Vorbild Dahlmeier: Startet dieses Juwel durch?
Endlich. Anna Gandler war die Befreiung anzusehen, als sie im Einzelrennen in Ruhpolding nach längerer Zeit endlich wieder einmal allen gezeigt hatte, warum sie als großes Biathlon-Talent gilt.
„Ich bin sehr erleichtert. Es war eine harte Zeit für mich die letzten Tage und Wochen, von daher ist ein Top-Sechs-Ergebnis unglaublich“, erzählte die strahlende Österreich dann auch SPORT1 nach ihrem starken sechsten Platz.
Tatsächlich hat die Jugendweltmeisterin von 2020 eine schwierige Phase hinter sich, in der sie ihr volles Potenzial kaum ausschöpfen konnte.
„Es ist extrem bergab gegangen“
Nach regelmäßigen Top-Ten-Ergebnissen zum Ende der vergangenen Saison, darunter auch das beste Resultat ihrer Karriere mit Platz fünf beim letzten Saisonrennen, hatte sich die 24-Jährige für die aktuelle viel vorgenommen.
„Es war echt ein holpriger Start. Ich wollte eigentlich am Anfang die Top Ten erreichen und dann gegen Ende der Saison das Podium. (…) Seit Le Grand-Bornand ist es extrem bergab gegangen und genau das wollte ich eigentlich diese Saison verhindern“, berichtete eine leicht frustrierte Gandler noch am Tag vor dem Einzel in Ruhpolding.
Die Tirolerin, die ihr Weltcup-Debüt Ende 2022 gab, hatte in der Vergangenheit immer wieder mit gesundheitlichen Rückschlägen zu kämpfen, so auch in der Vorbereitung auf die aktuelle Saison: Im Sommer folgte ein Infekt auf den anderen, was Gandler immer wieder zurückwarf.
Zum Start des neuen Jahres habe sie sich zwar endlich mal „körperlich echt gut“ gefühlt - dafür haperte es bei einer anderen wichtigen Sache im Biathlon. „Beim Schießen fehlt es vom Kopf her noch ein bisschen“, haderte sie - doch das sollte sich in Ruhpolding ändern.
„Hakuna Matata“: Gandlers Motto zum Erfolg?
Gandler kam mit nur einem Fehler bei vier Schießeinlagen durch – der Schlüssel zur Teilnahme an der Flower Ceremony.
Dass sie trotz der Durststrecke zuvor nie verzweifelte, ist auch ihrem Lebensmotto zu verdanken: „Hakuna Matata“ (Deutsch: „Es gibt keine Sorgen“). Viele kennen das wohl aus dem Film „Der König der Löwen“, doch für Gandler erhielt der Spruch seine Bedeutung erst durch ihre Reisen in ihr Lieblingsreiseland Kenia, wo die Menschen ihr dies mit auf den Weg gaben.
Dieses Motto hilft ihr auch beim Biathlon. „Wenn du zum Schießstand hinläufst, ist da schon eine gewisse Nervosität da. Da sage ich mir dann schon gern mal ‚Hakuna Matata!‘. Du hast jetzt keine Sorgen, du gehst einfach hin zum Schießstand und machst es wie im Training“, erklärte Gandler.
Und noch etwas dürfte an diesem Tag zum Erfolg verholfen haben: Ihr Freund, der französische Biathlet Émilien Claude, erreichte im Einzelrennen der Herren einen Tag zuvor sogar den ersten Podestplatz seiner Karriere.
Partner-Duell mit Freund Émilien Claude
Den Weltcup-Alltag mit ihm gemeinsam zu bestreiten, ist für Gandler eine große Bereicherung. „Er ist ja sozusagen ein Teil der Familie und das ist schon schön, (…) dass man sich gegenseitig trösten, aber auch gemeinsam über Erfolge freuen kann. Wir gehen auch gemeinsam in die Analyse und geben uns ein paar Tipps.“
Und die gegenseitigen Ratschläge scheinen gefruchtet zu haben. Das gute Ergebnis ihres Freundes konnte Gandler „natürlich nicht (so auf mir sitzen lassen), wir haben ja ein Partner-Duell“, verriet Gandler nach ihrem eigenen Rennen mit einem Lachen.
Nach dem Einzel sei „ein großer Druck“ von ihr abgefallen, der auch durch die vielen guten Ergebnisse anderer teils noch jüngerer Athletinnen in der laufenden Saison entstanden war, wie beispielsweise durch den Sieg des deutschen Toptalents Selina Grotian vor der Weihnachtspause in Frankreich.
„Ich habe anscheinend nicht das Talent wie von einer Selina und von daher muss bei mir wirklich alles zusammengehen, damit es mit dem Podium klappt“, mutmaßte die Tirolerin.
Grotian erinnert Gandler „sehr an Laura Dahlmeier“
Grotian erinnere sie sogar „sehr an Laura Dahlmeier“, die gemeinsam mit der anderen deutschen Biathlon-Ikone Magdalena Neuner ihr großes Vorbild ist.
„Mich inspiriert, dass sie (Dahlmeier und Neuner) einfach so jung so erfolgreich geworden sind. Das ist echt unglaublich. Das war immer mein Ziel. Aber dann müsste ich in diesem Jahr mit 24 Jahren meine Karriere beenden, das geht sich nicht mehr ganz aus“, sagte Gandler schmunzelnd und spielte damit auf deren frühen Rücktritte an.
„Mit der Laura habe ich auch ab und zu mal trainieren dürfen. Die wirkte immer so fokussiert und das habe ich sehr bewundert. Sie hat wirklich alles zu 100 Prozent dem Sport gewidmet.“
Langlauf wie der Vater? Gandler bevorzugt Biathlon
Gandler erbte das Sportler-Gen von ihrem Vater Markus, seines Zeichens ein ehemaliger erfolgreicher Langläufer und heutzutage Trainer seiner Tochter.
„Ich finde es unglaublich, was mein Vater erreicht hat“, schwärmte sie angesprochen auf dessen Erfolge, die unter anderem den Gewinn einer Silbermedaille bei den Olympischen Spielen 1998 in Nagano umfassen.
Trotz des Stolzes auf ihn hofft sie, „dass ich mir irgendwann schon auch selbst einen Namen machen kann. (…) Es wird inzwischen ein bisschen weniger, dass man immer ‚die Tochter von…' ist, aber es ist noch da.“
In die Langlauf-Fußstapfen ihres Vaters wollte sie aber nie treten. Das sei ihr als Kind „ein bisschen zu langweilig“ gewesen. Stattdessen brachte sie ihr Firmpate und Ex-Biathlet Christoph Sumann zu der für sie spannenderen Sportart.
Auf dem Weg zum Social-Media-Star
Doch der Sport ist nicht Gandlers einzige Leidenschaft. Während sich andere Athleten ihre Karriere durch eine Anstellung bei der Polizei oder der Bundeswehr finanzieren, setzt die Österreicherin auf einen anderen Weg: Social Media.
Allen voran auf den Plattformen Instagram und TikTok nimmt sie ihre rund 85.000 Follower – was im Biathlon eine ganze Menge ist - mit durch ihren Trainings- und Wettkampf-Alltag. Das ist nicht nur attraktiv für ihre Fans, sondern auch für Sponsoren.
Biathlon-Interessierten dürfte dieses Hobby und Verdienstmodell an die ehemalige Gesamtweltcup-Siegerin Dorothea Wierer erinnern, die inzwischen über 600.000 Follower auf Instagram hat – und auch Gandler inspirierte.
„Doro war da auf jeden Fall ein Vorbild, aber eher auch deshalb, weil sich bei ihr eben nicht alles zu 100 Prozent um den Sport dreht, sondern weil sie auch das Leben außerhalb zeigt. Das hat mir bei ihr echt gut gefallen. (…) Es wäre schon ein Traum, das zu erreichen, was sie auf Social Media erreicht hat.“
Außerhalb des Biathlons tauge ihr „auch Alica Schmidt sehr, also da schaue ich gern mal, was sie so macht“, erklärt sie über die deutsche Leichtathletin.
Auf ihre Social-Media-Inhalte werde die 24-Jährige inzwischen auch regelmäßig auf der Straße angesprochen. Es komme ihr sogar so vor, dass sie „mehr durch Social Media erkannt werde als aufgrund meiner letztjährigen Erfolge.“
Heim-WM und Olympia: Gandler steckt sich große Ziele
Diese sollen in Zukunft aber auch wieder häufiger kommen – als Fernziel hat sie dabei vor allem die WM im österreichischen Hochfilzen im Jahr 2028 im Blick. „Eine Heim-WM ist immer etwas ganz Besonderes und da möchte ich dann schon um die Medaillen mitkämpfen“, blickt Gandler voraus.
Im Kopf spiele das bislang allerdings noch keine Rolle: „Da steht erstmal Olympia (2026) an. Das ist ein Kindheitstraum von mir, da dabei zu sein und dann sieht man weiter.“
Eines ist klar: Anna Gandler weiß genau, was sie möchte. „Ich war schon als Kind sehr stur. Meine Mutter hat mir zu Weihnachten viele Kindervideos auf einen Stick gespielt und da habe ich auch gesehen, dass das schon als Kind so war. Ich weiß einfach genau, was ich erreichen will. Es ist eine Mischung aus Sturheit und Ehrgeiz.“
Und womöglich führt die richtige Mischung aus Sturheit, Ehrgeiz und ein wenig „Hakuna Matata“ am Ende tatsächlich zu den noch größeren Erfolgen.
In Ruhpolding hat sie zumindest bewiesen, dass man den Namen Gandler in Zukunft nicht mehr nur mit Langlauf in Verbindung bringen sollte.