Das Formel-1-Reife(n)zeugnis des SID: Baku
OSCAR PIASTRI: Der Mann des Tages war doch eigentlich gerade erst zurückgestuft worden. Oscar Piastri, das ließ McLaren vor der Reise nach Baku wissen, soll von nun an unterstützend für Titelkandidat Lando Norris arbeiten. Das macht auch nach diesem Wochenende durchaus Sinn, Norris hat die deutlich größere Chance, Max Verstappen noch abzufangen - und doch zeigt Piastri Woche für Woche, dass er keine Nummer zwei ist. In den vergangenen sieben Rennen punktete niemand so stark wie der Australier, der am Sonntag seinen zweiten Sieg mit einem herausragenden Manöver gegen Charles Leclerc erarbeitete. Tritt der 23-Jährige weiter derart überzeugend auf, wird die von McLaren geplante Teamorder schwierig umzusetzen sein.
MCLAREN: Das allerdings ist ein Luxusproblem für das Team der Stunde, das schon jetzt viel mehr erreicht hat als zu erwarten war. Noch im vergangenen Sommer gehörte McLaren zu den Hinterbänklern, zu Jahresbeginn war der Rennstall dann vierte Kraft - und stieß in Baku nun Red Bull von der Spitze der Konstrukteurswertung. "Wir sind das Top-Team der Formel 1, es fühlt sich gut an, das auszusprechen", erzählte Lando Norris, der auch ohne Podestplatz allen Grund zu guter Laune hatte. Wer von Rang 15 auf Platz vier fährt und am Ende auch den Weltmeister überholt, der sitzt in einem titelfähigen Auto. 59 Punkte muss er noch aufholen auf Max Verstappen, sieben Rennen und drei Sprints bleiben dafür - der große Triumph ist weiterhin möglich, so langsam müssen aber regelmäßige Siege her. Die kommende Strecke in Singapur (22. September) sollte dem Team besonders gut liegen, McLaren steht in der Pflicht.
RED BULL: Das gilt auch, weil Red Bull so unheimlich viel Angriffsfläche bietet. Die Weltmeister wähnten sich nach dem so ernüchternd schlechten Auftritt Anfang September in Monza auf dem Weg aus der Krise - letztlich holten sie in Baku aber noch weniger Punkte. Das hatte vor allem zwei Gründe: Red Bull versteht sein Auto noch immer nicht, für Max Verstappen wurde daher kein passendes Setup gefunden. "Das Auto war wie ein Go-Kart, ein Rad war in den langsamen Kurven immer in der Luft", sagte der Niederländer nach seinem fünften Platz. Und der Blick auf den kommenden Sonntag machte ihm keinen Mut: "Ich glaube nicht, dass Singapur unser bestes Rennen wird."
SERGIO PEREZ: Der andere Grund für die schwierige Lage sitzt im zweiten Red Bull. Monatelang war er im Teamduell bemitleidenswert unterlegen, und während Verstappen die gesamte Konkurrenz vorführte, sah der Mexikaner im gleichen Auto aus wie ein Mittelklasse-Pilot. In den vergangenen Wochen glich sich dies bereits an, und in Baku konnte Perez endlich sagen: Seht ihr, unser Auto ist kompliziert, jetzt kriegt auch Max das zu spüren. Perez kam auf dem Stadtkurs deutlich besser zurecht, lag ja sogar auf Podestkurs - und wurde am Ende doch wieder nur zum tragischen Helden. Sein Crash mit Carlos Sainz im Ferrari kostete ihn und das Team wertvolle Punkte, am Ende bestätigte er den Eindruck: Red Bull kann sich im Kampf um seine hohen Ziele nicht auf zwei Fahrer verlassen.
FERRARI: Und deshalb stellte Ralf Schumacher am Sonntagabend noch eine These auf. "Ich denke, dass Red Bull maximal Dritter wird in der Teamwertung", sagte der Sky-Experte. 20 Punkte Rückstand sind es nun auf McLaren - und nur noch 31 Vorsprung auf Ferrari. Die Scuderia hat sich relativ leise herangeschlichen, der Trend ist aber deutlich. Mehr als 30 Punkte holten Leclerc und Sainz in den drei Rennen seit der Sommerpause auf, und auch für Ferrari wirken die Erfolgsaussichten in Singapur größer als für Red Bull.
SPRUCH DES WOCHENENDES: "Das hat keinen Spaß gemacht." (Max Verstappen fasst seinen Sonntag in Baku zusammen.)