als haltlos erwiesen.
Daran ist vieles wahr. So bestätigen es zahlreiche Studien. Negative Beschäftigungseffekte des gesetzlichen Mindestlohnes sind bisher nicht auszumachen. Die Einkommen der unteren Lohngruppen sind besonders stark gestiegen. Dies gilt auch direkt oberhalb des Mindestlohnes. Das Lohngefüge hat sich nach oben verschoben. Dabei ist der Unterschied zwischen unteren und oberen Einkommen kleiner geworden, ermittelte das Statistische Bundesamt.
Die Erhöhungen des Mindestlohnes und die zuletzt hohen Tarifabschlüsse haben dazu beigetragen, dass die Löhne und Gehälter in Deutschland aktuell so stark steigen, wie lange nicht mehr. Das ist gut für die Haushalte. Aber das treibt auch die Preise. Der Lohndruck ist ein wichtiger Faktor bei der Inflation geworden. Gerade bei personalintensiven Dienstleitungen steigen die Preise immer noch deutlich.
Dass der Arbeitsmarkt den steigenden Mindestlohn bisher verkraftet hat, liegt auch daran, dass als Folge des demografischen Wandels Arbeitskräfte knapp sind. Die Jahre seit Einführung des Mindestlohns waren zudem geprägt von einer stark steigenden Beschäftigung. Die Arbeitslosigkeit ist lange gesunken. Wie eine Erhöhung des Mindestlohnes um 20 Prozent aber wirkt, wenn viele Unternehmen ohnehin wirtschaftlich um ihr Überleben kämpfen, ist offen.
15 Euro Mindestlohn? In Europa ohne Beispiel
Aktuell steht mit der schwachen deutschen Wirtschaft auch der Arbeitsmarkt auf der Kippe. Die Arbeitslosigkeit steigt. Wer arbeitslos wird, hat es derzeit schwer einen neuen Job zu finden. Steigt der Mindestlohn dafür von 12,41 auf 15 Euro, wird dies für viele Menschen zumindest nicht einfacher.
Steigt der gesetzliche Mindestlohn, haben Unternehmen im Grunde vier Möglichkeiten, darauf zu reagieren. Erstens: Sie können niedrigere Gewinne in Kauf nehmen. Voraussetzung ist, dass sie überhaupt Gewinn machen. Zweitens: Sie können die Preise erhöhen. Voraussetzung ist, dass sie dies am Markt durchsetzen können. Drittens: Sie können versuchen, die Produktivität zu erhöhen, auch in dem sie Arbeitskräfte durch Technik ersetzen. oder ihnen mehr abverlangen.
Viertens: Firmen können unrentable Geschäfte aufgeben, oder auch das gesamte Unternehmen. Größeren Unternehmen bleibt zudem die Abwanderung aus Deutschland, wo sie zusätzlich auch hohe Energiekosten und bürokratische Lasten beklagen. Schon jetzt ist der Mindestlohn in Deutschland der zweithöchste in Europa - nur in Luxemburg ist er höher.
„Irgendwann ist beim Mindestlohn der Kipppunkt erreicht. Das kann Jobs in bestimmten Bereichen kosten. Dann gibt es keine Bäckereien mehr, sondern Ketten mit Industrieware“, sagte der Tarifexperte des arbeitgebernahen IW Hagen Lesch. Zudem drohten Preiseffekte, weil gerade Dienstleister versuchten, höhere Lohnkosten an die Kunden weiterzureichen."
SPD und Gewerkschaften berufen sich mit ihrer Forderung nach einem höheren Mindestlohn jetzt auf die europäische Mindestlohnrichtlinie. Stefan Körzell, DGB-Mitglied in der Mindestlohnkommission: "Die Richtlinie nennt 60 Prozent vom mittleren Einkommen von Vollzeitbeschäftigten als Maßstab, im Moment entspricht das knapp über 14 Euro." Die Regelungen der Mindestlohnrichtlinie der EU sind allerdings nicht bindend und nicht so eindeutig. Was genau sie vorsieht lest ihr hier.
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger, arbeitgebernahe Ökonomen und auch die FDP warnen die SPD vor einem neuen Wortbruch beim Mindestlohn. „Der Bundeskanzler hat zugesagt, nicht mehr in die Arbeit der Mindestlohnkommission eingreifen zu wollen", sagte Dulger. Für die Wirtschaft, die Arbeitsplatzsicherheit und die Tarifautonomie sei es "brandgefährlich, aus wahlkampftaktischen Gründen den Druck auf die Mindestlohnkommission stetig zu erhöhen.
"Die SPD steigt bereits jetzt in den Wahlkampf über den Mindestlohn ein", warnte CDU-Vize Karl-Josef Laumann. Er plädierte aber für eine Reform: "Wir brauchen einen neuen Mechanismus für eine faire Lohnuntergrenze." Er schlug eine Kopplung des Mindestlohns an die Entwicklung des mittleren Lohns vor. Ob das die Politik davon abhalten könnte, in künftigen Wahlkämpen trotzdem eine stärkere Erhöhung des Mindestlohnes zu versprechen?