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Baerbock fordert tief greifende Reform zur Stärkung der EU

Bundeaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat Vorschläge für eine tiefgreifende Reform der Europäischen Union unterbreitet. (John MACDOUGALL)
Bundeaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat Vorschläge für eine tiefgreifende Reform der Europäischen Union unterbreitet. (John MACDOUGALL)

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat Vorschläge für eine tiefgreifende Reform der Europäischen Union unterbreitet, um die Aufnahme neuer Mitglieder vorzubereiten. Durch die geplante Erweiterung gewinne die EU nicht automatisch an Stärke und Handlungsfähigkeit hinzu, warnte Baerbock am Donnerstag auf einer Konferenz europäischer Außenministerinnen und -minister im Auswärtigen Amt in Berlin. Ohne eine innere Reform drohe einer EU, die auf 36 oder mehr Länder angewachsen ist, vielmehr eine innere Blockade.

Die Bundesaußenministerin stellte in ihrer Rede eine Reihe konkreter Ideen vor. Sie zielen im Kern darauf ab, dass die einzelnen Mitgliedstaaten in einer erweiterten EU an Einflussmöglichkeiten verlieren, um die Funktionsfähigkeit der Gesamt-Union zu sichern - und sie dürften deshalb auf einigen Widerspruch aus dem Kreis der EU-Länder stoßen.

Die EU müsse aber "nach innen und nach außen handlungsfähig" sein, sagte Baerbock vor knapp 20 Amtskolleginnen und -kollegen, die ihrer Einladung nach Berlin gefolgt waren. "Das schaffen wir nur mit Reformen, die innerhalb der EU unsere Strukturen unser Fundament stärken." Die EU-Institutionen müssten "auch dann noch funktionieren, wenn fast ein Dutzend neue Mitgliedstaaten in der EU sind".

Im einzelnen schlug Baerbock vor, dass in einer erweiterten EU mehr Entscheidungen nach dem Mehrheitsprinzip gefällt werden; dass EU-Kommission und EU-Parlament auch bei einer Erweiterung nicht größer werden; dass Verstöße von Mitgliedsstaaten etwa bei der Rechtsstaatlichkeit schneller geahndet werden; und dass beitrittswillige Staaten früher in EU-Entscheidungsprozesse eingebunden werden.

In einer erweiterten EU müsse etwa das Einstimmigkeitsprinzip in wichtigen Fragen etwa der Finanz- und Außenpolitik zugunsten von Mehrheitsentscheidungen aufgegeben werden, sagte Baerbock. "Es ist einfach politische Mathematik, dass in einer EU mit mehr als 36 Vetos das Blockaderisiko irgendwann unbeherrschbar wird."

Eine solche Reform würde dazu führen, dass einzelne Mitgliedsstaaten leichter überstimmt werden könnten. Dazu unterbreitete Baerbock einen Vorschlag: "Wenn Mitgliedstaaten befürchten, in ihrem Kerninteresse überstimmt zu werden, dann könnten sie die Möglichkeit bekommen, eine Gelbe Karte zu ziehen, damit weiter verhandelt und nach Kompromissen gesucht wird", sagte Baerbock. "Rote Karten, also Vetos, sollen nur für ganz wenige Ausnahmefälle gelten."

Für den Fall einer EU-Erweiterung schlug Baerbock zudem eine Abkehr von dem Prinzip vor, dass jeder Mitgliedsstaat einen Posten in der EU-Kommission besetzen dürfe. Dies könne dann etwa auch für Deutschland heißen, "dass wir sagen, wir sind bereit, zeitweise auf einen Kommissar oder eine Kommissarin zu verzichten".

Baerbock will zudem mehr finanziellen Druck aus Brüssel auf jene Staaten ermöglichen, die sich nicht an die rechtsstaatlichen Standards der Union halten. Bislang dauerten solche Verfahren zu lange. "Wir müssen deshalb zeitnah Maßnahmen ergreifen können, falls ein Mitgliedstaat wiederholt unsere gemeinsamen Werte verletzt."

Für die geplante Aufnahme neuer EU-Mitglieder schlug Baerbock eine "schrittweise Integration" vor. Beitrittswillige Staaten, die bei der Umsetzung der Beitrittsbedingungen Fortschritte machen, sollten künftig als Beobachter zu den Ratssitzungen in Brüssel eingeladen werden. "Dann sind sie mit dabei, wenn wir über unsere gemeinsame Zukunft entscheiden", sagte Baerbock.

Zu den möglichen neuen EU-Mitgliedern zählen Länder wie die Ukraine, Moldau und Georgien sowie Staaten des Balkans. Baerbock bezeichnete die Aufnahme neuer EU-Mitglieder als "geopolitische Notwendigkeit". Es dürfe in Europa "keine Grauzonen" mehr geben. "Wenn diese Länder dauerhaft von Russland destabilisiert werden, dann macht es uns alle angreifbar", sagte sie.

Baerbock räumte ein, dass die Umsetzung der von ihr vorgeschlagenen Reformen "schwierig wird und viel Zeit in Anspruch nehmen wird". Es gehe um "viele Einzelfragen, die wir mühsam lösen müssen". Die Reformanstrengung sei aber nötig und müsse möglichst im Zeitraum der nächsten Legislaturperiode des Europäischen Parlaments - also zwischen 2024 und 2029 - zu Ergebnissen führen.

pw/bk